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Chronik des Tages. — Die Reichsregierung hat sich Vorbehalten, zur Wahl Dorpmüllers zum Generaldirektor der Reichsbahn erst Stel- U»ng zu nehmen, wenn die Beisctzungsfeierlichkeitcn für Oeser vorüber sind. — Anläßlich der Lübecker 700-Iahrfeicr ist der Dich ter Thomas Mann vom Senat zum Professor eruaunt worden. — Die Bayerische Pvlkspartei hat nun ebenfalls einen Aufruf erlassen, sich am Volksentscheid nicht zu beteiligen. — Nach langen Beratungen hat sich der Pariser Senat entschlossen, der Ratifikation der Locarno-Verträge zuzu- stimmen. — Auf die amerikanische Gesandtschaft in Montevideo ist ein Bombenanschlag verübt worden. Der neue Ches der Reichsbahn. Dr. Dorpmüller Generaldirektor. In der Freitagsitzung des Berwallungsrats der Deutschen Reichseisenbahngesellschaft wurde der bishe rige stellvertretende Generaldirektor Dr. Dorpmüller einstimmig zum Generaldirektor gelvählt. Zu seinem Stellvertreter ernauute man den bisherigen Direktor der Personalabteilung, Dr. Weirauch. r? > Ar. Dorpmüller. Die Beschleunigung, mit der der NerwaltungSrat die Wahl vollzogen hat, wo die sterblichen Überreste des bisherigen Chefs Oeser noch nicht einmal beige- setzt sind, hat in der Oeffentlichkeit ziemliches Erstaune« verursacht. Der Bertvaltungsrat, der gerade zu einer Lagnng versammelt war, hatte geglaubt, keine Beran» lassung zu haben, der bestehenden Uebereinstimmung nicht durch sofortige Wahl Ausdruck zu geben, um nicht nach Oesers Beisetzung eine neue Zusammenkunft an- setzen zu müssen. Dem Reichskabtnett selbst scheint die Wahl nicht so überraschend zu sein. Es verlautet, der Präsident des Verwaltungsrats, von Siemens, soll vor der Wahl Fühlung mit dem Reichskanzler genommen zu haben. Schon aus diesem Grunde ist anzunehmen, datz der Reichspräsident seine Be stätigung der Wahl ohne weiteres geben wir-. Daß Dorpmüller die Fähigkeiten hat, die zur Bekleidung der Stellung vorausgesetzt werden, ist zweifellos. ReuerbingS heißt es, das Reichskabinett werd« M dieser Wahl erst nach der Beisetzung des verstorbene« Generaldirektors Oeser Stellung nehmen. Die Ab« Sehnung der Wahl wäre somit nicht ««möglich. Dorpmüller ist als stellvertretender Generaldirek tor im Juni 19^5 auf Empfehlung Oesers vom Verwob tungsrat berufen worden. Früher war er in der preußischen Staatseisenbahnverwaltung tätig. Er war 1907 im Dienst der Schantung-Bahn in Tsingtau und später Chefingenieur der chinesischen Staatsbahn Tientsin—Pukow. 1922 wurd« er Präsident der Reichsbahndirektion in Oppeln, im Herbst W24 der Reichsbahndirektion Essen. Als Sachverständige» mchm er au den Beratungen über das Dawesgutachten teil. Gr steht jetzt im 57. Lebensjahre. Während der Krankheit Oesers hat er schon seit längerer Zeit die Geschäfte des Generaldirektors mit Verständnis geleitet. Wegen seiner Verdienste um daS Eisenbahnwesen ernannte ihn im De zember 193S die Technische Hochschule in Aachen zum Dr. ing. h. e. Die Finanzlage der Reichsbahn ist zmr «eit nicht besonders günstig. Die täglichen Einnahmen »leiben «och immer nm etwa 1,5 Million«« Mark hinter de« Boranschlag zurück. Zu den Nachrichten über die Wahl deS General direktors verlautet noch, daß am Freitag abend ein Schreibe« des Staatssekretärs der Reichskanzlei dem Generaldirektor der Reichsbah« überbracht worden ist, worin es ausdrücklich heißt, daß die Reichsregiernug sich die Entscheidung Vorbehalte« müsse bis nach de« Bei» setzuUgsjeierllchätt«« für Oeser. Politische Rundschau. —Berlin, den 7. Juni 1926. Rls ber Neichskommissar für die besetzten Gebiete, ^"'Averth von Simmern, sich in Landau die Wünsch« nsn^MS der Besatzung vortragen ließ, stürzt« plötzlich Stadtrat Goebel, vom Herzschlag getroffen, zu sammen. ist jetzt völlig wieder hergestellt und hat seine Dienstgeschäfte übernommen. :: Kür «nd gegen den 2g. Juni. Die S P D. hatte am Donnerstag 15. Vollversammlungen in ver