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Komponist Spohr, sah in der „Neunten“, deren Schlußsatz menschliche Stimmen erklingen läßt, nur — „eine Entgleisung eines Genies“. Beethoven war fast völlig ertaubt, als er die „Neunte“ schrieb, außer dem von anderer Krankheit und von Sorgen um seinen Neffen heimgesucht. Schwere, dumpfe Stimmung lastet auf dem ersten Satz (Allegro ma non troppo. Un poco maestoso = nicht zu rasch, erhaben). Berühmt ist die ge heimnisvolle Einleitung und Vorbereitung des Hauptthemas durch die leeren Quintschritte. Wagner schrieb für seine Aufführung eine Erläuterung des ganzen Werkes und kennzeichnete den Charakter der einzelnen Sätze mit Worten aus Goethes „Faust“ sehr treffend, denn die „Neunte“ ist ja ein Abbild faustischen Ringens, eines Grübelns, welches sich bis zu einem alle Fes seln sprengenden Freudentaumel durchringt. Über den ersten Satz schrieb Wagner: „Entbehren sollst du, sollst entbehren“. Dem zweiten Satze (Molto vivace, Presto = sehr lebendig und schnell) gibt er die Worte „Von Freude sei nicht mehr die Rede, dem Taumel weih’ ich mich, dem schmerzlichsten Genuß“. Der ganze Abschnitt ist ein grandioses Scherzo. Der Humor ist ja eine der großen Seiten Beethovenscher Kunst. Hätte er nicht Humor, also heitere Weltanschauung besessen, wie hätte er sonst sein schweres Schicksal ertragen können? Äußert sich sein Humor in der achten Sinfonie in naiver Weise, so hier im zweiten Satze der „Neunten“ fast dämonisch. Das Adagio (3. Satz, langsam) ist ein inniger breitaus- geführter Gesangssatz. „Sonst stürzte sich der Himmelsliebe Kuß auf mich herab in ernster Sabbatstille, da klang so ahnungsvoll des Glockentones Fülle und ein Gebet war brünstiger Genuß“ zitiert Wagner dazu. Am Ende des Satzes klingen plötzlich Kampftöne herein. Doch wird noch einmal der Frieden und die innere Ruhe gewonnen. Aber nicht für lange. Schmerzvolle Klänge eröffnen den Endsatz (Presto Allegro, Prestis- simo = sehr schnell), Verzweiflungsstimmung. Aufgeregt beginnende Re- zitative in den Bässen wenden sich immer gegen Ende ins Wehmütig- Fragende. „Aber ach, schon fühl’ ich bei dem besten Willen Befriedigung noch nicht aus dem Busen quillen.“ Jetzt werden Themen aus den vorher gehenden Sätzen kurz in Erinnerung gebracht. Aber sie sollen wohl nichts mehr bedeuten; denn gleich danach klingt das Thema einer anderen Welt anschauung auf: die Freudenmelodie, zuerst ganz geheimnisvoll in den Bässen, nach und nach von allen anderen Instrumenten übernommen. Das ist die einzig sichere Erkenntnis: Die wahre Demokratie blüht solange, als die Freude ihre Flügel ausbreitet. Von diesem Thema läßt der Komponist nicht wieder ab. Als noch einmal die Schmerzensschreie ertönen wollen, werden sie sogar durch den Zwischenruf einer menschlichen Stimme zum Schweigen gebracht: „O Freunde nicht diese Töne; sondern laßt uns angenehmere anstimmen und freudenvollere.“ Es folgt nun die Ver tonung der Schillerschen Dichtung. Allen einzelnen Partien ist äußerst charakteristischer Ausdruck verliehen. Mehr als einmal glaubt man von Schauern der Ewigkeit ergriffen zu werden, besonders an den die Gott heit betreffenden Textstellen. Grenzenlos scheint der Jubel beim Gedanken an die Verbrüderung der Menschheit. Dr. Kreiser.