Volltext Seite (XML)
<1 Kurt Hösel, geb. 1862, seit dreißig Jahren Dirigent der ältesten Dresdner Chorvereinigung: der „Dreyssig’schen Singakademie“ (gegr. 1807), Opern-, Chor- und Liederkomponist. Felix Draeseke, Sinfonia tragica (entstanden 1885/86, gewidmet der Sachs. Staatskapelle). Draeseke (1835—1913) war in der Jugend ein begeisterter Vorkämpfer für die sogenannten Neudeutschen Liszt, Wagner, später mehr dem Klassi zismus (Brahms) zugetan. Aus seinem umfangreichen Schaffen ragt das auf vier Abende berechnete, gewaltige Mysterium „Christus“ hervor, welches allen jüngeren Dresdner Musikfreunden noch von der Aufführung durch den Berliner Kittelschen Chor in Erinnerung ist, wo der Komponist, der als hochangesehener Kompositionslehrer am Dresdner Konservatorium wirkte, wegen seiner Schwerhörigkeit mitten unter den Ausführenden saß. Von den reinen Instrumentalwerken ist die tragische Sinfonie sicher eines der bedeutendsten Orchesterwerke nach Brahms. Die tragische Gefühls weise soll hier nicht durch Schilderung eines ganz bestimmten Einzel schicksales im Hörer wachgerufen werden, wohl aber deutet die Bezeichnung tragica auf den allgemeinen Grundton des Werkes, der mit Ausnahme des Scherzo-Teiles düster ist. Das tragische Gefühlserlebnis haben wir nicht, wenn wir kleine Leiden und Uebel sehen. Vielmehr sind dafür größere Verhältnisse die Voraus setzung: Kampf, ein dem Schicksal oder eigenem Verschulden erliegendes Heldentum. Der Tonsetzer kann das ausdrücken durch Gegenüberstellung von Empfindungssphären, etwa: Lebensfülle, kraftvoller Aufstieg, Glanz — Zusammenbruch; naive, harmlose Heiterkeit — grausig wirre Phantastik. Draeseke hat gerade so in den vier Sätzen seiner Sinfonie das Tra gische zu versinnlichen gesucht. Im ersten Satz das ernste, hohe Streben, „die Lebensbejahung eines jugendstrahlenden Kämpfers“. Sehnsucht und Bangigkeit mischen sich gelegentlich mit unter. Das Leben siegt aber. Daß die Themenerfindung eine gewisse Abklärung zeigt, ist verständlich, da Draeseke das Wtrk in vorgeschrittenem Alter schrieb. Der zweite Satz bringt den Zusammenbruch. Depression, wilde Aufschreie gegen das Schicksal, ernste Mahnungen (feierlicher Posaunenchor): Trauermarsch. Im dritten Satz (Scherzo) neues Hoffen, harmlose Heiterkeit, vielleicht unbegründet, aber doch belebend und stärkend. Der Satz entstand vor den übrigen und war anfangs nicht für deren Nachbarschaft gedacht. Das erklärt den zu bemerkenden kleinen Stilunterschied. Der Schlußsatz, vom Komponisten einmal als gespensterhafte Fortsetzung des Scherzo be zeichnet, bringt neue Unruhe, Klage, aber auch freundliche Erinnerungen; dann Höllenspuk. Aus allem Toben aber lösen sich zuletzt versöhnende Stimmungen. Ein Blick auf Paradiesesfreuden. Dr. Kreiser. <» o 0 0 0 <» <» 0