schiedenen Teilen der Stadt einbcrufen. Die Redner der Partei brachten zum Ausdruck, daß die für den Volksentscheid notwendigen 20 Millionen Stimmen auf- gebracht werden müßten. Gelinge das nicht, so würde das einen Sieg der Reaktion bedeuten. Die Vereinigten vaterländischen Verbände Deutschlands haben einen Aufruf gegen den Volksentscheid erlassen: Keine Stimme dem Volksentscheid! Bleibt am 20. Juni der Ab stimmung fern! Auch die ReichSlettung der deutschvül- Sschen Freiheitsbewegung fordert ihre Anhänger in einem Aufruf auf, beim Volksentscheid nicht abzu- stimmen. :: W«hllr«cht für bi« Ekternbeiräw. Einer Mtt- tettuua des tmooüitche« LulluSminitter« »Eot« solle» die Elternbelräte"reine Elternvertretuugen^ul. Des» halb steht, wenn Zöglinge von Erziehungsanstalten IWaisenhüuseru, Rcttungshäusern usw.) öffentliche Volksschulen besuchen, das aktive und passive Wahl recht den Eltern, den Halbwaisen, dem lebenden Eltern teile, für uneheliche Kinder der lebenden Mutter, nicht der Anstaltsleitung zu. Dagegen haben die Leiter der Erziehungsanstalten für Vater- und mutterlose Zög linge (Vollwaisen), die öffentliche Schulen besuchen, das aktive nnd passive Wahlrecht, wenn ihnen die elter liche Gewalt über diese Kinder zusteht. :: Ter Fall Lessing in Hannover. Im Preußi schen Landtag ist eine deutschnationale Anfrüge ein gegangen, die sich mit den Zuständen an der Technischen Hochschule befaßt. Es heißt darin u. a., ob der Kultus minister bereit sei, die Ruhe durch Entziehung des Lehrauftrages Lessings von dort wieder herzustellen. „Soll etwa gar die Hochschule Hannover geschlossen werden und dadurch die Unruhe von Hannover aus auch auf andere Hochschulen Deutschlands ausgedehnt wer den?" :: Las neue bentsch« Luftschiff. Dr. Eckener sprach in Jena, nachdem er einen Rückblick auf das deutsch französische Luftfahrtabkommen geworfen hatte, über das neue Luftschiff in Friedrichshafen. Es wird 100 000 Kubikmeter Naum haben und mit völlig neuen Motoren ausgestattet sein, die nicht allein durch Ben zin, sondern durch ein neu entdecktes Gas betrieben werden. Durch diese Neuerung sei die Leistungsfähig keit um 20 Prozent erhöht. Rundschau im Auslande. k Die belgische Kammer hat die Ratifikation de» Washingtoner Abkommens mit 103 gegen 3 Stimmen be schlossen. ; Auf die Frage des kommunistischen Abgeordneten Henriet in der Pariser Kammer, wie es mit der Korre spondenz Abd el Krims stehe, antwortete Patnlevä, man habe überhaupt keine verdächtigen Briefe gefunden. ; In Portugal ist die Provisorische Regierung durch definitive Fachminister abgelöst werden. ; In England soll setzt eine Lösung des Bergarbeiter- konflikts auf der Basis der Verlängerung der Arbeitszeit gesucht werden, doch ist kaum anzunehmcn, daß sie Erfolg haben wird. * Ausnahmezustand in Posen. ; Kurz vor der Prograinmäßige» Demission der War schauer Regierung Bartel, wurde noch eine Verordnung erlassen, durch die in den Wojwodschaften Posen und Pom« merellen der Ausnahmezustand erklärt wird. Die separa tistischen Bewegungen in diesen Provinzen sollen ent schieden bekämpft werden. Finanzkontrolle und Roteufälscher. ; Der ungarische Ministerpräsident Graf Bethlen hat in Genf im Finanzkomitee des Völkerbundes sofortige Auf hebung der Finanzkontrolle in Ungarn gefordert. Budge täre Bedenken wurden dagegen nicht geäußert, aber aus Gründen, die mit der Frankenfälscheraffäre zusammenhän gen, erhoben das französische und das tschechische Mit glied des Komitees den Einwand, daß trotz des Budget- aleichgewichts die finanziellen Voraussetzungen zur Auf, Hebung der Kontrolle nicht gegeben seien. Es soll ein An trag auf Abschluß einer Konvention gegen die Fälscher eingebracht werden. Gegen -ie Enteignung. Kundgebung des Deutsch-evangelische« Kirche«- ansschusses. In seiner Tagung vom 3.