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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Sonnabend, 9. September 1961, 19.30 Uhr Sonntag, 10. September 1961, 19.30 Uhr 2. Außerordentliches Konzert und 1. Abend im Anrecht C für Betriebe GASTDIRIGENT George Byrd, USA JOHANNES BRAHMS 1833 —1897 Variationen über ein Thema von Joseph Haydn B-Dur, op. 56 a FRANZ SCHUBERT 1797 — 1828 6. Sinfonie C-Dur Adagio-allegro Andante Scherzo, presto Allegro moderato LUDWIG 1770—1827 VAN BEETHOVEN 3. Sinfonie Es-Dur, op. 55 (Eroica) Allegro con brio Marcia funebre Scherzo, allegro vivace Allegro molto George Byrd ZUR EINFÜHRUNG Mit seinen Serenaden und besonders mit den Variationen über ein Thema von Haydn in B-Dur, op.56, schuf Johannes Brahms gleichsam Vorstudien für seine vier Sinfonien, deren erste er 1876, im Alter von 43 Jahren, vollendete. Übte er sich in den Serenaden in der Beherrschung klassischer Formen im Sinne Haydns und Mozarts, so brachten ihm die Haydn-Variationen aus dem Jahre 1873 — unter dem Einflüsse der Beethovenschen Sinfonik - weitere Sicherheit in der thematisch motivischen Arbeit. Brahmsens klassische Haltung hatte sich also um diese Zeit — das Deutsche Requiem und viele seiner meisterlichen Liedschöpfungen waren schon entstanden — wesentlich gefestigt. Auch räumlich war er der Welt der Wiener Klassik nähergekommen, hatte er sich doch in der Donaumetropole niedergelassen. Aber noch ein weiteres Kennzeichen der Brahmsschen Tonsprache soll hier ver merkt werden, weil es in den Haydn-Variationen bereits ausgeprägt ist: die Neigung und Fähigkeit des Komponisten zu barock-klassischer Form- und Stilsynthese, seine Gabe, sinfonische Entwicklungen bei kontrapunktischer Anlage geradezu kammer musikalisch subtil zu gestalten. Das Thema, das den Haydn-Variationen zugrunde liegt und am Beginn des Werkes in seiner reizvollen Originalgestalt erklingt, ent nahm Brahms dem zweiten Satz von Haydns Feldpartita B-Dur für zwei Oboen, zwei Hörner, drei Fagotte und Serpent: eine Andante-Melodie mit der Überschrift ,,Choräle St. Antoni“, die vermutlich von einem alten burgenländischen Wallfahrts lied stammt. Mit den Variationen über dieses Thema schuf Brahms eines der bedeu tendsten Variationenwerke der deutschen Musikliteratur überhaupt, dessen Anregun gen bis hin zu Reger und Hindemith spürbar bleiben. Das Werk wurde übrigens in zwei Fassungen geschrieben, für zwei Klaviere und für Orchester. In acht Variationen, die satztechnische Kabinettstücke sind, wird eine Fülle herrlichster Musik verströmt, deren phantasievoller Einfallsreichtum, Formvollendung und gedanklich-geistige Tiefe auch den Hörer fasziniert, der den Variationenzyklus nicht rationell aufnimmt, sondern die Ausdruckskraft dieser Musik gewissermaßen ,,unbelastet“ auf sich wirken läßt. Der Höhepunkt der Komposition ist das Andante-Finale, eine Chaconne, in der siebzehnmal ein aus dem Thema entwickelter Baßgang wiederholt wird, über dem sich neue Tonfiguren und Melodien erheben, bis das Haydn-Thema den fest lichen Ausklang herbeiführt. Clara Schumanns Worte über das Werk, die sie anläßlich einer Leipziger Aufführung Anfang 1874 dem Dirigenten Hermann Levi schrieb, sind symptomatisch für die Begeisterung, die diese Komposition auslösen kann, und seien darum hier wiedergegeben: „Die Variationen sind zu herrlich ! Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll, die Charakteristik einer jeden Variation, die pracht volle Abwechslung von Anmut, Kraft und Tiefe oder die wirkungsvolle Instrumen tation — wie baut sich das auf, mit welcher Steigerung bis zum Schluß hin! Das ist Beethovenscher Geist von Anfang bis zu Ende.“ Franz Schuberts 6. Sinfonie C-Dur, deren erster Satz im Oktober 1817, die drei übrigen einige Monate später entstanden, ist die letzte Jugendsinfonie des Meisters. Sie atmet jugendlichen Überschwang und Tatendrang, gibt sich energischer als die vorangehenden Sinfonien. Haydn, Mozart, Rossini und vor allem Beethoven sind die Vorbilder. Nach einer Adagioeinleitung erklingt in den Flöten und Oboen das Hauptthema, das an Haydns Militärsinfonie gemahnt. Den heiteren Grundton setzt auch das zweite Thema fort, das um der inneren Einheitlichkeit willen zuerst in den