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6 Der Italiener Renzo Rossellini gibt zu seiner 1937 entstandenen, dreiteiligen, aber zu sammenhängenden Tondichtung „Kupferstiche aus dem alten Rom“ eine Einleitung, die uns sagt, daß wir es hier mit einem Stück echter Programm-Musik zu tun haben. Er sagt: „Unter dem ,alten Rom 1 verstehe ich das verschwundene Rom des beginnenden 19. Jahrhunderts, das Rom der Pinelli, Piranesi, Stendhal, Belli und Chateaubriand. Ich habe die drei Sätze der Komposition ,Kupferstiche 1 genannt, weil im römischen Kupferstich iim 1800 der ganze Duft, die ganze Poesie jener verschwundenen Welt ein gefangen sind. In einer Sammlung von Kupferstichen von B. Pinelli fand ich die drei Sujets, die ich musikalisch dargestellt habe. 1. Satz: Weihnachten. Zwei Pfeifer blasen vor einem Bild des Jesuskindes, ein Hund schlummert zu Füßen der Musikanten. Ein bißchen weiter weg verkauft ein Kastanien händler seine dampfende Ware. 2. Satz: Die Wagen. Er schildert den langsamen und mühevollen Zug der Karren an einem Augustnachmittag, die einer hinter dem anderen den guten Wein der „Castelli“ transportieren. Die Fuhrleute singen, halb im Schlaf, ein römisches Volkslied, das das Knirschen der Räder begleitet. | 3. Satz: Volkstanz in der Villa Borghese. Eine buntscheckige Volksmenge, in römische Volkstrachten gekleidet, tanzt schwungvoll und stimmt zum Schluß mit lauter Stimme eine etwas rohe und kräftige Volksweise an.“ Rossellini gehört zur jungen italienischen Komponistengeneration. Zu Unrecht ist Schumanns Cello-Konzert ein seltener Gast in unseren Konzert sälen. Es hat mit dem vielgespielten Klavierkonzert nicht nur die Tonart und die ganze An lage gemein, es ist auch wie dieses mit sehr viel Verständnis für das Soloinstrument ge schrieben, es gleitet nie ins Virtuos-Leere ab, sondern ist immer inhaltsvolle, gefühlvolle, echt romantisch-schwärmende Musik. Das Konzert ist einsätzig, doch lassen sich die drei Teile leicht unterscheiden. Der erste, „Nicht zu schnell“, beginnt, nachdem die Tonart in vier einleitenden Takten festgelegt ist, mit einer großgeschwungenen Kantilene des Solo cellisten, der gleich Gelegenheit hat, Ton zu entwickeln und in den eingestreuten Zweiund- dreißigstel-Passagen wie auch in dem später folgenden Triolenthema seine Technik zu erproben. Ganz dem innigen Gesang gewidmet ist der Mittelsatz („Langsam“), der einen kurzen Übergang zum „Sehr lebhaft“, dem Schlußrondo, bildet. In diesem sprühenden Stück spiegelt sich die glückliche Zeit wider, die die Schumanns anfangs in Düsseldorf er lebten. In dem übermütigen A-Dur-Ausklang ist noch nichts zu spüren von den Schütten, die sich wenige Jahre später auf sie herabsenken sollten. Cesar Francks d-moll-Sinfonie, das Werk eines deutschen Musikers — wer das noch vor kurzem behauptet hätte, wäre nicht ernst genommen worden. Denn immer galt Cesar Franck als belgisch-französischer Komponist, in Lüttich geboren, in Frankreich groß geworden. Neue Forschungen aber haben eindeutig ergeben (was der Musiker vorher schon aus der Musik Francks geahnt hatte), daß der bedeutende Tondichter reinsten deutschen Geblütes ist. Gerade in diesen Tagen ist die erste große Biographie erschienen, die dem Rechnung trägt. Mit Recht betont es der Verfasser, Wilhelm Mohr, schon im Titel: „Cesar Franck, Ein deutscher Musiker“ (Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart). Die Sin- S fonie gehört zu dem Wenigen aus dem umfassenden Werk Francks, das in Deutschland be kanntgeworden ist. Ihre Kühnheit (schon die Tatsache, daß Franck das Englischhorn ver wendet, genügte, um abfällige Urteile heraufzubeschwören!) stieß die Zeitgenossen vor den Kopf. Inzwischen ist sie allerdings in das Pantheon der klassischen Musikliteratur ein gerückt. Das Urteil in der erwähnten Biographie: „Für uns Heutige ist Francks Sinfonie eines seiner reichsten und reifsten Werke, die Summe seines künstlerischen und technischen Könnens. Und vor allen Dingen: in kaum einem andern Werk tritt uns die deutsche LS-' Artung seines Wesens unmittelbarer und überzeugender entgegen als in seiner d-Moll-Sin- fonie — und dies am Ende eines inmitten französischer Kultur verbrachten Musikerlebens!“ Wenn man die deutsche „Verwandtschaft“ nennen wollte, müßte man Brahms zitieren, dessen „Deutsches Requiem“ (zweiter Satz!) im zweiten Satz der Franckschen Sinfonie herauf beschworen wird, vielleicht aber auch Richard Wagner, dessen Chromatik von Franck aufgenommen, zugleich aber in selbständiger Weise weitergebildet wird, so daß ihn Mohr sogar als „Wegbereiter des Impressionismus“ in die Musikgeschichte einsetzt. Ein Beleg dafür ist gerade eine Stelle aus dem Sinfonie-Finale (Takt 318 ff.), wo die Akkorde nur noch als Farbwerte eingesetzt sind. Es ist ungemein reizvoll, Werk und Autor von diesen neu gewonnenen Standpunkten aus zu betrachten. Dr. Karl Laux. M/0252