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ZUR EINFÜHRUNG Ludwig van Beethoven schrieb in seinen letzten Le bensjahren, etwa zwischen 1824 bis 1826, fünf Streich quartette, die, weil sie seine letzten Werke waren, die ,.letzten Quartette“ heißen. Jedem Menschen ist das tragische Schicksal Beethovens bekannt, daß er, der Musiker, taub, geworden war. Diese Taubheit erschwerte ihm die Verständigung mit seinen Mitmenschen, sie um gab ihn wie eine undurchdringliche Mauer, durch die kein Ton mehr zu ihm hindurchdrang. Beethoven wurde durch die Taubheit zur Einsamkeit gezwungen. Auch auf sein Schaffen übte sie einen Einfluß aus. Da Beethoven schon seit Jahren keine Instrumente und menschlichen Stimmen mehr hörte, er also schon seit Jahren keine Werke mehr von sich hatte vernehmen können, kümmerte er sich um den Klang und die Wirkung seiner Werke fast nicht mehr. Wir müssen ihn uns so komponierend vor stellen, daß er über seine Notenblätter gebeugt dasaß, ganz in sich versonnen, grübelnd, denkend, innerlich fühlend und alle jene inneren Stimmen, die sein inneres Ohr vernahm, niederschreibend. Für ihn wurde die Musik zu einer Art Denkkunst, die des sinnlichen Klanges entbehren konnte. So schrieb er auch das Streichquartett op. 130, das aus mehreren Sätzen bestand und dessen Schlußsatz eine große Fuge war. Dieser Satz war allerdings Beethoven über seinem Grübeln und seiner Weltabgeschiedenheit so umfangreich wie ein ganzes Quartett selbst geraten — und die kühnen gedanklichen Schwierigkeiten dieses Schlußsatzes waren für damalige Zeiten so ungeheuer lich, daß sogar seine treuesten Freunde, der Geiger Schuppanzigh mit seinen Quartettgenossen, mit diesem Werke nichts anzufangen wußten. Sie schüttelten die Köpfe, hielten den Satz nicht nur für unspielbar, sondern auch für unverständlich. Sie rieten Beethoven, ihn zu streichen. Beethoven wurde zunächst äußerst erregt und zornig, ließ sich jedoch dann überzeugen, ihn von seiner ursprünglichen Stelle wegzunehmen. Er gab diesen Satz als ein gesondertes Werk heraus, als ,,Große Fuge“ in B-Dur, und gab ihm eine neue Werkziffer. Dieses Opus 133 ist leider ein Stiefkind der Quartettkunst ge worden. Es ist sehr selten zu hören. Verschiedene Kom ponisten und Musikwissenschaftler waren der Meinung, daß seiner großen Ausdehnung nur ein großes Gewand, das Orchester, angemessen wäre. Der Streichquartett- satz ist mehrere Male für großes Orchester bearbeitet worden und hat sich in diesen Fassungen wenigstens etwas eingebürgert. Daß dieses Werk im Beethovenjahr erklingt, ist ein großes Verdienst. Das vierte Konzert für Klavier und Orchester in G-Dur, op. 58, das Beethoven im Jahre 1805 komponiert hatte, widmete er seinem Freunde und Schüler, dem Erzherzog Rudolph aus dem Hause der Habsburger. Beethoven ver kehrte in den Kreisen des österreichischen Hochadels, weil er in Verkennung des Wörtchens ,,van“ vor Beethoven der Meinung war, er sei selbst adlig. Die vielen Widmungen seiner Werke deuten auf diesen Umgang hin. Das ist eine merkwürdige Tatsache im Dasein dieses freiheitsliebenden Menschen, der von den Ereignissen der Französischen Revolution innerlich ergriffen wurde. Als später das Vormundschaftsgericht in Wien ablehnte, dieses ,,van“ als Adelsprädikat anzuerkennen, änderte er brüsk seinen Umgang und zieht ab nun bürger liche Freunde vor. Aber das hat auch mit seinem Ohren leiden zu tun, da er sich als Schwerhöriger in der Hof gesellschaft nicht mehr wohl fühlte. Das G-Dur-Klavierkonzert