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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Sonnabend, 18. Februar 1961, 19.30 Uhr Sonntag, 19. Februar 1961, 19.30 Uhr 7. Philharmonisches Konzert DIRIGENT Prof. Heinz Bongartz SOLIST Prof. Györay Garay, Budapest Bela Bartök 1881—194s Konzert für Violine und Orchester Allegro non troppo Andante tranquillo — Allegro scherzando Allegro molto PAUSE Anton Bruckner 1824—1896 4. Sinfonie Es-Dur (Romantische) Originalfassung Bewegt, nicht zu schnell Andante quasi allegretto Scherzo, bewegt Finale, bewegt, doch nicht zu schnell Györay Garay ZUR EINFÜHRUNG Als sich Bela Bartök im Oktober 1940 in New York niederließ, war er knapp 60 Jahre alt. Im Januar 1943 trat er zum letzten Male als Klaviersolist in einem Konzert auf, so sehr war er bereits von der tödlichen Krankheit gezeichnet. Die wenigen Jahre, die er noch lebte (er starb am 26. September 1945 in New York), reichten eben aus, die künstlerischen Erfolge mit dem finanziellen Gewinn einzuleiten, aber nicht, um noch in ihren Genuß zu kommen. Bartök, untrennbar mit seinem ungarischen Heimatboden verwurzelt, hatte 1940 die freiwillige Emigration auf sich genommen. Sein Name besaß damals in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht im entferntesten die Suggestionskraft wie beispielsweise der Name Strawinskis, man entdeckte Bartök eigentlich erst nach seinem Tode. Heute spielt die ganze musika lische Welt, auch Amerika, die Werke Bartöks. Mit Bartök, Milhaud, Hindemith, Krenek entsteht in den zwanziger Jahren eine neue Musik, zunächst abseits von der Zwölftonreihe Schönbergs. Die Kräfte, die die Auf lösung vom bisher üblichen Dur- und Mollsystem hauptsächlich herbeiführen, sind verschiedener Art. In seiner Autobiographie, einer literarischen Skizze von 1921, schreibt Bartök: ,,Das Studium der Bauernmusik war für mich deshalb von so ent scheidender Bedeutung, weil es mir die Befreiung von der Alleinherrschaft der bis herigen Dur- und Mollsysteme möglich machte.“ Die Volksmusik (Folklore) ist der melodische und rhythmische Inspirationsquell seiner Kompositionen. Mit Bartök dringen ganz neue, kurze, scharf profilierte Melodietypen in die europäische Musik ein. In diesem Sinne ist sein einziges Violinkonzert zu verstehen und zu hören. Das Werk ist klassisch dreisätzig. Der eiste Satz (Allegro non troppo nicht zu schnell) nutzt alle Raffinessen der Instrumentation: Nicht nur die sehr wichtige Harfe spielt ,,glissando“ (alle Töne und Zwischentöne auf einen ,,Rutsch“), sondern alle Streichinstrumente spielen gelegentlich glissando ,,sul ponticello“ ( am Steg), die Solo-Violine wird sogar veranlaßt, Vierteltöne zu spielen 1 Das Pizzikato der Streicher muß auf Anordnung so hart ,,gezupft“ werden, daß die Saiten auf das Griffbrett schlagen, die kleine Trommel muß die Schläge ganz am Rande des Trommelfells hämmern. Und das alles aus verständlichen, klangtechnischen Grün den ! Der zweite Satz (Andante tranquillo), der die Solo-Violine anfänglich nur mit Pauke, Harfe und Streichern betreut, schließt das Scherzo (Allegro scherzando) mit ein. Der dritte Satz (Allegro molto) ist lustig und spritzig und wird von einem cantablen Teil (ohne die Solo-Violine) unterbrochen. Die Poly-Rhythmik (wechselnde Viel-Rhythmik), sonst bei Bartök sehr beliebt, spielt in diesem Werke eine unter geordnete, wenn auch nicht unwichtige Rolle — die technisch ungewöhnlich schwierige Solo-Violine weiß freilich insgeheim ein Lied von ihr zu singen!