-8. Juni in Eisenach hat sich der Deutsch-evangelische Kirchenausschuß mit dem kommenden Volksentscheid befaßt und zwar mit der Begründung, daß es sich in der Fürstenfrage auch um eine Sache des christlichen Gewissens handle. Die Entschließung lautet: „Angesichts des bevorstehende« Volksentscheides erklärt der Deutsch-evangelische Kirchenansschnß, ohn« z« den politischen nnd juristischen Kragen Stellung zu nehme», vor der Öffentlichkeit: di« beantragt« ent schädigungslos« Enteignung bedeutet die Entrechtung deutscher Bolksgenossen «nd widerspricht klare«, ««» zweideutigen Grundsätzen des Evangeliums." Eine Erklärung der deutschen Bischöfe. Ebenso tritt die Gesamtheit der deutschen Bischöfe mit einer Erklärung hervor, in der betont wird, daß ,äver Gerechtigkeit für jeden fordert, sie nicht den Fürsten verweigern darf." Eine rechtswidrige Verge waltigung würde erfolgen, wenn eine unzulässige und ungerechte Enteignung durchgesührt würde. So sei als unzulässig eine Enteignung zu bezeichnen, die ohne Not, ohne gerechte, zwingende Gründe erfolgt. Un gerecht würde sie sein, wenn sie ohne solche Entschädi gung erfolgen würde, die als angemessen zu betrach ten sei. Der in Eisenach versammelte Deutsche Evaugelisch« Kirchenansschutz hat de» Auschlutzautrag der öfter« reichischen evangelische« Kirche« a« de« Deutsche« Mrcheub««d genehmigt. Die Stimmliste« zum Volkseutscheid. Amtlich wird mitgeteilt: Beim Volksentscheid am 2V. Juni sind nur diejenigen Personen stimmberech tigt, die in eine Stimmliste oder Stimmkartei einge tragen sind oder einen Eintragungsschein besitzen. DaS Verzeichnis der Stimmberechtigte« liegt i« allen deut sche« Gemeinde« in der Zeit vom «.—IS. Juni zur allgemeine« Einsicht öffentlich aus. Jeder Stimmberechtigte ist befugt, Einsicht in diese Liste zu nehmen und Unrichtigkeiten zu beanstanden mit der Wirkung, daß sehlenoe Stimmberechtigte nach gelragen, zu Unrecht eingetragene Personen gestrichen werden. Die Eintragungen in die Stimmlisten und Stimmkarteien bilden die Unterlagen für die Er mittlung der Gesamtzahl der Stimmberechtigten im ganzen Reiche, die für die Bewertung des Abstim mungsergebnisses ausschlaggebend ist. Es würde daher erwünscht sein, wenn die Bevöl kerung von der Möglichkeit, durch Einsichtnahme in die Stimmlisten und Sttmmkarteien an deren Bereini gung mitzuwirken, weitgehend Gebrauch mache« würde, unabhängig davon, ob der Einzelne sich an der Abstimmung beteiligen will ohtr nicht. „Vertrauen, aber Wachsamkeit." Ratifizierung der Locarno-Verträge tm Pariser SenaL. Stach laugen Berhaudluugen für «ud wider sprach sich der Pariser Senat mit 272 gegen 6 Stimmen, bek 278 Abstiunnende«, für die Ratifizierung der Locarno« Berträge aus. Der Vorsitzende der Auslandskom- mission, Hubert, betoute, die Auffassung der Kom mission lasse sich so ausdrücke«: „vertrauen, aber Wach samkeit." Die ganzen. Verhandlungen, die fast 2 Tage dauerten, standen im Zeichen des Mißtrauens gegen den deutsch-russischen Vertrag. Ueber diesen „Berliner Vertrag wurde eigentlich vielmehr gesprochen als über die zu ratifizierenden Locarnoverträge selbst. Senator Lamertz hatte beantragt, die Ratifi kation zu vertagen bis zum Eintritt Deutschlands in den Völkerbund. Lamertz begründete seinen Antrag damit, daß er behauptete, Frankreich hätte durch den Locarno-Vertrag keine größeren Sicherheiten gewonnen, als es schon vordem hatte. Deutschland habe ja mit Rußland ein Bündnis geschlossen, das sich, gegen den Völkerbund richte. Der deutsch-russische Vertrag raube dem Völ kerbund sein moralisches Ansehen und seine Autori- llit als Schiedsrichter und setze zugleich die wirtschaftliche Blockade außer Kraft, die die einzige Waffe des Völker bundes bilde. Durch Artikel I des Vertrages behalte sich Rußland das Recht vor, alle Verhandlungen Deutschlands im Völkerbund zu überwachen. Lamertz suchte seinen Antrag weiterhin zu mo tivieren, indem er sagte: „Wenn der Bund z. B. er klärt, Rußland sei der Angreifer, so ist Deutschland nach diesem Vertrag keineswegs an diese