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vberstaufeu i. AllgSu. In dem schönen Luftkurort Oberstaufen im Allgäu war ein Wanderbursche gestorben uns auf dem stillen Friedhöfe betgesetzt worden. Hinter dem Sarge gingen die in dem Ort anwesenden 21 Handwerksburschen, alle mit Bündeln und ihrer sonstigen Habe, an der Spitze der Gemeindediener. Der Herbergsvater stiftete einen Kranz. Nach der Beerdigung wurden die fahrenden Gesellen im Kronkenhauke mit Kaffee und Brot bewirtet! — So berichtet eine nüchterne Zeitungsnotiz. Und doch: erstehen in unserem Geiste nicht jene Zeiten, do es zum Handwerksgebrauch gehörte, datz der junge Geselle hinauszog m die Welt- um sie kennenzulernen und sich in seinem Handwerk in fremden Werkstätten zu vervoll kommnen? Die Wanderschaft war das grobe Probestück jede» Gesellen: wer seine Wanderjabre gut durchgemacht Hatto, wer in der Fremde, allein auf sich und seine Tüch tigkeit gestellt, etwas Ordentliches zugelernt hatte, der GtzsmaltHL Kdttter ösp LarröstrüHr durste wieder nach Haus« zurück. d«r ward als Meister ausgenommen und durste seine Lore am Tore heiraten. Eisenbahnen und Dgmpfschiffe, Industrialisierung und Ueberseehandel hatten diesem Stückchen mittelalterlicher Poesie, do» sich noch bis in die neueste Zeit gerettet hatte, beinahe den Garaus gemacht. Auch aus den Mensclien wurden Maschinen, und des Lebens harte Nöte ließen Keine Zeit für lustige Wanderschaft . . . Da dam Teuerung und Arbeitslosigkeit ins Land. Auch das Geld für die Eisenbahn konnte nicht aufgebracht werben. Und siehe da: auf emmal sah man sie wieder, di» längst totgealaubten Wanderburschen, die nicht da heim bleiben uno nur stempeln gehen wollten, die sich sagten, daß die paar Pfennige, die der Genügsame auf Schusters Ravpen braucht, draußen noch immer zu- sammengeorbenet oder — nach altem Brauch: zusammen gefochten werden konnten. Und man ließ die alten Ge wohnheiten und Bräuche wieder aufleben, und die Ge- meinschastogedanken der alten Bruderschaften wurden wieder lebendig! — Schon im (fahre 1708 wurde in einem Buche: „Der vornehmsten Künstler und Handwerker Zeremonial- PottU«? eine Ansprache mitgeteilt, die der Altgeselle dem fretg»svrochenen Gesellen hielt und in der sein Der- halten auf der Wanderschaft streng geregelt ist. Es hieß darin u. a.: „Jung Gesell, ich will dir Handwerksgewohn- dcst sagen, wenn gut wandern ist! Zwischen Ostern und Pfingsten, wenn es fein warm ist und die Bäume Schatten vehen, dann ist wandern aut. So nimm einen ehrlichen kldschled von oeinem Meister, Sonntag zu Mittage nach dem Essen, denn es ist nicht Handwerksgebrauch, daß Kiner M der Woche aufsteht. Und sprich, wenn er dein Lehrmeister ist: „Lehrmeister, ich sag' Euch Dank, daß Ihr mir M einem ehrlich Handwerk verhalfen habt; es stehet heut vM ttzorMt gegen Euch und di« Eurigen wieder zu Lehrmeisterin lvrtck: „Lehrmeister rim, ich sage Dank, daß Ihr mich in der Wäsche frei ge halten, so ich heut oder morgen möckte wiederkommen, stehet es um Euch wieder zu verschulden." Danach gehe zu deinen Freunden und zur Brüderschaft, bedanke dich bei ihnen und sprich: „Gott behüte Euch und saget mir nichts Böses nach." Wenn du dann Geld hast, trinke Valet mit ihnen und frisch an und wandere zum Tor hinaus. Draußen nimm 3 Federn und blase sie auf in die Höhe. Die eine wird fliegen über die Stadtmauer zu rück, die andere über das Wasser, die dritte geradeaus. Stoße nicht mit dem Kopf durch die Mauer, und ehe du Über das Wasser fährst, wirf einen Stein hinein: trägt's den Stein, dann trägt's auch dich. Frisch an und ziehe geradeaus. Und wenn du deine Straße ziehst, wirst du kommen an einen dürren Baum. Darauf sitzen drei schwarze Raben und schreien: „Er ziehet dahin! Er ziehet dahin!" Du sollst deinen Weg fortgehen und ge denken: „Ihr schwarzen Raben, ihr sollt mir keine Bot schaft sagen!" — Und am End' von dem Dorf, wo du dur<ykommst, da wird eine Mühle immer gehen und sagen: „Kehr um, kehr um, kehr, kehr, kehr um!" Du sollst fortziehen und sagen: „Mühle, geh du deinen Klang, ich will gehen meinen Gang!" Und dann wirst du weitergehen und 3 alte Frauen treffen, die da sagen: „Jung Gesell, weich von dem Wald, die Winde wehen sauer und kalt!" Du aber wirst fortgehen und sagen: „Im grünen Wald, da singen die Döglein jung und alt. ich will mich mit ihnen lustig erweisen!" — Aber der Wald wird finster und ungeheuer werden und kein Weg daraus, und dir wird sehr grauen. Da wirst du gedenken, ,ach