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Beilage zur Wecheritz-Zettung Nr. 183 Montag, am 9. August 1926^ 92. Jahrgang Chronik -es Tages. — Anläßlich seiner Zusammenkunft sE dem Präsi- enten der amerikanischen Bundesbanken in Sch^vemnaen olt Reichsbankvrüsident Dr. Schacht den beurlaubten Reicks mßenmtnister Dr. Stresemann in Bad Wildlingen ausgesucht " Da hjZ «xtzt noch ^ine Einladung Deutschlands cuh Genf in Berlin eingetroffen ist, um an der Studien- ommission am 28. August teilzunehmen, mmm man an, aß eine solche Einladung erst dann erfolgen wird, wenn Zeulschland Mitglied des Völkerbundes geworden ist. , — In der Magdeburger Mordaffäre hat der Ober- laaceamoalt die Entlassung des Haas aus der Untersuchungs afi veuntragt. — Die Amerikanerin Gertrud Edcrle hat den Aermel- anai in 14 Stunden 39 Minuten durchschwommen. Poincard, der kürzlich noch für die Ratifizierung « Schuldenabkommcns mit Amerika war, hat sich wieder «gegen ausgesprochen. Englands Kette um Moskau. Verschiedentlich ist in den letzten Monaten klar ge- ing zutage getreten, daß England für bolschewistische iluffassungen gar kein Verständnis hat. Am offensicht- ! ichsten zeigte sich dieses Widerstreben anläßlich des so- ,enannten Generalstreiks, der doch im Grunde ! tenommen nichts anderes war, als eine tüchtige Vla- nage der Sowjetmänner. Elend brach er in sich selbst iUsammen. Und auch später, als Moskau immer noch clnterstützungsgelöer nach London sandte, konnte man iemerken, wie energisch England sich ein für allemal liefe bolschewistischen Intrigen verbat. Aber damit ind die Sicherungsmaßnahmen Englands gegen Mos kau noch nicht erledigt. Soeben wurde in London eine Konferenz der ^hefsdergeheimenPolizeiin allen englischen Dominions beendet. Das Kolonialamt und das soge- rannte „Indian Office" sind beruhigt durch die Fest- tellung, daß mit Ausnahme der Türkei und Afghani- tans der ganze südliche Teil der Sowjetunion von Üner Reihe von Staaten umgeben ist, die sich ent schlossen allen Versuchen einer roten Propa ganda widersetzen. Dank der Bemühung Englands sind alle diese Staaten zu einer steten und ununter- irochenen Abwehr von Aegypten an bis nach Indien rnd China verbunden. Der Ches der Polizei von Kal kutta ist zum Leiter der Propaganda-Abteilung von Scotland Aard für die Dauer von 6 Jahren ernannt vordem Der Gouverneur vom Sudan, der den extre- nen Elementen gegenüber freundlich gesinnt ist, Hal einen Posten verlassen, da er auf starken Widerstand itieß — England ist jetzt für einen Widerstand gegen sie rote Propaganda im Sudan und in Aegypten in gleicher Weise gerüstet. In Hedschas hat Ibn Saud alle Angebote seiner nördlichen Nachbarn abge- ehnt. Mesopotanien wird keine Einmischung der Wien Propagandisten dulden. In Persien sind die Schwierigkeiten größer: rach den letzten Unruhen in den nördlichen Provinzen, >ie russischem Einfluß unterlagen, hat der neue Schah England um Unterstützung der wirtschaftlichen Inte ressen Persiens gebeten und hat Hiese Unterstützung whalten. Die englisch-persische Oelgesellschaft konnte »is jetzt noch nicht mit den Produkten der russischen Werke in Baku konkurrieren und daher den nördlichen Seil Persiens politisch nicht beeinflussen. Die Er- chließung neuer Oelfelder in Khanikin setzt iber nun die englisch-persische Oelgesellschaft in die rage, Oel zu billigeren Preisen zu liefern, und die per- ische Regierung wird später im Austausch gegen aus reichende finanzielle Unterstützung die Produkte dieser Gesellschaft kaufen. Mit solcher Unterstützung wird es stiza Khan gelingen, die sich widersetzenden Gewalten nit fester Hand niederzuzwingen. Afghanistan bit- >et das e i n z i g e s ch w a ch e G l i e L i n d e r g a n z c n lett e, die sich fest um die Sowjetunion schließt. Hier laben sich die Bolschewisten sicher in den politischen Kreisen um den unnachgiebigen