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Krt'ciuternbes Vorwort. Christoph Willibald, Ritter v. Gluck (geboren am 2. Juli 1714 zu Weidenwang, einem Dorfe bei Neumarkt in der obern Pfalz, gestorben am 15. November 1787 in Wien) trat mit der Oper: „Orfeo ed Euridice" als Reformator auf dem Gebiete des musikalischen Drama's auf. Vordem bewegte sich die Oper nur in bestimmten, hergebrachten Formen und war mit ihren langen, nur für bestimmte Sänger geschriebenen Arien kaum mehr als eine Reihe nothdürftig durch das srgenannte Secco-Recitativ verbundener Cvncert- Piecen. Auch Gluck hatte in diesem Style be reits viele Werke (italienische Opern, französische Singspiele rc.) geschrieben, als er, hauptsächlich durch Rameau's Schriften beeinflußt, den Entschluß faßte, ein musikalisches Drama zu erfinden, worin, abweichend von allen früheren, Naturwahrheit als höchstes Kunstprinzip aufgestellt werden sollte. Nur diesem Zwecke dienend, sollten sich die Ton- und Dichtkunst, die Malerei, der Tanz und die Darstellung zum schönen Ganzen vereinigen und gleichberechtigt nebeneinander das Kunstwerk der Zukunft bilden. Er fand in Raniero di Sal za big i den Dichter, der auf seine reformatorischen Ideen einzugehen den Muth und das Geschick hatte. Zum Sujet sür das erste Werk in der neuen Richtung hatte Gluck eine der idealsten Figuren der antiken Sage gewählt. Orpheus, der göttliche Sänger der Lrebe, hatte seine Gattin Eurydice durch einen frühen Tod verloren Seine Klage gesänge rührten die Götter und mitleidsvoll ge statteten sie ihm in den Orkus und in die ely- säischen Gefilde zu dringen. Gelänge es ihm, Pluto und die Höllengeister durch sein Lied zu rühren, so würde die Geliebte zu neuem Lebe« erwachen und er könne sie auf die Erde zurück führen, jedoch unter der Bedingung, sie vorher nicht anzusehen. Die Trauergesänge von Orpheus' Gefilge, seine unendlich rührende Klage und der durch Amor überbrachte Befehl der Götter bilden den Inhalt des ersten Aktes. Der zweite Akt führt uns zuerst in den Orkus. Hier ertönen die flehen den Gesänge des unglücklichen Liebenden, unter brochen von dem schrecklichen „No!" der Furien. Nach und nach werden die höllischen Geister be ruhigt und gestatten ihm den Eintritt. Die zweite Hälfte dieses Aktes zeigt uns das Ely sium, den Aufenthalt der seligen Schatten. Zum Schluß des Aktes wird dem Sänger die Geliebte zugeführt. Den dritten Akt nimmt eine große Scene zwischen Orpheus und Eurydice ein; sie sind auf dem Wege nach der Oberwelt. Eurydice vermag nicht länger dem voran eilenden Gatten, der sich stets von ihr abgewandl hält, zu folgen, und als sie vergeblich um einen Blick gefleht, zweifelt sie an seiner Liebe und bereut, ihm aus den seligen Gefilden der Ruhe und des Friedens gefolgt zu sein. Orpheus kann ihren Vorwürfen nicht länger widerstehen, schaut sie an und verliert sie nun auf's Neue. Hier folgt die berühmte Arie: „Oke taro 86U2L LurLäios", welche bald die Lieblings arie des Publikums wurde und heute noch die bekannteste Nummer aus der mehr als hundert jährigen Oper ist. Der Schluß ist, abweichend von der Sage, ein versöhnender. Orpheus, der sich verzweislungsvoll das Leben nehmen will, wird von Amor entwaffnet und erhält die wieder- belebte Gattin zurück Ein fröhliches, dem Amor geweihetes Fest mit Tanz und Gesang beschließt das Ganze — Dies ist der Inhalt der Oper. Wenn schon das italienische Textbuch von Calzabigi große Neuerungen gegen die damals namentlich von Metastasio gepflegten Formen zeigte, war cs noch weit mehr die musikalische Behandlung der Oper. An die Stelle des Secco trat das große, be gleitete Recitativ, ein einfacher, natürlicher, genau den Worten angepaßter Gesang verdrängte die schablonenhafte Koloraturarie mit ihren vielen Textwiederholungen, selbstständig handelnd griff der Chor ein, ein reicheres und charakteristisches Orchester fand Verwendung, kurz alle Anforderungen, die in neuerer Zeit Richard Wagner an sein Musikdrama gestellt hat, wurden in Orpheus und den darauf folgenden Opern: Alceste, Paris und Helena, noch mehr in Iphigenie in Aulis, Armida und am erschöpfendsten in Iphigenie in Tauris von Gluck zu erfüllen gesucht. In einer vollendeten Aufführung (die Titelpar- tic war ,n den Händen des derühmten Altisten Guadagni) wurde die Oper am 5. Oktober 1762 dem erstaunten Wiener Publikum zuerst vorgeführt; bald erwarb sie sich den allgemeinsten Beifall. Die Partitur der Oper wurde in Paris im Jahre 1764 gestochen. Im Jahre 1774 arbeitete Gluck den Orpheus für Paris zum Theil um. Die Hauptrolle, Or pheus, wurde für Tenor umgcschrieben, das Reci tativ in der französischen von Moline verfaßten Uebersetzung neu komponirt. Leider wurde mit dieser neuen Bearbeitung die eigenthümliche Grund farbe des Werkes, sanfte Trauer und rührende Klage, fast ganz zerstört, denn die Weiche, dunkle Altstimme war zum Ausdruck dieser Gefühle weit geeigneter, als der durchdringende Helle Tenorklang. Außerdem ließ sich Gluck herbei, Verzierungen und dergl. den Sängern zu Liebe anzubringen, ja ge stattete sogar die Einlage einer Koloraturarie von fremder Hand für Orpheus am Schluß des ersten Aktes. Für die hiesige Aufführung ist die erste ita lienische Partitur zu Grunde gelegt, und nur wirkliche Verbesserungen der später« Bearbeitung sind da rin ausgenommen. Diese Aenderungen sind: im ersten Akt eine Kürzung der Arie des Amor, im zweiten Akt die Einschaltung der Arie der Eurh- dice mit Choi, welche in der frühern Ausgabe ganz fehlt, im dritten Akt die Bearbeitung des Mittel satzes in der Arie der Eurydice als Duett. Eine Verstärkung der Instrumentation ist nur sehr vereinzelt und mit Vorsicht geschehen. Noch ist zu bemerken, daß die italienische Aus sprache des Namens Euridice aus musikalischen Gründen beibehalten werden mußte. b'. Vivälekv.