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Beilage zur Weitzerty Zeitung Nr. 40 Mittwoch, am 17. Februar 1926 vr. Gerhard Fischer. -ndei ist. ^/o/- »V/7 Buntes Allerlei. Lanziehen und Bubikopf. Nicht nur Simsons Stärke hat im langen Haar gelegen; es scheint, daß auch die Stärke der Damen im Haare ihren Sitz hat. So fand nämlich dieser Lage ein Tauziehen zwischen zwei weiblichen Sportvereinen statt, deren einer mit ran gen Haaren auftrat, während der andere ausschließlich aus Bubiköpfen bestand. Und da stellte es sich heraus, datz die „Bubiköpfe" keineswegs so viel Kraft hatten, wie die langhaarigen Frauen. Man könnte daraus vielleicht den Schluß ziehen, daß das schwache Ge schlecht durch seine Nachahmung des starken Geschlechts noch schwächer wird. T. K. Ein Klub, der gerade noch gefehlt hat, ist unlängst, einer Bukarester Meldung zufolge, in Grvßwardein ins Leben getreten. Der Klub hat. deul Btinddarm wegen seiner angeblichen Schädlichkeit für den menschlichen Organismus den schärfsten Kam s angejazt. Die Mit gliedschaft kann nur unter vec ehrenwoetlichen Ver pflichtung erreicht werden, daß das neue Knwnutglied sich bereits im ersten Jahre seiner Zugehörigkeit zum Verein den Blinddarm durch einen Arzt entfernen läßt. Bei der Gründungsfreudigkeit in Grvßwardciu wird man nächstens vielleicht auch noch einen Klub zur Be kämpfung der Glatze, der Plattfüße und der Hühner augen erwarten dürfen. (s-> Bombenreklame mit Rcklamcbomben. Der Di rektor des Theaters Plaza zu San Diego in Kalifor nien har offenbär von seinen europäischen Kollegen gelernt, wie man von sich reden macht. Er begab sich Kopfbcwegung und einem leuchtenden Lächei. Flusse. Ein Nachen glit Mützen, fröhliche Mädch horchte, Landschaft 'illkürlich er dann nit einer nach dem litt hinab, Studenten init roten hen, und die jungen Stimmen Auf der Zobeljagd. Zobel und Lachs sind die Ernährer von Kam tschatka (Sibirien). Gäbe es diese Tiere nicht, so wäre das Land nur von den Nomadenvölkern bewohnt, die das Rcnntier züchten. Der Zobel ist es, der die Schiffe »er großen Pelzfirmen in die Häfen lockt, nnd eS ist eine merkwürdige Tatsache, daß fast die ganze Volks Wirtschaft eines Landes an diesem kleinen Tier hän gen kann, dessen Pelz ein reiner Luxusgegenstand ist. fangen: „Nicht rasten und nicht rosten, Weisheit und Schönheit kosten, Durst löschen, wenn er brennt, Die Sorgen verfingen mit Scherzen: Wer's kann, der bleibt im Herzen Zeitlebens ein Student!" Alb"'^t Mehlem. Viktor von Scheffel. (Eine Radierung zum 100, Geburtstag am 16. Febr.) In die Diele des Neckarhotels, Heidelberg, gegen über an der Nattenheimer Landstraße gelegen, trat ein gepflegter Herr ein. Eine kleine Jnstrumententasche aus Saffianleder verriet ihn als Arzt. ES war ein lauer, etwas drückender Febril'"bend des Jahre 1866. „Wo ist der Patient, wie heißt er?" „In Nr. 6, ich bitte", sagte mit einem englischen Beiklang der neue Zählkellner, der erst ein paar Tage anwesend war, „er heißt, warten Sie bitte, ich sehe nach, Scheffel, von Scheffel, er soll wohl ein Berühmter fein, Herr Doktor!" Zwischen zwei Plüschsesseln, halb auf dem Bo den, lag der Leidende in arger Beklemmung. Der Arzt sprang hinzu, trug, eine gewaltige Anstrengung, die man dem schlanken Herrn gar nicht zugetraut hätte, den festen, stämmigen, ergrauten Mann zum Bette, auf das er ihn behutsam, wie eine Pflegerin, legte; dann aber hatte er in einer Sekunde aus seiner Tasche eine grüne Tinktur entnommen und den Stöhnenden eine starke Gabe in Wasser trinken lassen. Danach blieb er, ohne etwas zu reden, hielt den einen Arm stützend um seinen Patienten, während er mit der anderen Hand den Puls beobachtete. „Jetzt wird es sich bessern, ein Anfall. Es tst vorüber, Sie werden