Emir verschanzt. Jeu- eits der Grenze liegen die Staaten Kaschmir und Zammu, die jetzt von dem Maharadscha Harry Singh regiert werden, der zur Organisierung der Hilfsquellen eines Staates englische Offiziere herbeigerufcn hat. >m Kampfe gegen den Einfluß der Noten bedient er ich vorwiegend englischer Kräfte, die er als Waldhüter in der Grenze beschäftigt. Infolgedessen ist das Ein- cringen der roten Propagandisten über die Grenze, die in der neuen asiatischen, mohammedanischen Sowjet republik entlang läuft, aufgehalten worden. Der gesetzgebende Nat von Singapore hat der Nc- siernng A u snahmcvoll m achten zur Kontrolle iller unerwünschten Agitatoren übertragen: Hollän- üsch-Ostindicn geht in demselben Sinne vor und weist ille diejenigen außer Landes, welche der kommunisti- chen Partei beitrctcn oder Mitglieder sind. Auf diese Weise schließt sich die Kette, die England in zielsicherer ssolitik um das bolschewistische Rußland spannt. ». « ————— . Am Haas' Freilassung. Dic Haftentlassung dcs Großtndustriellen Rudolf Haas vom Oberstaatsanwalt be antragt. Bein, Magdeburger Untersuchungsrichter Kölling ist jetzt vom Oberstaatsanwalt die Aufhebung der Haft befehle gegen Haas, Reuter und Fischer beantragt worden. Es ist ein sehr seltener Fall, daß die Staats anwaltschaft einen Antrag ans Hastentlassung von sich aus dem Untersuchungsrichter stellt. Gewöhnlich ist der Fall so, daß die Staatsanwaltschaft etmaiaen ssaft- entlassungsbeschlüssen des Untersuchungsrichters wider spricht. Sollte vom Untersuchungsrichter diesem Anträge nicht stattgegeben werden, dann müssen nach dem Gesetz die betreffenden Akten mit tunlichster Beschleunigung der Beschwerdestrafkammer zur Entscheidung unterbrei tet werden. Als Vorsitzender der Beschwerdestrafkammer, die im ganzen aus drei Richtern besteht, fungiert Land- gerichtsdirektor Loewenthal. Ferner wird berichtet, daß, nachdem der Unter suchungsrichter die Geliebte Schröders, Hildegard Götze, nicht als Angeschuldigte, sonder» nur als Zeugin ver nommen hat, die Göl^e von der Kriminalpolizei wie der ans freien Fuß gesetzt wurde. Hildegard Götze hatte bekanntlich am Mittwoch ein umfassendes Geständnis abgelegt, ans dem hcrvorging, daß sie mindestens der Mitwisserschaft verdächtig war. Schröders Wissen um Haas. Woher hatte Schröder die Kenntnis von den Haas'schen Steuerangelegenheiten? Noch immer ungeklärt ist die Frage, wieso Schrö der den Einblick in die Steuerangelegenheiten der Firma Haas hatte. Neuerdings macht eine Lesart die Runde, die möglicherweise dazu beitragen kann, auch diesen Teil der Magdeburger Affäre zu entschleiern. Am 1«. Juni, am Tage der Ermordung, hatte der Buchhalter Helling den Steuerkriminalisten Lie bing nach einem Magdeburger Cafe zu einer Bespre chung in Stenerangelcgenheiten eingeladen und für diese Besprechung angeblich ein Reihe von Aufzeich nungen mit sich geführt. War das tatsächlich der Fall, dam, hat sich Schröder wohl, nach der Ermordung des Helling, die Papiere angeeignet. Auf diese Weise konnte er sich in der Steuerangelegenheit mit Leichtig keit unterrichten und so auch eine heillose Berwirrung in das ganze Nntcrsuchungsverfahren mit hineintragen. Rheinland und Frankenstühung. „Gerüchte, die mit größter Vorsicht auf zunehmen sin d." — London, 9. August. Dem diplomatischen Kor respondenten des „Daily Telegraph" zufolge treten die Gerüchte wieder stärker hervor, daß Dr. Schacht sich erboten habe, bei der Stabilisierung des französischen Franken mitzuwirken gegen eine baldigeRäumung des Nhetnlandes. Allerdings sei es schwer, diesen Gerüchten Glauben zu schenken. Man behaupte sogar, daß Dr. Schacht Belgien einen ähnlichen Antrag gemacht habe, unter der Bedingung, daß dieser Staat dem Deutschen Reich die Bezirke Eupen und Malmedy wieder zurückgebe. Nach Auffassung des diplomatischen Korrespondenten sind diese Gerüchte mit der