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Beilage zur Weitzeritz-Zeilung NrH Sonnabend, am 2U. März lS26 S2 Jahrgang > - - ' » Wil -z 7. > ^1" ,..U—Ez Chronik des Tages. - Die Rcichsregierung wird bei der parlamentarischen Erledigung der Genfer Fragen ein positives Vertrauens votum fordern. , — Ter Aeltestenausschuß des Reichstages hat beschlos sen, die große außenpolitische Debatte am nächsten Montag beginnen zu lassen. , „ — Tas Londoner Arbeitszeitabkommen ist von Deutsch land, England, Belgien, Frankreich und Italien unterzeichnet morden Von Woche z« Woche. Randbemerkungen zur Zeitgeschichte. o» Läßt man den wechselvollen politischen Film, der sich in Genf abgespielt hat, noch einmal kurz vorüberrollen, so darf man zunächst wohl feststellen, daß die Versammlung in einer Atmosphäre von Miß trauen und Unaufrichtigkeit zusammengetreten ist, die von Anfang an wenig Hoffnungen ließ. Die außer ordentliche Völkerbundsversammlung hatte den einzi gen, ausgesprochenen und unbestrittenen Zweck, Deutsch land in den Völkerbund aufzunehmen und ihm einen ständigen Ratssitz zu sichern. Das unaufrichtige Spiel begann damit, daß einige Wochen vor dem Zusammen tritt der Versammlung die polnische Forderung nach einem Ratssitz aufgestellt wurde, — eine Forderung, von der uns in Locarno nicht das geringste gesagt wurde — und daß diese Forderung in Frankreich offene, im englischen Außenministerium verhüllte Unterstützung fand. Die Kompromisse überstürzten sich. Und schließ lich platzte das brasilianische Torpedo, — man sieht im Hintergrund das Schattenspiel des römischen Lorpedokommandanten, der den Befehl dazu gab. Der brasilianische Gesandte in Paris, ein bedeuten der Staatsmann vielleicht im lateinischen Amerika, aber eine vollständig unbekannte Figur auf dem europäischen Schachbrett, stand plötzlich im Mittelpunkt der euro päischen Interessen. So geht der Film weiter. Schließlich entstand tn bengalischer Beleuchtung ein wahres Harakiri-Fest: als Opfer fungieren Schweden und die Tschechoslowakei, um Polen gefällig zu sein. Da nahte sich denn der Tragikomödie Schluß: Vertagung. Polen verläßt als vorläufiger Sieger den Kampfplatz und die italie nische Delegation kann Herrn Mussolini erzählen, daß ihre Arbeit nicht nutzlos war: der Völkerbund ist ge schädigt, der Geist von Locarno verflüchtigt sich und Deutschland hat seine Quittung für Südtirol. Die Rückwirkungen der Genfer Begebenheiten auf die innere Politik der einzelnen Staaten können natürlich nicht ausblciben. In Frankreich hat Briand bereits den Kampf vor der Kammer ausgefochten, doch drehte es sich hierbei mehr um innere Angelegenheiten, wäh rend die Genfer Politik mehr in den Hintergrund ge drängt würde. Etwas heißer wird es im englischen Unterhaus hergehen, wo die Opposition mit ihrer Kri tik an Chamberlains Völkerhundspolitik nicht zu rückhalten dürfte. Gleichwohl ist nicht damit zu rechnen, daß die englische Negierung ihren Außenminister fallen lassen wird. Eine „fristlose Entlassung" wird schon des wegen nickt erfolgen, weil das Prestige der Regierungs partei selbst darunter leiden würde. Nachdem die Fehler einmal begangen sind, will man alles daran- jetzen, von dem Ansehen des Völkerbundes zu retten, was zu retten ist. Eine offene Verleugnung Cham berlains aber würde diesem Wirken entgegenürbeiten. So dürfte auch Chamberlain diese Krise noch einmal überstehen; daß man mit ihm irgendwann abrechnen wird, ist zweifellos. Auch die Reichsregierung, und insbesondere ihre Vertreter in Genf, Dr. Luther und Stresemann, wer den sich anfangs nächster Woche mit dem Reichstag aus einanderzusetzen haben. Ohne Zweifel wird es ein harter Strauß werden, da die Oppositionsparteien — Deutschnationale, Völkische und Kommunisten — die beiden Delegierten mit allen parlamentarischen Mit teln bekämpfen wollen. Das Reichskabinett hat in zwischen die Haltung der deutschen Delegation einmütig gebilligt und hofft auch, bei den Verhandlungen im Reichstag ein klares Vertrauensvotum zu erhalten. Er füllen sich diese Hoffnungen, dann wird sich die Rcichs- rcgierung darüber schlüssig werde» müssen, wie fie Vch der Septembertagung des Völkerbundes gegenüber zu verhalten hat. Jedenfalls dürfte es sich empfehlen, nicht wieder eine deutsche Delegation nach Genf zu schicken, bevor alle Vorfragen tn einer Weise erledigt st- d, die Deutschland den Eintritt in den Völkerbund möglich maust. Eine Wiederholung des Genfer Trauer- sniels könnte das Kabinett Luther-Slrelemann nicht überstehen. Briands Vertrauensvotum. 