sehen, Herr von Scheffel." „Unendlich wohl ist mir nach Ihrem Trunk", er widerte Scheffel. „Ich dachte, es sei zu Ende." Der Arzt lächelte, beruhigte ihn und fuhr dann mit einer halblauten, hypnotischen Stimme fort, er vrie» sich glücklich, daß er gerade ihm, seinem hochver ehrten Victor von Scheffel, habe helfen dürfen; er er zählte, wie der „Trompeter" seine Jünglingstage, der „Ekkehard" seine Mannesjahre mit Poesie erfüllt habe, sie Gaudeamuslieder aber jede heitere Sitzung bei Wein und guten Freunden. Der Doktor, der einen stillen Eindruck machte, wenn man ihn kommen sah, war unerschöpflich in neuen Wendungen, um dem jetzt weniger Leidenden seine Verehrung zu zeigen. So rannen die Viertel stunden hin, und endlich lächelte Scheffel. Dann begann er leise: „Wissen Sie, Verehrtester, ich habe immer das Gefühl, daß ihr Aerzte viel zu wenig die geistigen Erlebnisse der Leute erfragt, oder besser, zu wenig gesagt, bekommt, als nötig wäre, um da- körperliche Leiden richtig zu beurteilen. Hören Tie, Ihrem ganzen Wesen nach erscheinen Sie mir wie ein Großpönitenziar, und ich habe nicht Übel Lust, Ihnen eine Generalbeichte abzulegen. Wie Ihre gü tigen Worte eben mir zeigten, wissen Sie, daß ich 1854 den „Trompeter", 1855 den „Ekkehard" und 1864 die „Frau Aventiure" erschienen ließ und 1868 „Gau deamus". Ist das nun ein Grund, seitdem von mir zu verlangen, daß ich alle paar Jahre einen neuen Band auf den Büchermarkt schmeiße? Ich frage Sie, haben die Menschen ein Recht, wenn man einmal eine leidliche Erzählung oder ein hübsches Gedicht geschrie ben hat, nun aufzutrumpfen und zornig zu werden, wenn ich das nun nicht jedes Jahr tue, sondern lieber in Lippoldsau prachtvolle Bohnen und köstliche Arti schocken ziehe, von den feinen Butterbirnen ganz zu schweigen? Muß es denn so sein, daß eine Novelle zu fünfzig verpflichtet? Damit die Neunmalklugen van« nachher sagen: „Aha, jetzt hat er sich verwässert!" „Ruhig, ruhig, Verehrtester Herr von Scheffel", Im Winter svricht man kaum von etwas andere ,i, als vom Zobel. Mau kann sagen, daß der Zobel die Münzeinheit in Kamtschatka ist. Alle Geschäfte wer den in Zobeln abgerechnet, dem einzigen Zahlungsmit tel, das die Eingeborenen haben. Der Zobel gehört zu der Familie der Marder nnd erreicht ungefähr die selbe Größe wie unser Marder. Er lebt in den Birken- ' und Nadelwäldern. Das Tier ist keine alltägliche Beute, und so ist es zu verstehen, daß sein Fell im Lande selbst einen Preis von 400 500 Mark, je nach der Güte, bedingt. Oft Pirscht ein Jäger den ganzen Tag hindurch ergebnislos auf das Tier. Wenn dann ver Abend kommt, läßt er einen Hund am Bau zurück, der während der Nacht die Wache hält. Hat der Jäger Glück, so kann der Hund mitten in der Nacht zu dem vielleicht eine Meile entfernten Zelt kommen, die Beute im Maul. Aber gewöhnlich muß der Jäger am nächsten Tag weitergraben, und er entdeckt oft ein Loch, durch das sich das Tier hinausgeschltchen hat, um über die Bäume das Weite zu suchen. Wenn der Zobel in einen hohlen Baum geht, wie cs oft der Fall ist, so gilt es, ihn irgendwie heraus- ' zulocken, und zum Schuß zu kommen. Man schlägt mit Aexten an den Baum und treibt so manchmal da» Tier heraus. Aber oft bleibt es auch hartnäckig tn feinem Versteck. Dann muß es auSgerüuchert werden. Der Kamtschadale legt einfach Feuer an den Baum und setzt sich ruhig abwartend mit der schußfertigen Büchse daneben. Wenn der Jäger auf Spuren stößt, das Tier selbst aber nicht fqtmachen kann, so stellt er ferne mit Hasen- oder Auerhuhnfleisch bespickten Fallen auf. Eine Zobelfalle richtig zu legen, ist eine Kunst, di« man nicht an einem Tag« lernt. Sie erfordert ein gehende Kenntnis der Gewohnheiten des Tieres. Aber e« gibt einheimische Jäger, die Meister