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Vellage zur Weitzeriy-Jeitung Nr. 135 Montag, am 14. Juni 1926 92. Jahrgang n^_ 1 —I-SS-i -»>MW»WiM^ - UM,MW : -...—-E..-. . " Rundschau im Auslande. k Wie aus Warschau bekannt wird, sind alle Par- leien für die Auflösung des Sejm. Der Staatspräsident Ivll wichtige Vollmachten erhalten. ! Der Minister für die nationalen Minderheiten im rumänischen Kabinett Averescu, Dr. Busca», ist mit der llusarbeitung eines neuen Nationalitätengesetzes beschäftigt. >as den ganzen Komplex der Minderheitenfrage lösen soll. k Das neue litauische Kabinett ist durch den volks- lozialistischen Abgeordneten Jlewitschius gebildet worden. k Der Brotpreis in Parts wird vom 16. Juni an mf 2,16 und vom 23. Juni an auf 2,26 Franks für das Kilo erhöht. ! Der spanische Aussenminister erklärte Pressevertre- iern gegenüber, die spanische Regierung sei fest entschlossen, ms der Septembertagung des Völkerbundes nicht mehr zu kandidieren. * Krawalle in Polen und Prag. k In der Wojwodschaft Sielce kam es zu heftigen Kämpfen zwischen der Polizei und Arbeitern. — In Prao nutzte die Kavallerie vier Attacken gegen demonstrierende kkommunisten reiten. Es sind viele Verhaftungen vorge- aominen worden. Im Prager Abgeordnetenhaus wird »egen- värtig um die Zollvorlage gekämpft. Die französische Hetze in Elsaß-Lothringen. ; Ein Aufruf des elsaß-lothringischen Heimatbundes, »er am Montag in den elsaß-lothringischen Blättern er- jchienen ist. hat die Regierung veranlaßt, die seit langem gewünschte gerichtliche Verfolgung des Heimatbundes ein- tulciten. Die Gemeindebeamten, die Unterzeichner des Auf- cufes sind, sind vom Justizminister ihres Amtes enthoben vordem Gegen die Staatsbeamten wird ein Disziplinar- oerfahren eröffnet. Auch die Geistlichen, deren Namen unter »ein Aufruf stehen, sollen disziplinarisch bestraft werden. Oer Justizminister wird dem Vorsitzenden des Kammcr- and Senatsausschusses für Elsaß-Lothringen Erklärungen über die Maßnahmen abgeben, die er ergriffen hat und noch zu ergreifen gedenkt. Regierungs-Chaos in Paris. ; In Paris dauert die Krise an. Der Franken ist weiter gefallen. Die Verworrenheit der innerpolitischen Situation hat einen Höhepunkt erreicht, der kaum nock> überschritten werden kann. Jeder Tag bringt neue Kriscn- geriichte. Demissionen werden angekündigt, um wenige stunden darauf dementiert zu werden, Interpellationen werden eingebracht, um in letzter Minute wieder zurück gezogen zu werden. Die Folge ist, daß kein Mensch mehr weiß, was die nächste Stunde, geschweige denn der nächste Tag bringen wird. In der Kammer brachte die Marokko debatte stürmische Szenen. Am Montag beginnt die spanisch französische Marokkvkonfcrenz. Ein Kommunist sagte, Ma rokko sei am Weltkrieg Schuld gewesen. — Die Kämpfe im Rifgebiet gehen weiter. Hindenburg in Neustrelitz. Begeisterte Ovationen für den Reichsprä sidenten. Am Sonnabend früh traf Reichspräsident von Hindenburg in Neustrelitz eiu. In seiner Begleitung waren Ministerialrat Dr. Doehle, Major von Hindeu- bnrg nnd der Gesandte Wirklicher Geheimer Rat Boden. Zum Empfang hatten sich viele Herren der Re gierung eingefunden, wobei die Tochter des Staats ministers Schwabe dem Reichspräsidenten Blumen überreichte. In offener Equipage ging es dann durch die flaggengeschmückte Stadt zum Rathaus, wo der Bürgermeister von Neustrelitz, Dr. Heipertz, den Be such begrüßte. Vor dem Betreten des Schlosses schritt der Reichspräsident die Front der dort versammelten Kriegsteilnehmer von 1866 und 1870-71 ab und nahm anschließend die Meldung der in Neustrelitz ansässigen Generale der alten Armee entgegen. , Tas Frühstück. Um 12 Uhr fand im Schloß ein Frühstück statt, bei dem Staatsminister Dr. Hustaedt den Reichs präsidenten mit einer Ansprache begrüßte. Er sagte darin, es sei ein Ehren- und Freudentag für das Land Mecklenburg-Strclitz, den