34l gegen 165 Stimmen. Die franzvsisä>e Kammer hat nach einer stürmt» chen Aussprache dem neuen Kabinett Briand mit 341 ,cgc» 165 Stimmen das Bcrtranen ausgesprochen. Gleich zu Beginn der Sitzung gab Briand die Seglern ngscrklürung ab, die er aus der Rück- :eise von Gens im Zuge auegearbeitet und bei seinem kintrcffen in Paris dem Miuu.errat unterbreitet hatte, kriand stellte fest, daß er die innere Politik des letzten Kabinetts fortsetzen werde. Die zur Sanierung der Finanzen notwendigen Maßnahmen müßten sofort mit aller Energie in Kraft gesetzt werden, nm dem drvi.uiden finanziellen und ivirtschastlichcn Ruin Frankreichs enigegenzntre.cn. Zur Außenpolitik übergehend erklärte Briand: Tic Gen fer Vertagung der Zulassung Deutschlands zum V'l» kerbnnd sei sehr zn bedauern. Erfreulich sei demgegen über, daß die Lorarnvmüchte ihr Werk einer ähnlichen Ungewißheit entrissen und dieses sicher gestellt haben. j In der öffentlichen Kundgebung, die sie erlassen hätten, i werde bestätigt, daß die Locarnoverträge ber- behalten werden und ihr Geist weiterent- > wickelt werden soll. vhnmachtsanfall des Innenministers Malvy. In der Aussprache über die Regierungserklärung i richtete der Poincarist Ybarnegaray heftige An- ! griffe gegen die Person des Innenministers Malvy. Der Redner erklärte, daß die Anwesenheit dieses unter der Regierung Clemenceau wegen Hochverrats verur teilten Mannes im Ministerium eine Herausforderung i der Nationaldenkenden darstelle. Als in der sehr stür- . mischen Debatte der neue Innenminister Malvy sich ! gegen die Angriffe der Rechten verteidigte, erlitt er einen Ohnmachtsanfall und mu^te hinausgetragen wer den. Es kam zu so heftigen Auseinandersetzungen zwi schen den Parteien, daß die Saaldtener eine Kette btl- oeten, um eine Rauferei zu verhindern. Malvy er holte sich später wieder. Die Debatte endete schließlich mit der Annahme des Vertrauensantrages. KabineLtsrat über Genf. Das Reichskabinett billigt die Haltung der deutschen Delegation. — Fortführung ; der Locarnopolitik. Nach der Rückkehr der deutschen Delegation er stattete der Reichskanzler alsbald dem Reichspräsiden ten v. Hindenburg ausführlichen Bericht über die Vor gänge in Genf. Im Anschluß daran wurden die Gen fer Verhandlungen in einem unter Vorsitz des Reichs kanzlers abgehaltenen Ministerrat durchberaten, nach dem die beiden Delegierten Dr. Luther und Dr. Strese mann ihre fortlaufenden schriftlichen Berichte durch mündliche Darlegungen ergänzt hatten. Tas Reichskabinett billigte einstimmig die Hal tung der deutschen Delegation und nahm insbe- i sondere davon Kenntnis, Laß durch die in Gens getroffenen Abmachungen die beiderseitige Aortfüh» rung der Locarnopolitik gewährleistet ist. Die Rcichsregierung wird bei der par lamentarischen Erledigung der Genfer Fragen ein po sitives Vertrauensvotum fordern. Mißtrauensantrag der kommunistischen Reichstags- fraktion. Die kommunistische Reichstagsfraktion hat fol gende Interpellation eingebracht: „Ist die ReichSregie- rung bereit, angesichts des katastrophalen Zusammen bruchs der Völkerbundspolitik in Genf, sofort das Ein trittsgesuch Deutschlands in den Völkerbund zurückzu ziehen?" — Ferner hat die kommunistische Reichstags fraktion beschlossen, bei der bevorstehenden Debatte über den Außenetat einen Mißtrauensantrag gegen das gesamte Kabinett einzubringen. Chamberlain bleibt. - DteKriseim englischen Außenamt vertagt. ! Der englische Außenminister Chamberlain ist am Freitag nach London zurttckgekehrt. Die große außen politische Debatte im Unterhaus über Genf ist auf nächsten