wär' ich daheim bei der Mutter geblieben! Du sollst aber nicht umkehren, sondern deinen Weg fortgehen. Bist du aus dem Wald heraus, dann kommst du aus eine schöne Wiese, darauf wird ein Birnbaum stehen mit schönen gelben Birnen. Da krieche nicht herauf, schüttle den Baum ein wenig und lies nicht alle Birnen aus, die herabfallen; denn es könnte noch dir ein anderer guter Gesell kommen, der nicht so stark wäre, so würde es ihm ein guter Dienst sein, wenn er etwas Dorrat findet. Ebenso tu, wenn du an einen Brunnen kommst, und wenn du trinkst, so halte dich sauber dabet und den Brunnen rein, denn es möchte nach dir ein anderer guter Gesell kommen und gern trinken wollen! Und wenn du sehen wirst einen Tal ge n, so sollst du dich nickt steuen oder traurig sein, daß da einer hanget, sondern du sollst dich darum freuen, daß du auf eine Stadt oder ein Dorf kommest. Wenn du nahe hinzu bist, setze dich eine Weile nieder, lege ein gut Paar Schuh an und gebe in die Stadt hinein. Und dann läßt der Altge eile all die guten Ratschläge und Bräuche folgen, wie der unge Geselle den gestrengen Torwart behandelt, wie er zum Meister und Vater der er dann ansprechen geht bet den Meistern und Gesellen seines Gewerbes und wie er sich beim gemeinsamen Mahle zu verhalten hat. „Und wenn es nun auf den Abend kömmt, so wird dir der Herr Vater lassen das Bett weisen. Wenn dir nun die Schwester aus den Boden leuchtet und du das Bett gewahr wirst, so wünsche ihr eine gute Nacht und sprich: sie soll in Gottes Namen hinabgehen, du willst dich schon ins Bett finden. Am Morgen stehe zur Zeit auf, und wenn du in die Stube kömmst, so wünsche allen guten Morgen, da werden sie dich fragen, wie du geschlafen hast, so sage ihnen auch, was dir geträumet hat! Und dann nimm Abschied vom Herrn Vater und der Frau Mutter und sag' ihnen Dank, daß sie dich und dein Bündel be herberget haben! Alles mit Gunst! Ich wünsche dir Glück zu Wege, zu Stege, zu Wasser, zu Land, wo dich der liebe Gott hinsendt. Und wo du möchtest hinkommen, da Handwerksgewohn- hett nicht ist, so hilf sie aufrichten. Hilf Handwerksgewohn- heit stärken und nicht schwächen. Hilf eher zehn ehrlich machen, als einen unehrlich, wo es kann sein. Wo es aber nicht kann sein, so nimm dein Bündel und lauf da von!" — Soweit die Vorsage des Altgesellen. Durch ähn liche Dorsage der Zucht war das ganze Leben des Hand- Dre letzten Ritter'Üsr-Larrösira.ßs' Armrverleu-te au.f dekWals, werkers gefestigt. Und diese Ordnung bildete ein eisen festes Band, das die l-arten Gesellen daheim und draußen aneinander fesselte. Dieselben Formeln waren dem ein zelnen aber auch Zauberworte, die ihm sein Herrengefühl in der Welt gaben und er, der sonst in der Fremde rechtlos und schutzlos war, er fand damit, soweit die deutsch« Zunge klang, überall solche, die wie Brüder und Vätev um ihn zu sorgen verpflichtet waren. Und er wanderte mit Handwerksgruß und Erkennungszeichen, mit leichter Habe und leerem Beutel Hunderte von Meilen, genoß überall die Schönheit deutscher und fremder Lande, bis er eine Werkstatt fand, in der er als Genosse der Familie eintrat, oder bis ihm sein Glück ein eigenes Geschäft vev> gönnte! „Jene alten Formeln und Bräuche des deutschen Handwerks- und Wanderlebens sind dem Geschlecht der Gegenivart veraltet. Aber wir denken daran, daß sie dem deutschen Handwerksgesellen die Kraft gegeben haben, mit dem Bündel über Berg und Tal, durch ungeheure Wälder zu fremden Völkern zu ziehen und dort auf fremder Erdo in der Gemeinschaft mit seinen Brüdern so lange zu Häm«, mein, zu messen und zu nähen, bis große Stücke Land auf denen später das Leben der deutschen Nation reichlim und kräftig erblühte, dem deutschen Volke zugemessem angebämmert und eingenäht waren." So schließt Gustaa Freytag in seinen „Bildern aus der deutschen Vergangen» heil" das stimmungsvolle Kapitel über das Leben eine« Stadt im 14. Jahrhundert. Und wenn heute, nam 600 Jahren, alte Erinnerungen wieder wach werden, söj mag man sie nicht belächeln und als romantische Rück« fülligkeiten in längst vergangene Tage betrachten, sondert» als Aeuherungen eines Zusammenhanges, der als Kam« radschaft bezeichnet werden kann! Und wenn die Lan« trahe auch manche Opfer fordert, die Straßen der Gro« tadt fordern noch mehr, und noch niemand hat es chadet, der mit leichtem Gepäck und leichtem Herzen siH vufmachte, um die Heimat nickt nur kennenzulernem sondern sie auch zu erobern. Di« WgtMrvögol hütM UW »as schon seit lanaem aelMtl