in dieser Kunst sind. Die oben geschilderte Jaadart ist die gewöhnlichste, aLer oft fehlt dem Kamtschadalen ei» geeigneter Hund, und er muß dann selbst die Spur verfolgen. Ein Zodeljäger, der fleißig ist und sich den größten Teil des Winters draußen aushält, erbeutet gewöhnlich -Wischen fünf und fünfzehn Fell« in dieser Zeit, je nach Bestand und Glück. Oer papierverdrauck äer weit. Das englische »Export Journal" gibt in einer fein« letzten Nummern bemerkenswerte Zahlen Uber den Papier bedarf der Welt. Pro Kopf und Jahr werden an Papi» verbraucht in England 25 Kilo, Deutschland 19, Frank reich 14, Skandinavien 24, Schweiz 15, Holland 14 uni Oesterreich 11 Kilogramm. Europa erhält das benötig» Holz vornehmlich aus Rußland und Skandinavien. Db russische Papierausfuhr hat jedoch die Höhe der Dorkriegszet noch nicht wieder erreicht, dürfte sie auch kaum wieder «v reichen. Der gesamte Papierverbrauch in der ganzen Wek betrug im Jahre 1924 nicht weniger als acht Million« Tonnen; die Hälfte davon entfällt auf Europa, währen- j Amerika die andere Hälfte zum größten Teil auf seine Rech > aung nahm. elektrische Sluttranstusion. Die Uebertragung des Blutes von einem Menschen ach i Sen anderen macht sich nicht selten als letztes Rettungsmitt« bei stärksten Blutverlusten notwendig. In besonders aus. , gedehntem Maße pflegen sich die amerikanischen Aerzte dies« ! Methode zu bedienen, und ihre Erfolge sind auch nicht ! bestreiten. Es gibt in Amerika vollblütige Männer, die i» i Dienste eines Krankenhauses stehen und für die die Dl»t> > abzapfung ein einträglicher Nebenerwerb ist. Bislang ließ man das Blut mit seiner Eigengeschwindi» leit durch eine Glaskaniile von der Blutbahn des einen « die des anderen tropfen. Der amerikanische Arzt Angel« L. Eoresi hat nun eine neue Methode erfunden, durch di« der Vorgang stark beschleunigt wird, was bei höchst« ! Lebensgefahr von größtem Werte sein kann. Lr konstruiert« einen elektrischen Apparat, mit dem die beiden In den Blut gefäßen steckenden Nadeln verbunden sind. Gleichzeitig zeigt ein Meßapparat genau die Menge des transfundierte« Blutes in jedem Stadium der Operation an, die selbst b«i stärkster Blutübertragung in höchstens fünf Minuten be- — 92. Jahrgang Mussolinis Abstammung. Ein Mazedonier? Mussolini, der italienische Ministerpräsident, ist während der letzten Tage sehr unrühmlich in den Vordergrund getreten. In diesem Zusammenhänge dürften Veröffent lichungen recht interessant sein, die das New Aorker „Philadelphia Public Ledger" gemacht hat. Danach stammt die Familie Mussolinis aus Mazedonien. Be nito, der Uebernationalist, stamme damit also aus der Heimat der Komitatschis und Banditen. Ein ungarischer Emigrant, Leo Mussolini, hat dem genannten Blatte noch weitere Einzelheiten zur Verfügung gestellt, aus denen folgendes besonders er wähnenswert ist: Im 16. Jahrhundert wurde dem Mazedonier Mussolini Pascha vom Sultan der Ober befehl über ein türkisches Vilajet zuerteilt. Später fiel Mussolini Pascha dann in Ungnade, worauf er nach Kroatien floh und sich im Bezirk Modros bei Fiume ntederließ. Heute noch tragen dort drei Dörfer die Nam»n Mussolin, Mussolinsk und Mussolini. Der Hauptberuf des Pascha war kein sonderlich salonfähiger, denn er betätigte sich vornehmlich als Räuberhauptmann (!). Auf österreichisch r Se-te nahm :r an den Kämpfen gegen die Türkei teil und suchte nehrmals die Republik Venedig durch Naubüberfälle »etm. Ein Teil der Beute wurde damals, wie dem Zei- ungsmann weiter mitgeteilt wird, vergraben, und in >en darauffolgenden Jahren gruben die Bewohner von > NussolinSk wiederholt nach diesen Schätzen. Des Paschas Nachkommen taten sich als Krieger ,nd Beamte hervor und hatten teilweise in der kroati schen und österreichischen