Dienstag festgesetzt worden. Lloyd George wird eine Angriffsrede gegen Chamberlain halten und einen liberalen Mißtrauensantrag be gründen. Eine Erschütterung der Stellung des Außenmi nisters durch den liberalen Vorstoß ist jedoch nicht zu erwarten, da die englisch« Regierung »er Ansicht ist, »atz eine fristlose Entlassung Chamberlains »er Würde Englands nicht entsprechen würde. Die konservative Mehrheit ist Chamberlain also sicher. Autzervem aber wird auch die Arbeiterpartei von einem parteiamtlichen Mißtrauensvotum mit Fraktionszwang abschen und es »en eigenen Anhängern sreistellen, für oder gegen das liberale Mißtrauensvotum zu stimme«. Die Krise im englischen Außenamt ist damit zu- trächst vertagt, damit das Kabinett Zeit gewinnt, bis zur nächsten Sitzung des Völkerbundsrates im Juni einen geeigneteren Nachfolger für Chamberlain zu suchen. Politische Rundschau. — Berlin, den 20. März 1926. — Ter österreichische Bundespräsident Dr. Hainisch wird sich zur Eröffnung der Zugspitzbahn im April nach München begeben. Bei diesem Anlaß wird er sich mit dem Reichspräsidenten v. Hindenburg zu einer freund schaftlichen Begegnung treffe». — Ter Reichstag beschloß, die Verkündung des Ge setzes zur Vereinfachung des Militärstrafrechts um zwei Monate auszusetzen. :: Der Gis.hentwurf über die Fürstencnteignung. Die Sozialdemokraten haben den Gesetzentwurf über die entschädigungslose Fürstenenteignung, der dem Volksbegehren zugrunde liegt, nunmehr auch im Reichs tag eingebracht. Danach soll das gesamte Vermögen der Fürsten zum Wohle der Allgemeinheit ohne Ent schädigung enteignet werden. Das enteignete Vermö gen soll Eigentum des Landes werden, in dem das betreffende Fürstenhaus bis zu seiner Absetzung oder Abdankung regiert hat. Das enteignete Vermögen soll zugunsten der Erwerbslosen, der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, der Sozial- und Kleinrentner usw. verwendet werden. :: Ocscr verteidigt die Reichsbahn. Auf einem parlamentarischen Abend der Deutschen RcichZbahnge- scllsckwft, zu dem Vertreter der Negierung, der Par lamente, der Wirtschaft, des Handels und der Presse erschienen waren, hielt Generaldirektor Dr. Oeser einen Vortraa über die Laae und die Aufgaben der Reichsbahn. Der Vortragende hob die großen Auf gaben hervor, die die Reichsbahn als Trägerin von 40 Prozent Reparationslasten bei der Angleichung ihrer wichtigen Erwerbsaufgaben an die volkswirt schaftlichen Interessen zu erfüllen hat. Dr. Oeser wies die Angriffe gegen die Reichsbahn wegen übertriebe nen Aufwandes und Verschwendungen als unzutreffend zurück. Dr. Oeser bat zum Schluß um Verständnis der Schwierigkeiten und um das Vertrauen, daß die Reichsbahn mich in ihrer neuen Gestalt zu allererst dem Reiche diene. Rundschau im Auslande. ; Oberst Coolidge, der Vater des Präsidenten der Bereinigten Staaten, ist im Alter von 81 Jahren gestorben. ; Tie Antwort der chinesischen Regierung auf das Ultimatum der Mächte inbezug auf die Wiederherstellung des freien Austritts in die See auf dem Flnßwege von Tientsin wird als befriedigend angesehen. Das neue tschechische Kabinett. L Die neue tschechv slowakische Regierung ist vom Präsi denten Masarhk offiziell ernannt worden. ES handelt sich um ein sogenanntes Beamtenläbinett, dem auch einige Par lamentarier als Fachministcr angehören. An der Spitze des Kabinetts steht der bisherige Landeschcf der mährischen Verwaltung in Brünn, Czerny, der neben der Minister präsidentschaft noch das Innenministerium übernommen hat. Das Außenministerium wurde wieder Dr. Benesch über tragen. Tie neue Regierung wird sich im Wgeordmstenhaus bei Beginn der nächsten Session, am 24. d. M., vorstellen. Tw Debatte über die Regierungserklärung wird dann am 26. und 27. März stattsinden. Zusammentritt ver Wcltwirtschaftskoufcrenz am 26. April. Z Tas Komitee zur Vorbereitung der Internationalen Wirtschaftskonferenz wird, wie jetzt endgültig fcstsleht, am 26. April in Genf znsammemrcten. Eine Beteiligung Sow- setrußlands dürfte kaum in Frage kommen, da der General sekretär des Völkerbundes