Reichspräsidenten be grüßen zu dürfen. Mit andern Ländern des Reiches könne Mecklenburg weder an landschaftlichen Reizen noch an geschichtlicher Tradition in Wettbewerb tre ten, aber Mecklenburg habe dem Reiche manchen bra ven Mann geschenkt. „Blücher, der greise Marschall Vorwärts» der Lieb ling und Führer der heldenhaften Krieger, als für Deutschland im Jahre 1813 die Befreinugsstnnde fchlng, ist Mecklenburger Stammes. Von Mecklenbur ger Art ist anch der geniale Schlachtenlenker Helmuth von Moltke, unter dessen Leitung, Sie, verehrter Herr Reichspräsident, dereinst im Großen Gcneralstab ge arbeitet und den Sie selbst in Ihren Lebenserinue- rnngen als eine an Geist wie an Charakter gleich große Persönlichkeit bezeichnet haben." Durch ihre Abstammung gehörte auch die Köni gin Luise zu den Mecklenburgern. Fritz Reuter, der mecklenburgische Volksdichter habe die kräftige und gesunde Art der Bevölkerung am besten geschildert, auch in trüben Tagen würden Mecklenburger nicht ver zagen. Dann fuhr er fort: „Als echte Deutsche über kommt nns heute ein Gefühl stolzester Freude, »aß Sie, Herr Reichspräsident, als nach der Verfassung des heutige» republikanischen Staates durch den Willen des deutschen Volkes znm Oberhaupt des Deutschen Reiches Erkorener hier unter uns weilen. Ihre Ruh mestaten in »er Zeit des Weltkrieges, in den schwersten Tagen deutscher Geschichte, bedürfen keiner Worte, sie gehören bereits der Geschichte an nnd werden, solange es noch ein Tentschland nnd ein deutsches Volk gibt, ^siir immer unvergessen bleiben nnd bei »cm Klange vrs namens „Hlnoenvurg" werven noch die Auge» unserer Enkel und Nrenkel in hellster Begeisterung leuchten, so wie Ihnen heute die Auge» »»ferer Meck lenburger Jngeud eutgegengclcuchtct haben." Begeistert brachen alle Anwesenden in die Hoch rufe auf Hindenburg aus, worauf der Reichspräsident u. a. erwiderte: „Auch an Mccklenburg-Strelitz sind ja die Nöte der letzten Jahre nicht spurlos vorüber- gegangeu, und ich weiß wohl, daß besonders seine Landwirtschaft mit ernsten Schwierigkeiten kämpft. Wir wollen hoffe«, daß die allgemeine Erholung der deut sche» Wirtschaft anch den Landwirten bessere Zeiten bringt. Dazu gehört aber, daß wir, ein jeder an seinem Platze und in seinem Berufe, einträchtig zusammen- arbeitcn für das Wohl und die bessere Zukunft unseres Vaterlandes. Daß auch Sie und Ihr Land mit seinen reichen Kraftquellen hierzu bereit siud, entnehme ich mit hoher Befriedigung Ihren Worten. Umso herz licher sind meine Wünsche für das Blühen und Ge deihen von Mecklenburg-Strelitz, denen ich besonderen Ausdruck gebe, indem ich Sie alle, meine Herren, bitte, mit mir einzustimmen in dem Ruf: „Mecklen burg-Strelitz und unser deutsches Vaterland Hurra!" Darauf wurde eine Autofahrt nach Hohen-Zieritz unternommen, wo das Sterbezimmer der Königin Luise besichtigt wurde. Die Genfer Ohrfeige. Ein Sondergericht soll urteilen. Ter tätliche Angriff gegen vc» Grafen Bethle» in Genf hat in ganz Ungar» große Entrüstung Hervor gernfen. Auch die Opposition weist vorauf hin, Vas; »er niederträchtige Anschlag die Autorität Bethlens nur stärken werde. Die Presse schreibt, »er erbärmliche Bubenstreich werde vom ungarischen Volk und von alle» Kreise» des Anslandes ver»rteilt. Man rechnet mit einer scharfen Bestrafung des Attentäters Justh, von dem ja übrigens festgcstellt sei, daß man es mit einem gemeinen Verbrecher und nicht mit einem wegen politischer Vergehen aus Uugaru Entflohenen zn tu» habe. Justh hat nämlich als Beamter der Compagnie Generale Transatlantique im Jahre 1923 Gelder unterschlagen und Valutaschmuggel verübt. Er wurde damals zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt, doch gegen Kaution freigelassen. Im Flugzeug ist er dann ent kommen. In Paris hat er die ungarischen Emigranten damit irregeführt, daß er ihnen vorlog, er werde we gen politischer