größten Vorsicht zu behandeln. Dr. Schacht habe keine Vollmachten, sich mit territoria len und politischen Fragen zu befassen, aber es sei Tatsache, daß diese Gedankengänge in finanziellen und geschäftlichen Kreisen, allerdings mehr in alliierten und neutralen als in deutschen Kreisen bestehen. Schlußdienst. Tie Krisis iu der Zuckcriudustrie. — Berlin, 9. August. Eine große Mißernte in Zuckerrüben, von der namentlich eine Anzahl der in Mittekdeutschland gelegenen Zuckerfabriken des Kon zerns Halle-Nositz-Holland betroffen war, auf der einen Seite, ungenügende Entwicklung des Zuckerpreises ande rerseits, haben für eine Anzahl von Zuckerfabriken eine starke finanzielle Anspannung zur Folge gehabt. Die Krisis hat eine Anzahl von Zusammenbrüchen be wirkt. Die Zuckerkreditbank hat es sich angelegen sein lassen, auch den ihr nicht angeschlossenen Zuckerfabriken mit Krediten zur Verfügung zu stehen, wobei in einem Falle ein größerer Verlust entstanden ist. Insgesamt wurden über 50 Mill. Mark Kampagne- und sonstige Kredite gegeben und darüber hinaus der Landwirtschaft durch Bevorschussung der Nübenernte mit erheblicher Kredithilfe zur Seite gestanden. Dabei wurden nach Möglichkeit sowohl bei den Debet- als auch bei den Kre ditsätzen Vorzugsbedingungen gewährt. Haases Leiche geborgen. — Orth auf Fehmarn, 9. August. Nunmehr konnte die Leiche des Seefliegers Haase, der bei dem Seeflugwettbewerb bei Fehmarn verunglückte, am Strand von Bojcndorf auf Fehmarn geborgen werden. Die Leiche ist nach Warnemünde gebracht worden. Tie Polnischen Enteignungen. — Warschau, 9. August. Obwohl die Regierung Bartel versprochen hatte, daß die sogen. Minderheiten bessere Zustände sehen sollten, ist, wie ja zu erwarten war, keine Aendernug in der Behandlung eingetreten. Die Entrechtungen und die Enteignung von Grund und Boden gehen weiter. Nun haben die Abgeordneten der Deutschen Vereinigung in Polen im Sejm eine Interpellation eingebracht. Sie fordert neben de? Be seitigung des ehemaligen preußischen bzw. demschen Gesetzes die Anwendung des polnischen Agrargesetzes vom 28. Dezember 1925, nach dem für Siedlungs zwecke Land freiwillig oder auf dem Wege der Enteig nung zur Verfügung gestellt werden muß. Alle älte ren Gesetze mit Ausnahme des deutschen Gesetzes von NU 9 sind bei Inkrafttreten dieses Agrargesetzes auf gehoben worden. Ferner fordert die Interpellation alle in dieser Angelegenheit schwebende Verfahren so fort cinzustellen und den bereits von dem Gesetz Be troffenen eine angemessene Entschädigung zu gewähren. Dramatisches aus dem Flessa-Prozeß. Die A n g e s ch u l d i g t e und der Staatsanwalt. Fm Prozeß gegen Vie Krankenschwester Flessa in Frankfurt (Mains kam es am Sonnabend nochmals zu einer dramatische» Szene, als der Staatsanwalt er neut erklärte, die Angeklagte habe in der ersten Ber« Handlung die Bedrohung des Dr. Seitz unter Bortäu- schung eines Revolvers zngegcben. In diesem Augenblick wurde die Angeklagte in den Saal geführt. Es kam nun zu einem sehrbewegten Auftritt, denn sie hatte die Worte des Staatsan waltes noch gerade gehört und schrie nun in größter Erregung in den Saal: „Es ist nicht wahr, daß ich das zugegeben habe! Das ist eine Lüge! Und wenn ich zehn Jahre Zuchthaus absitzen muß, dann (zum Staats anwalt gewandt) leben Sie hoffentlich noch, damit ich es Ihnen beibringen kann." Die Flessa begann alsdann sehr zu schluchzen. Der Verteidiger Dr. Sinzheimer bezeichnete die Angaben des Staatsanwalts über die Aussage der Flessa in der ersten Verhandlung hinsichtlich der Bedrohung des Dr. Seitz als einen Irrtum. Er biete sich zur zeugeneid lichen Vernehmung an, daß die Flessa in der ersten Verhandlung das nicht zugegeben habe. Der Vorsitzende teilte dann der Angeklagten die gestellten Anträge mit. Das Gericht zog sich darauf zur Beratung zurück. Als die Angeklagte abgeführt wurde, schrie