Entscheidung gebunden." Frankreich dürfe keine Schwächung des Völkerbundes zulassen. Der Locarnovertrag könne also erst dann ratifiziert werden, wenn Deutschland nach seinem Eintritt in den Bund mit näheren Erklärun gen herausgerückt sei. Brianb widersetzt« sich der vertaguug. Ministerpräsident Briand meinte darauf, «in« Ver tagung der Ratifikation käme auf eine Beseitigung des LoearnoabkommenS heraus. Nun sei die Zeit gekom men für die Annahme von Locarno. Wenn beim nächsten Kongreß des Völkerbundes die Verträge noch nicht ratifiziert wären, könne Deutschland darin einen guten Vorlvand finden, um sich aus Genf zurüctzu- ziehen. — Auf die Ausführungen eines weiteren Red ners meinte Briand: „Man kann behaupten, daß der deutsch-russische Vertrag die Verwerfung des Lo» carnovertrages notwendig mache. Aber man kann nicht behaupten, daß er eine Vertagung notwendig mache." Die „Maikäfer" schwirren. Jahrhundertfeier des Garde-Füsilier- Regiments. Ans dem vo« Reichskriegsflaggen >tmsänmt«n Moa biter Ererzierplatz i« Berlin fand die Einhuudertjahr- feier des Garde-Küsilier-Regiments statt. Im ganze» hatte» sich 4000 alt« Gardefüsiliere und 200 alte Bete- ra«en aus den frühere» Kriege» ei»gefu»ve». Vertreter der Reichs- und Staatsbehörden waren zu der Feier erschienen, für Berlin Stadtrat Dr. Rich ter als Vertreter des Oberbürgermeisters Böß. Ge neraloberst v. Seekt nmrde durch den Kommandanten von Berlin, Oberst Severin, vertreten. Auch für den Reichspräsidenten war ein Vertreter erschienen. Von Offizieren der alten Armee sah man General von Quast, General v. Roeder, Generalmajor Graf v. d. Schulenburg (der bis Februar 1918 das Garde-Füsilier- Regiment führte), Generaloberst v. Lindequist, Gene ral Hutier, General v. Crammon und General von Löwenseld, den ehemaligen Kommandeur des Garde- du-Corps, Oberst von Holleben und Major v. Zobeltitz: General v. Eberhardt, der im Felde zuletzt die 7: Armee geführt hat, erinnerte noch einmal an die ruhmreiche Geschichte »es Garde-Füsilier-RegimentS, Ueberall hätten die Maikäfer Siege errungen, tm Oste« und im Westen, in Galizien, in den Karpathen, in Flan dern, an der Somme und in der Champagne, überall sei das Blut der Helden geflossen. Die grüßte Waffen- tat, die die Maikäfer vollbracht haben, der Durch bruch bei Brzeziny unter Führung des Generals Litz- mann, sei unsterblich in der Geschichte des deutschen Heeres. In der Reichswehr würden diese Tugenden Wetter gepflegt werden, und die alten Maikäfer könn ten stolz darauf sein, daß in den beiden TraditionSkom- pagnien derselbe Geist herrscht. Treu bis zum Tod« und das Leben für das Vaterland! Ser K«l»gottcsvienst and aus dem Kasernenhof in der Rathenower Straft« tatt. Auf dem großen Platz hatten etwa 8000 Per- onen Aufstellung genommen, die die Liebe zu dem allen Regiment und der Wunsch, alte Kameraden nach Jahren wtederzusehcn, nach Berlin eilen ließ. De, Kommandant von Berlin, General Severin, schrill die Front der beiden Prenzlauer TraditionSkomPag- nien mit tbren Fahnen ab. Am Feldaltar, der von Gre nadieren in den historischen Uniformen des Garde» Füsilier-Regiments flankiert wurde, erschien DtvistonS- Pfarrer Irmer. Seine Worte widmete er haupt sächlich den Toten. Der katholische DtvisionSpfarre, Langenstein gedachte ebenfalls ehrend der Toten. Die Feier sand ihre« Abschluß »urch «ine« Pa- rademarsch. Am Sonntag war in Kaulsdorf ein JubtläumS- vreissäüeßen des SchükenveretnS Maikäfer. Am Abent sand dann in allen Sälen des KrtegerveretnShauseS und den Germania-Prachtsälen der große Maikäsertag statt. An den Eingängen der Kasernen in der Rathe nower Straße und der Seydlitzstratze hatten sich große Zuschauermengen angesammelt, die den Abmarsch bei Lradittonskompagnten und Vereine mit freudiger Auf merksamkeit betrachteten. 1 oo 1 Reichshauptstabt wurde km Mai vo« 122 196 Fremden besucht, gegenüber 121 SSL i« April. Darunter befand«» sich 16 887 «nM«d«r.