Delikte verfolgt. Das Gericht von Genf hat von dem Bundesanwalt die Anweisung er halten, daß er in der Angelegenheit der Mißhandlung des Grafen Bethlen einzuschreiten beabsichtige. Man erwartet die Ernennung eines Sondergerichtes, das diesen Fall behandeln soll. Vorläufig scheint jedoch noch die Frage der Zuständigkeit des kantonalen oder eines eidgenössischen Gerichts nicht völlig geklärt zu sein. Der Täter selbst befindet sich zur Zeit noch im Genfer Gefängnis. Das von Justh begangene Ver gehen fällt unter Artikel 43 des Bundesstrafgesetzes, der eine Strafe bis zu zwei Jahren Gefängnis und 2000 Franken Geldstrafe vorsieht. Der ungarische Ministerrat in Budapest hat sich auch mit der Angelegenheit befaßt. Er hält die Beleidigung des Grasen Bethlen für umso schwer wiegender, als durch sie in der Person des Minister präsidenten auch die ganze ungarische Nation insultiert worden ist. , Schlutzdienft. Faschistenkampf i» Genf. — Genf, 14. Juni. In einer von hiesigen So zialisten, Kommunisten und Anarchisten, sowie von ita lienischen Sozialisten nnd Republikanern abgehaltenen Versammlung zur Erinnerung an Mattcotti, zu der sich auch die italienische Faschistenorganisation einge- ! fanden hatte, entspann sich ein wütendes Handgemenge, I bei dem die Gegner mit Stühlen aufeinander ein schlugen. Ein Anarchist feuerte mehrere Nevolverschüsse ab und drohte einem Polizisten mit Erschießen. Unter den Festgenommenen befanden sich ein Delegierter zur Arbcitskonferenz und mehrere Beamte des Völkerbunds- sckretariats und des Internationalen Arbeitsamts. Ins gesamt trugen etwa 50 Versammlungsteilnehmer Ver letzungen davon. Frankreichs „Sympathie»". — Paris, 14. Juni. Die französische Rheinliga veröffentlicht einen Aufruf, in dem gegen eine vorzeitige Räumung des besetzten Gebietes Protest erhoben wird. Der Abzug der französischen Truppen vom Rhein würde einen Akt der Schwäche bedeuten. Frankreich genösse am Rhein noch „ernsthafte Sympathien". Bergiftuugsto» einer Gräfin. — Berlin, 14. Juni. In der Mohrenstraße fan den nachts Passanten die etwa 40 Jahre alte Gräfin Elfriede Wolff-Metternich mit Verona! vergiftet auf. Sofort unternommene Rettungsversuche blieben wir kungslos. Was die Gräfin in den Tod trieb, bedarf noch der Aufklärung. : Weil sie nichts z» esse» hatten . .. — Berlin, 14. Juni. Einen Einblick in die Tiefe des Großstadtjammers gewährt erneut ein Vorfall in einem Hause der Rüdcrsdorfer Straße. Dort vergiftete eine 45 Jahre alte Frau sich und ihre zwölfjährige Adoptivtochter mit Gas, weil sie beide nichts zu essen hatten. Die Wiederbelebungsversuche führten nur bei dem Mädchen zum Erfolg. Mit vcm Lastauto die Böschung hinunter. — Saarbrücken, 14. Juni. Unweit Fechingen stürzte ein Lastauto einen Straßenabhang hinunter. Zwei Mitfahrer wurden von den, Auto totgequetscht, während der Chauffeur sich durch Abspringen noch rechtzeitig retten konnte. Mann, Fra» «n» Tochter ermordet. — Rom, 14. Juni. Eine Mordtat von unge heuerlicher Grausamkeit wurde in der Provinz Cotan- zaro (Kalabrien) verübt. In einem einsam gelegenen Hause wurden der Mann, die Frau und eine (9jährige Tochter im Schlafe ermordet aufgefunden. Die Leichen wurden in bestialischer Weise zugerichtet und zum Teil zerstückelt. Alsdann legten die Verbrecher Feuer an, dem ein Teil der Möbel anheimfiel. Neber ISO Personen ertrunken. — London, 14. Juni. Meldungen aus Kanton berichten, im Verlaufe der jüngsten Ueberschwemmungen seien mehr als 100 Personen ertrunken. Durch die Ueberschwemmungen habe der Eisenbahnverkehr eine Unterbrechung erfahren. , Schacht und seine Partei. — Berlin, 14. Juni. Die Nachricht des Ham burger Fremdenblattes, daß Reichsbankprüsident Dr. Schacht aus der demokratischen Partei ausgetreten sei, hat sich bestätigt. Dr. Schacht hat diesen Schritt unter nommen, weil er sich mit den letzten Entschließungen seiner Partei in