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ZUR EINFÜH RUNG 1823 wurde die „große heroisch-romantische Oper Euryanthe" op. 81 von Carl Maria von Weber in Wien uraufgeführt. Von diesem Werk, das Webers schon begründeten Ruf vertiefen half, hört man im Konzertsaal die Ouvertüre ziemlich häufig. Mit Recht! Weber hat sich in diesem Werke um eine Ton sprache und um eine Aussage bemüht,die ander Sprache seines großen Zeitgenossen Beethovengeschultist. Die Ouvertüre ist klar und übersichtlich in der Sonatenform aufgebaut. Nach einleitenden, markanten Takten mit sehr lebendigen Triolen in den Streichern wird von dem gesamten Bläserchor das erste Thema hingestellt, dem als Gegensatz das nur von den Streichern getragene 2. Thema in seiner lyrischen Haltung gegenübersteht. Aus diesem Kontrast entwickelt Weber mit großer handwerklicher Kunst einen immer spannenden Durchführungsteil, in dem die Triolen des Anfanges und ein aus dem ersten Thema ent wickelter punktierter Rhythmus eine wichtige Rolle für den Aufbau des Werkes spielen. Eine sehr zarte Episode von gedämpften Streichern schiebt sich ein — um darauf einer stürmischen Entwicklung und einem feurigen Ablauf zu einem glanzvollen Schluß hin freie Bahn zu lassen. Strawinsky nannte Weber einen großen Fürsten im Reiche der Musik. Wahrscheinlich geht sein treffendes Urteil auf das Erlebnis zurück, das er beim Hören der Euryanthe-Ouvertüre hatte. Zu Mendelssohns (1809—1847) Hauptwerken gehört das Konzert für die Violine mit Begleitung des Orchesters.op. 64ine-moll. Es zählt wegen seines Melodienreichtums zu jenen Stücken der gesamten Musik literatur, die sich die Gunst der Hörer sofort eroberten und sie bisher noch nicht wieder verloren haben. Unvermitteltsetzt im ersten Satz das musikalische Geschehen ein. Die Sologeige intoniert sofort das breit ausgeschwungene erste Thema voll größten melodischen Wertes. Aber auch das zweite Thema ist eine Perle von Melodie — und so reiht sich wie auf die Schnur einer Kette Perle an Perle. Es mangelt dadurch zwar an Kontrasten, dafür ^ibt jedoch das ganze Werk ein getreues Abbild eines ohne innere und äußere Stürme verlaufenen Lebens zur Zeit des Biedermeier. Im sich sofort anschließenden Andante geht der Melodiensegen und -reigen weiter. Der Schlußsatz stellt den absolut heiteren, gelösten Mendelssohn dar. Ein scherzender Ton durchzieht diesen Satz, er vermittelt eine wahrhaft glückliche Stimmung. Natürlich ist das Soloinstrument mit allen Eigentümlichkeiten bedacht, die das virtuose Element her- vorrufen können. Doppelgriffe, Arpeggien, Triller, Oktaven, rasende Läufe und vor allem eine blühende Cantilene werden als Selbstverständlichkeiten vorausgesetzt. Nur Geiger von Format können sich an dieses Werk wagen, aber es belohnt den Könner, der es meistert mit dem Gefühl, schon auf Erden eines Glückes teilhaftig zu sein, das sich viele Menschen erst für ein Jenseits erträumen. Als Antonin Dvofäk seine Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ Nr. 5, e-moll, op. 95 schrieb, ahnte er nicht, daß ihm mit diesem Werk ein wahrhaft volkstümlicher Wurf gelingen sollte. Als Huldigung an Amerika gedacht, das ihm für einige Jahre zur Heimat werden sollte, nimmt er melodische Elemente aus dem Indianischen auf, verarbeitet er rhythmische Impulse aus Negro-Spirituals und versucht, ein Abbild des amerikanischen Optimismus dieser Jahre vor der Jahrhundertwende zu geben. Dies gelingt ihm aus gezeichnet. Aber es ist noch mehr in dieser Sinfonie drin. Niemals in diesen Jahren, da er Direktor eines amerikanischen Konservatoriums war, hat er seine tschechische Heimat vergessen, niemals hat er sein Heimweh ganz besänftigen können. Und gerade in dieses Werk ist seine Sehnsucht hineingeflossen. Viel leicht liegt in diesen beiden Eigenschaften: in der Darstellung der Kraftfülle eines jungen Kontinents, und im Ausdruck wehmütigen Heimwehs nach der alten Heimat da^ Geheimnis der großen Wirkung dieser Sinfonie begründet. Der Bereich des menschlichen Gehaltes dieses Werkes ist dadurch so groß und umfangreich geworden. Aber das ist noch nicht alles. Die Alte und die Neue Welt konnte an diesem Werke außerdem noch eine unerhört formale Könnerschaft Dvofäks bewundern. Man vermutet gerade bei ihm, dem Vollblut musikanten, daß ihm formale Belange nicht so wichtig wären. Und doch ist alles da: die 2 Themen des ersten Satzes und ihre Durchführung, die dreiteilige Liedform des 2. Satzes mit der wundersamen Melodie des Englisch-Homs, das kapriziöse Scherzo und das gewichtige Finale, das in der Form des Rondos mit sehr melodiösen Zwischenspielen niedergeschrieben ist. Aber auch das ist noch nicht alles. Gekrönt wird dieses Werk, das so glücklich Inhalt und Form in einen Ausgleich bringt, von der Tatsache, daß alles klingt. Es klingt alles so schön, so hinreißend, so sinnlich daß man diese Seite der Könnerschaft Dvofäks nicht mehr überhören kann, ja, daß man sie als vor bildlich und nachahmenswert hinstellen muß. Die Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ mußte ein Wurf sein, weil sie ein vollkommenes Meisterwerk geworden ist. Und das empfand beglückt die Neue und die Alte Welt und dankte es Dvofäk dadurch, daß sie dieses Werk zu ihrem Liebling erklärte. Und das ehrt beide: Publikum wie Komponist. Johannes Paul Thilmann