Geschichte eine nicht gerade unwesentliche Rolle inne. Noch heute befindet sich an oer adriatischen Küste bei Gomeria ein Stammschloß derer von Mussolini. Vom Korrespondenten des amerikanischen Blattes wird diesen Einzelheiten hinzugefügt, selbst helft« sei es nicht schwer, bei Mussolini den mazedonischen Typus festzustellen. Auch dürfe es bei seiner Abstammung nicht weiter überraschen, wenn Benito Mussolini fo ungestüme Sehnsucht nach Dalmatien empfinde. mcchnte leise der Arzt. „Nein, Herr Doktor, «S ist mir jetzt ganz gut, kommen Sie, wir sitzen am offenen Fenster und sehen hinüber nach der ewigschönen Aussicht, dem Waldkranz und dem roten Schloß inmitten! So, um fortzufahren, das ist das Unrecht, das mir meine Tage verbitterte. Ich habe Stunden gehabt, in denen ich Hiddigeigei und Audifax verfluchte und wünschte, ich hätte nie ein« Zeile geschrieben. Da unterbrach fich oer kranke Dichte i« die dunstige in gelbe Töne getauchte N ßtnausschauend. Auch der Arzt lauschte, «rgrtff er seines Patienten Hand, leise l die andere aus seine Schulter und wie. 2W Jahre Gulliver. , Von Dr. F. Ernst. Wem leuchtet nicht aus seiner Jugendzeit als frvh- , Uches Bild die Erinnerung an Gullivers Reisen her über? Wer hat nicht als Kind mit diesen schalkhaften Vorstellungen seine Phantasie genährt, als ob er selbst, ein zweiter Gulliver, in Liliput wäre und alles in diesem Lande der Däuinlinge zu beherrschen habe; mit diesen Vorstellungen, die den Kern alles Spiels, aller kindlichen Träume und Wunschgestaltungen zum unsterblichen Kunstwerk schufen. 200 Jahre tst es nun her, daß der Roman „Gul livers Reisen" in London erschien, damals als Buch für Erwachsene gedacht und geschrieben, eine Satire, die nur der gebildetste Teil der englischen Nation ver stehen konnte. Vorerst war der Verfasser nicht genannt worden, , der Verleger erklärte tn der Vorrede, jemand habe an einem dunklen Abend das Manuskript aus einer Mietskutsche in seinen Hausflur geworfen. Aber bald wußte England, wer der Verfasser war, niemand konnte so burlesk, so bissig, so verschroben sein, i emand > führte aber auch eine so glänzende Feder, behe. ht« so , sehr die Geister des Humors, des Witzes, der Laune und der tiefsten Menschhettsempfindungen, als Jo nathan Swift. In den Jahren 1720 bis 1726 entstand das Werk, und sein Verfasser, sollte man den ken, hatte Heiterkeit, Glück, fröhliches Familienleben um sich, als er es schrieb. Aber wo hellste Sonne ist, liegen, wie die Maler wissen, auch die tiefsten Schat ten, und es ist bekannt, daß die lustigsten Bllhncn- komiker oft betrübte, melancholische Menschen sind, die mit der Selbstvernichtung spielen. So auch Jonathan Swift, der mit der Peitsche um sich schlägt, und dabei heimlich die Hand auf sein blutendes und eiterndes Herz legt. Gegen Ende seiner schöpferischen Zeit warf sich Swift mit aller Wucht auf den irischen Gedanken und focht berserkerhaft für die Freiheit dieses von England gefolterten Landes. Aber schon streckte das graue Schick- >al die Hand über ihn, allmählich vorlor er sein Gedächt- ; nis, und nur sein kreischender, beißender Witz und i Hohn blieben ihm treu. Als er starb, vermachte er ! sein Vermögen dem irischen Staate, um davon — ein ! Irrenhaus zu bauen. Nnd doch waltete ein gütiges Geschick über ihm und > erfüllte ihm seine Wünsche; aber spöttisch, wie er selbst, erfüllte es sich hundert Jahre später, als sein un ruhiger Geist längst zur Ruhe gegangen war. Es gab ihm Sitz und Stimme in einem Parlamente, nicht im englischen, sondern in jenem der Weltdichter, indem es „Gullivers Reisen" seinen verkrampften Händen entwand und spielerisch, wie das Geschick so oft ist, den Kindern in die Hände gab als eine schimmernde Brücke ins goldene Phantasieland.