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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Sonnabend, den 9. April 1960, 19.30 Uhr Sonntag, den 10. April 1960, 19.30 Uhr 8. ZYKLUS-KONZERT „Musik von großen Meistern — um große Meister“ Gastdirigent Dr. Ludovit Raj ter, Bratislava Solistin Eva Ander, Dresden (Klavier) Corelli — Rameau — Scarlatti — Händel Arcangelo Corelli 1653 -1713 Concerto grosso op. 6, Nr. 6, F-Dur Adagio — Allegro Largo — Vivace Allegro Georg Friedrich Händel 1685—1759 Aus: „Concerto grosso F-Dur Nr. 25“ (W assermusik) Ouvertüre Adagio Allegro Air Bourree (attacca) Hornpipe Maurice Ravel 1875—1937 Le tombeau de Couperin, Suite für Orchester Pi elude Forlane Menuett Rigaudon PAUSE Alfredo Casella 1883—1947 Scarlattiana (Divertimento nach Musik von Domenico Scarlatti für Klavier und Orchester) Sinfonia Menuetto Capriccio Pastorale Finale Werner Egk geboren 1901 Französische Suite nach Rameau Lockruf der Vögel Gigue en Rondo Zärtliche Klagen Venetienne Wirbelwinde ZUR EINFÜHRUNG ARCANGELO CORELLI (1653—1713) wurde zu seiner Zeit hochgeehrt. Die vornehme Welt Roms wetteiferte um die Ehre, Corelli als ihren Gast zu bewirten, und bei allen wichtigen musikalischen Ereignissen stand er an der Spitze des ,,Haus“-Orchesters. In der Gesellschaft war der kunstsinnige Kardinal Pietro Ottoboni sein Elauptgönner und Ereund. In dessen Palast, wo er bis zu seinem Tode auch seine Wohnung hatte, ließ er vorzugs weise sein allgemein bewundertes Geigenspiel ertönen, dessen „Zartheit und Anmut“ von den Zeitgenossen ausdrücklich gerühmt wird. Des Kardinals Haus, gewissermaßen der musikalische Mittelpunkt der Weltstadt, mußte den damaligen Mangel an tonkünstlerischer Gemeinschaftspflege entschädigen. Das Orchester bestand aus den besten Musikern der Stadt, die Gesangspartien wurden von den Mitgliedern der Sixtinischen Kapelle (der päpstlichen Kapelle) ausgeführt, deren oberster Chef Ottoboni war. In diesem Hause lern ten sich Corelli und Georg Friedrich Händel kennen, und die beiden, für Corelli typischen Anekdoten spielten sich hier ab: Händel führte nämlich in einer der Ottobonischen „Akade mien“ die Ouvertüre zu seiner Oper „II Trionfo del Tempo“ auf, und da Corelli die Violin- partie nicht zur Zufriedenheit des Komponisten spielte, riß ihm dieser, heftig wie er war, die Violine aus der Hand, um ihm die Stelle vorzuspielen. In den milde abwehrenden Worten des bedeutend älteren Meisters offenbart sich seine große Bescheidenheit: „Ja, verehrter Sachse (so wurde Händel seinerzeit in Italien genannt), Ihr musiziert in einem Stil, der mir nicht recht liegt!“ Und aus dem gleichen Hause wird eine andere Geschichte erzählt: Corelli legte mitten im Spiel freundlich lächelnd seine Geige aus der Hand, als sich während seines Vortrages eine Unterhaltung vernehmen ließ. Er erklärte, befragt, warum er aufhöre: „Ich will die Konversation nicht stören!“ Dort die vornehme Beschei denheit, hier der künstlerische Stolz! Unter den Kammer- und Kirchensonaten für Violine — wobei sich Corelli „edelster Klassi zität innerhalb des italienischen Barocks“ gegenüber der bereits geläufigen Virtuosität be fleißigt — nehmen die relativ späten Concerti grossi eine Sonderstellung ein. Corelli soll die grundsätzliche Form des Wechsels zwischen dem Concerto grosso (dem großen Orchester) und dem Concertino (dem solistischen kleinen Orchester, meistens aus 2 Sologeigen und dem Violoncello bestehend) noch beim französischen Orchestermeister Jean Baptiste Lully kennengelernt haben. Im Concerto grosso opusö, Nr. 6 in F-Dur zeigt sich Corelli als Herrscher dieser Konzertform für Streichorchester im Wechsel von langsamen und raschen Sonatensätzen, im Wechsel von Concerto-grosso-Partien mit Solostellen des Concertinos. Händels Wassermusik gehört zur Gruppe der Freiluftmusiken und ist eine Aneinander reihung vieler Tanzstücke. Diese erste höfische Wassermusik, die Händel komponierte, gelangte in den Julitagen des Jahres 1717 zur Aufführung. Nach dem Bericht des preußischen Residenten am Londoner Hofe, Friedrich Bonet, bildete ihre Veranlassung der Wunsch des Königs, ein Musikfest auf der Themse veranstaltet zu sehen. Über die Aufführung selbst weiß Bonet zu erzählen: „Dieses Konzert war nur für diesen Zweck komponiert worden von dem berühmten Händel, gebürtig aus Halle, dem ersten Komponisten des Königs.“ Nach einer rauschenden Ouvertüre, in zweiteiliger Anlage, vernehmen wir in dem vom Gesang des Oboenchors erfüllten „Adagio e staccato“ eine sanfte Elegie, gefolgt von einem feurigen Jagdstück der Hörner. Wie hier die Jagdfanfaren gleichsam terrassenmäßig aufsteigen, die Harmonien seltsam durcheinanderhallen — das ist Freiluftmusik, wie sie gelegentlich der höfischen Musikfeste auf der Themse zu klangvoller Wirklichkeit gedieh! Eine Verbeugung vor alter Musik ist weiterhin „Le tombeau de Couperin“ (Erinnerung an Couperin), eine Orchester suite von Maurice Ravel. Francois Couperin ist ein führender „Clavecinist“, ein Klaviermeister Frankreichs um das Jahr 1700. Der Komponist Ravel bekennt selber: „Die Huldigung richtet sich in Wirklichkeit weniger an Couperin, als an die französische Musik des 18. Jahrhunderts.“ Die vier Stücke Prelude (Vorspiel), Forlane (ein aus Friaul stammender Tanz im raschen 6 8 -Takt), Menuett (Menuett, altfranzösischer Tanz) und Rigaudon (lebhafter proven^alischer Tanz im Allabreve-Takt) werden formal gewiß den Ansprüchen ihrer Titel gerecht, doch sind sie nicht sichtbar von den französi-