ist in seiner Grundstimmung mild, heiter, lyrisch. Beethoven verwertet in diesem Werke alle Errungenschaften und Erkenntnisse, die er sich in seinen Klaviersonaten, die diesem Konzert voran gingen, erarbeitete. Die Durchführung aller Sätze ge winnt an Fülle und Geschmeidigkeit, die Themen werden reicher und seine ganz besondere Begabung der Impro visation, also der unmittelbaren Erfindungsgabe, kommt der Vielfalt der musikalischen Gedanken zugute. Die Gegenüberstellung des Solos ,zum ganzen Orchester wird in ihrer Gegensätzlichkeit vertieft: zwei Pole, eine Persönlichkeit und die Welt als Ganzes, stehen sich gegenüber, um sich über ihre Daseinsberechtigung zu unterhalten. In diesem Konzert geschieht dies allerdings in einer milden Haltung, die den sonst so kämpferischen Geist Beethovens vermissen läßt. Nach den einleitenden Takten des Klaviers kommt eine große Orchesterstelle, die das thematische Material für den ersten Satz liefert. Der Solist kann mit seinen Fähig keiten prunken: Läufer, Arpeggien, Triller, Akkord klänge, Oktaventechnik und alle Arten der damals üb lichen Verzierungen schmücken seinen Part. Das Andante mit seiner Zwiesprache ist in einer wehmütigen Stimmung gehalten. Das Schlußrondo ist von einer sehr gelösten Heiterkeit. Wie eine Art Geschwindmarsch brennt dieses lustige Feuerwerk ab, von einem Beethoven Zeug nis ablegend, der den meisten Menschen, die ihn nur als Titanen kennen und kennen wollen, ziemlich unbekannt ist. Johannes Paul Thilman Ludwig van Beethovens Sinfonie in F-Dur, die „Pa storale“ genannt, weist mit ihrer Überschrift, mit den erläuternden Satzbezeichnungen die Phantasie des Hörers in ganz bestimmte Bahnen, sie grenzt also an die Programmusik an. Sie sagt außerdem etwas über den Komponisten aus: der sie schrieb, war ein Jünger Jean Rousseaus, jenes französischen Philosophen, dessen Ruf „Zurück zur Natur“ sich in Beethovens Ausspruch „Mir geschieht nur dann wohl, wenn ich in der freien Natur bin“ wiederholt. In dieser, seiner sechsten Sinfonie, setzt er seine Naturverbundenheit in Töne um. Im ersten Satz erleben wir das „Erwachen heiterer Gefühle bei der An kunft auf dem Lande“. Auf ihn trifft besonders zu, was der Komponist von der ganzen Sinfonie behauptet, sie sei „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“. Im zweiten Satz aber, der „Szene am Bach“, hören wir das Wasser murmeln (in den Begleitstimmen), und amSchluß stimmen gar die Vögel ein lustiges Terzett an, Nachtigall (Flöte), Wachtel (Oboe) und Kuckuck (Klarinette). Der dritte Satz, das Scherzo, schildert das „Lustige Zu sammensein der Landleute“. Die Mädchen eilen zum Tanz herbei, die Kirmesmusikanten spielen auf (und blasen auch einmal einen falschen Ton), nach einenjä Trompetensignal beginnt der Tanz, ein kräftiger Walzcfl mit Stampfen und Jauchzern. Auf dem Höhepunkt wir^ innegehalten. Ein Überleitungssatz kündet „Gewitter, Sturm“. In der Ferne grollt der Donner. Ängstliches Durcheinander. Dann bricht auch schon das Wetter los. Der Donner rollt, die Blitze zucken, der Regen rauscht. Nachdem sich das Unwetter verzogen hat, atmen Mensch und Natur auf, befreit und erquickt zugleich. Ein Dank gebet steigt zum Himmel und ein Flötensolo leitet ohne Pause über zum Schlußsatz: „Hirtengesang. Frohe Ge fühle nach dem Sturm“. Die Sonne scheint wieder. Dank bar freut sich der Mensch der holden Natur. Diese Ge fühle darzustellen, diese Stimmungen widerzuspiegeln, ist die Absicht des Komponisten. Prof. Dr. Laux