von dem russischen Volkskom missar Tschitscherin ein Telegramm erhalte»! hat, in dem Tschitscherin nochmals unterstreicht, daß Voraussetzung für die Teilnahme der russischen Sachverständigen an der vor bereitenden Kommission für die WcliwirtschaftSkonferenz sei, daß diese nicht in der Schweiz tage, j Das Londoner Arbeitszcitabkommen unterzeichnet. i x Dis Londoner Arbeitszcitkonfcrenz hat ihr Ende ! erreicht. Am Freitag vormittag wurde das erzielte lieber etnkommen von den ArbeitSw.inö'ern Tevtschlands, Eng lands, Frankreichs, Belgiens und Italiens unterzeichnet Die deutsche Delegation hat sosort die Heimreise angetreten Die deutsche Wirtschaftspolitik. — Berlin, den 19. März 1926. ReichStagsredc »es Reichswirtschaftsministers Dr. Cnrtius. Im Rahmen der zweiten Lesung des Reichshaushalts Uelt der Reichswirtschnftsminister Dr. LurtiuS heute im Reichstag eine große Rede, in der er die Aufgaben d>s lteichswirtschaftsministeriums und die Grundzügs der gegcu- värtlgcn Wirtschaftspolitik behandelte. Zunächst kam er aui »te außenhandelspolitischen Fragen zu sprechen. Der Han- »elsumsatz Deutschlands im Jahre 1925, so führte der Mi nister aus, beläuft sich in Ein- und Ausfuhr auf 21.2 Rilltarden Mark, das sind 36 Prozent mehr gegenüber 1924. Infere Handelsbilanz ist aber immer noch Passiv gewest n. Venn tn den Monaten Januar und Februar d. I. die RonatSbilanz aktiv geworden ist, so beruht dieser Wechsel ! n erster Linie aus einem starken Rückgang der Einfuhr and erst tn zweiter Linie auf einer geringen Hebung der Ausfuhr. Ein wesentliches Mittel, die unserer Ausfuhr ast überall in der Welt bereiteten Schwierigkeiten zu über winden, liegt in einer erhöhten Aktivität unsere» Handclsvcrtragspolitik. > Die tatkräftige-Verfolgung der Handelsvertragspolitik ist jedoch durch den Währungsverfall in anderen Staaten erheblich verzögert und gestört und unser gesamter Jnnen- und Außenhandel durch das Valutadumping geschädigt wor den. Hiergegen durchgreifende Abhilfe zu schaffen, liegt außerhalb der Einwirkung der Handelspolitik eines einzel nen Landes. Die Lösung dieses Problems dürfte eine der dankbarsten Aufgaben für die kommende Wirts chafts- konserenz sein. Bei Behandlung der d c u t s ch - fr a n z ö s i s ch e u Handelsvertragsverhandlungen ging der Minister mit einige« , Worten aus die internationalen Eisenwirtschaftsverhand- lungen ein. Es ist Vorsorge getroffen, daß ein Abschluß nicht ohne Genehmigung der Reichsregierung erfolgt. Tie i Entwickelung unserer Handelsbeziehungen zu England oersolgt die Regierung mit großer Sorge. Nach den getroffe nen Vereinbarungen brauchen wir auf keinen Fall z< dulden, daß die Engländer Zölle cinführen, die unsere« Handel abträglich sind. Gegebenenfalls werden wir von dem Schiedsgerichtsverfahren Gebrauch mache». ES ist zu hoffen, daß der Geurralagent für »ic Repa rationen seinen ganzen moralischen und politischen Einfluß »ufwcndet, damit die Gläubigerländcr die deutsche Ausfuhr bereitwilliger als bisher ausnehmen, sonst wird eine »er grundlegenden Voraussetzungen für die Erfüllung deü TawcSPlaneS wegfallen. Vielleicht läßt sich eine gewisse Klärung der Frage, ob die Voraussetzungen zur Durchführung des DawcsplaneS in der gegenwärtigen Wirtschaftspcriode bereits beeinträch tigt werden, von der Tätigkeit des von uns beantragte« Engueteausschusses erwarten. Eine unmittelbare Gefähr dung der deutschen Sozialpolitik durch die Durch führung des Tawesplanes ist bisher nicht fest zu st el- len. Ter Minister ging hierauf zu den Fragen der Bin ne »Wirtschaft über und erörterte zunächst die vorüber gehenden Hilfsmaßnahmen der Reichsregicrung, u. a. die Aussallgarantie bei dem Export nach Rußland, und die Ein richtung der Exportkreditversicherung. Ter Baumarkt soll durch einen Zwischenkredit von 200 Millionen belebt werden, sehr schwierig ist Vie Lage veS Ruhrkohlenbergbanes; sollte etwa eine Ncgicrungöunterstützung des englische» Kohlenbergbaues über den 1. Mai hinaus fortgesetzt werde», so kail» ich zugleich namens des FinanzmiuisterS erklären^