sie nochmals zum Staatsanwalt: „Schuft! Ich werde ihn mir merken." Aus Stadt und Land. " Machtlos gegen Vie Mückenplage. Ueberall Hai man wegen der diesjährigen ungewöhnlich starken Mückenplage entschiedene Abwehrmaßnahmen gegen diese Quälgeister verlangt. Wie der Leiter des Groß- Berliner Gesundheitsamtes, Professor v. Drigalsky, jetzt erklärt, stehen auch die Gesundheitsbehörden dieser Plage ratlos gegenüber. Eine Bekämpfung verspreche nur dann einen Erfolg, wenn es gelinge, die Larven, die jetzt aber bereits zum größten Teile ausgekrochen find, zu vertilgen, wobei besonders das Begießen der Brutstätten mit Petroleum und dergleichen zu emp fehlen fei. Aus wirtschaftlicher Bedrängnis in den Tod. In einem Hause der Brückenallee in Berlin fand man einen 71jährigen Sanitätsrat nebst seiner 61 Jahre alten Gattin vergiftet auf. Ein hinzugerufener Arzt stellte fest, daß der Tod durch Vergiftung bereits mehrere Tage zuvor eingetreten war. Aus vorgefun denen Abschiedsbriefen ergibt sich, daß das Ehepaar in gegenseitigem Einverständnis aus dem Leben ge schieden ist. Der Grund zu dem Verzweiflungsschritt ist aller Wahrscheinlichkeit nach in wirtschaftlicher Not zu suchen. ISÜO Berliner Künstler in der Erwerböloscu- fürsorge. Laut Feststellungen der Künstlerwerkhilfe Berlin-Schöneberg, in deren Händen die Organisa tion der Erwerbslosenbilfe für die notleidenden Künstler liegt, erhalten zur Zeit insgesamt etwa 1900 Berliner Künstler Erwerbslosenfürsorge. Die Unterstützung der in Not geratenen Vertreter der geistigen Berufe und der Künstler ist ausschließlich Sache der Kommunen, da die Unterstützungskassen der Künstlerorganisationen, die im Frieden über einen Fonds von etwa 12 Mill. Mark verfügten, durch die Inflation bis auf den letzten Pfennig ausgeleert worden sind. Mit dem Bau von Biclstockwerkc», die in der Neichshauptstadt jetzt durch den Bau des ersten richtigen „Wolkenkratzers" bedeutend übertrumpft werden, wurde in Berlin schon vor fast 50 Jahren ein Versuch ge macht. Schon damals gab es ein Haus, das sieben be wohnbare Stockwerke, ohne Keller und Bodcngclaß, hatte. Bevor der Besitzer die Genehmigung zum Sie- öenstockbau erhielt, hatte er schwere Kümpfe mit der Baupolizei auszufcchten, die gegen den „Kolossal-Bau" Bedenken hatte. In diesem war alles vereint, was der tägliche Bedarf erfordert: ein Bücker, ein Fleischer, ein Kaufmann, ein Grünkramhündlcr und ein Restau rateur. In den nächsten Jahren wird zweifellos auch in Berlin der Wolkenkratzer immer mehr zu einer ge wohnten Erscheinung werden, zumal die heutigen Ver hältnisse immer mehr zwingen, in die Höhe, statt in die Breite, zu bauen. " Festnahme eines vrcisachen Mörders. In Spandau wurde jetzt der Melker Narlvch verhaftet, der von der Staatsanwaltschaft in Schwerin wegen Er mordung seiner Familie gesucht wurde. Narloch hatte im Mai v. Js. seine Frau und sein fünfjähriges Kind erschlagen, die Leiche» mit Stricken zusammengeschnürt und mit großen Steinen beschwert, in einen tiefen Teich bei Bcckendorf in der Nähe von Boitzenburg geworfen. Die Leiche des zweiten, erst wenige Monate alten Kin des wurde in einem Sack zutage gefördert. Narloch hatte das Kind lebend in den Sack gesteckt und diesen, ebenfalls mit einem großen Stein beschwert, ins Wasser geworfen. " Ein lebensmüder Direktor. Nach einer Kott buser Meldung verletzte sich der Direktor der Dampf- zicgelei Lieberose lebensgefährlich, indem er sich eine Kugel in den Kopf schoß. Es ist noch unbekannt, was den Direktor zu diesem unglückseligen Schritt veranlaßt hat. Endlich wieder gefaßt. Wie aus Stettin be richtet wird, war vor einigen Tagen in Bansin eine ganze Falschspielergesellschaft verhaftet worden. Der Haupt- beteiligte, der sich August Dudek nannte, war in das Swlnemünder Amtsgerichtsgcfängnis eingeliefert wor den. Von der Kriminalpolizei wurde nun festgestellt,