der Fürstenfrage nicht einverstanden fühlte. Aus Stadt und Land. * * Wohnungsbau und Eheschließungen. Die Zahl der Eheschließungen beläuft sich alljährlich in Ber lin auf rund 30000. Die Zahl der Wohnungen, die im lausenden Jahre hergestellt werden, beträgt etwa 12 000. Diese beiden Ziffern schon reden eine recht ernste Sprache, denn mehr als die Hälfte der neuen Ehepaare lebt auf wahrscheinlich recht lange Zeit hin aus ohne Hoffnung, zu einer eigenen Wohnung zu ge langen. Zur Zeit zählt Berlin rund 100 000 Woh nungssuchende. Wenn nicht rascher als seither die Bautätigkeit fortschreitet, werden sich die Verhältnisse in absehbarer Zeit nicht unwesentlich weiter verschlech tert haben. * * 3,5 Millionen nngedcckte Mehrausgabe«. Ein heikles Stück Arbeit hat die Stadt Berlin vor sich. Bisher sind von den im Laufe der Haushaltsberatung^n beschlossenen Mehrausgaben insgesamt 3,5 Millionen Mark ungedeckt. Die Lage ist noch umsb schwieriger» als infolge der neuen Neichssteuergesetze die Steuerein nahmen aus der Reichseinkommen- und Körperschafts steuer sowie der Umsatzsteuer um ungefähr sieben Mil lionen Mark niedriger sein werden, als man erwartet hatte. Der Ausgleich soll durch eine 200prozentige Grundsteuer und einen Grundsteuersatz von 60 Mark herbeigeführt werden.. " Eine größere Anzahl von Betriebs« und Ber» kchrsu «fällen hat sich letzter Tage in Berlin zuge- iragen. Bei einer Explosion in einer. Teppich-Reini- zungsanstält wurde ein 38jähriger Tischler durch Stich flammen tödlich verletzt. — Ein 28 Jahre alter Arbei ter kam in Neukölln einem Kabel, das auf Hochspannung msprobiert werden sollte, zu nahe, erlitt einen elek trischen Schlag und war sogleich tot. — Beim Beladen son Förderkörben erlitt ein 60jähriger Maurer so er hebliche Quetschungen, daß er, ohne daß Bewußtsein nieder zu erlangen, starb. — Am Platz der Republik flog ein 22 Jahre alter Student, als er mit seinem Fahrrade ei^n Straßenbahnwagen überholen wollte, ;egen ein Auto, stürzte kopfüber in die Wagenscheibe ünd zog sich tödliche Verletzungen zu. — Ein 88jähriger früherer Berliner Stadtverordneter wurde an der Pots- »amer Straße von einem Straßenbahnwagen über- jahren und trug einen schweren Schüdclbruch davon. Bcr»«glückte Mitglieder »er russische» Han- »elsvertretung. Einen bösen Verlauf nahm ein Mo- torradausflug, den zwei in Berlin ansässige Mit glieder der russischen Handelsvertretung unternahmen, nuf der Chaussee zwischen Wvltersdorf und Königs- vusterhausen wurde die Maschine plötzlich an den äuße ren Straßenrand gedrängt, prallte gegen einen Baum and stürzte um. Während der Fahrer selbst mit leich- ieren Verletzungen davonkam, wurde der Insasse des geiwagens sehr erheblich verletzt vom Platze gc- iragen. Originettes von »er Berliner Erfindcraus- tellnng. In Berlin hat nun auch das Heer der Er- inder eine Ausstellung aufgemacht. Eine Fülle von Neuheiten, unter denen auch sehr häufig die drolligsten Linfälle vertreten sind, kann da angestaunt werden. Üm die Belästigungen der Kuhmagd beim Melken in Zukunft zu verhindern, hat z. V. ein Wohltäter der Menschheit eine — Kuh schwänz klamm er crfnn- )en. Der Gipfel aller Erfindergenialität dürfte jedoch )er Mülleimer sein, der zugleich — Natten rnd Mäuse fängt (!!!). Wein: das nicht zieht, steht wahrhaftig nichts mehr! . . . * * Furchtbare Wirkung eines Blitzes. Unweit AP and au, in Groß-Glienicke, schlug der Blitz in ein Gespann ein. Der Kutscher erlitt so beträchtliche Brand- vunden, daß der Unglückliche bereits bei der Einliefe- mng ins Krankenhaus seinen Geist aufgab. Auch die )rei Pferde des Gespannes sind getötet worden. Die aufsehenerregende NnterschlagnugSaffärc in Betershagcn zieht ständig unangenehmere Folgen mch sich. In der letzten Woche konnten bereits die ge- verblichen Unterstützungen nicht ausgezahlt werden, veil kein Geld in der Kasse ist. Zunächst wurde s s ge-