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ZUR EINFÜHRUNG Marcel Poot (geb. 1901), ist ein belgischer Komponist, der sich allmählich immer mehr die Konzertsäle Europas erobert. Es ist interessant, daß seine Werke trotz einer ausgesprochen neuen Haltung Anklang finden, daß sie ins Ohr der Hörer eingehen und daß sie einen Nachhall hinterlassen. Poot hat anfänglich für den Rundfunk gearbeitet, er hat Werke im Auftrag geschaffen, die sich an den großen, sich aus allen Schichten der Bevölkerung zusammensetzenden unsichtbaren Hörerkreis wenden sollten — und solche Aufgaben erziehen auch einen Komponisten. Poot ist Klassizist, er bemüht sich um eine Aus gewogenheit des Geistigen und des Gefühls, er schreibt eine absolute, unprogrammatische Musik, die trotz lyrischer Anklänge immer unromantisch bleibt. Auch in seiner 1947 geschriebenen Rhapsodie, die eine unpathetische Musik, die deshalb gesund und lebensfähig ist und wohl aus diesem Grunde so an spricht. Mit einer großgeschwungenen Melodie der Klarinette, mit gedämpften Klängen der Streicher beginnt das Werk, das sich darauf sofort in eine rhythmisch stark akzentuierte Episode stürzt, in 1: : Synkopen eine Rolle spielen. Eine Flötenmelodie leitet zu einem Streicherzwischensatz über, der ip einen Marsch mündet, in dem alle Kühnheiten der Neuen Musik entfesselt werden. Unvermittelt taucht die rhythmische Episode wieder auf, diesmal ins Humoristische gewendet. Poot liebt die Behandlung der Holzbläser, die seiner Musik deshalb eine besondere Farbe verleiht. Eine Erinnerung an die Klari nettenmelodie des Beginns wird ausgelöst, in der Vergrößerung erklingt ganz still und einsam dieser melodische Bogen, worauf die Musik in ein nervöses Schlußpresto übergeht, in dem durch rhythmische Verschiebungen, Schwerpunktsverlagerungen und Schlagzeugeffekte ein brillanter Ausklang erzielt wird. Trotz dieser freien formalen Anlage, die Poot auf der Suche nach neuen Formen einsetzte, macht die Rhapsodie einen geschlossenen Eindruck. Peter Iljitsch Tschaikowsky (1840—1893) schrieb sein Violinkonzert D-dur. op. 35, im Jahre 1878. Auch aus diesem Werke spricht der echte Tschaikowsky, der trotz aller Liebe für die Musik Westeuropas überall das ursprünglich Russische herausschauen läßt. Neben einer über allem liegenden Melancholie, die auf seinen Lebensumständen beruhen mag, steht eine zarte Grazie, die oft umschlägt in Lustigkeit und derben Taumel. Vor allem in den Schlußsätzen seiner Sinfonien und Konzerte greift er auf russische Melodien aus dem Volke zurück, läßt er Rhythmen russischer Tänze erklingen, spricht er die Sehnsucht des russischen Menschen und die Weite der Landschaft Rußlands aus. Im Violinkonzert bedenkt er das Soloinstrument reich mit jenen Eigenheiten, die es im besonderen auszeichnen können: mit dem Ver mögen, zu singen und der Eignung zur virtuosen Brillanz. Es gab eine Zeit, da dieses Werk wegen seiner besonderen Ansprüche nur wenigen großen Geigern von Format zur Verfügung stand. Das ist auch heute noch so, obgleich die virtuose Technik mehr Geigern zu Gebote steht als vor 60 bis 70 Jahren. Um das Werk restlos auszuschöpfen, bedarf es neben einer geistigen Reife auch des Einfühlungsvermögens in die russische Psyche. Dann erst offenbart es die Fülle seiner Schönheiten, den Reichtum an herr licher Musik. Die 2. Sinfonie in D-dur von Johannes Brahms, op. 73, ist 1877 geschrieben und ein Jahr später ver öffentlicht worden. Man nennt sie oft die Pastoral-Sinfonie dieses Komponisten, wenn auch hier und da tragische Töne aufklingen wollen. Geschrieben ist dieses Werk arfi Wörther See, wo sich Brahms besonders wohlfühlte. Dieser Ausdruck des Wohlbefindens und eines brahmsischen Glücklichseins, das immer mit etwas Melancholie vermischt ist, durchzieht diese ganze Sinfonie. Der erste Satz beginnt mit einem volksliedhaften Gesang der Hörner und der Holzbläser, wobei Celli und Bässe eine kleine Wechselten - figur spielen, die sich als gestalterisches Motiv für den ganzen Satz, ja für das ganze Werk ergiebig erweist. Das erste Thema, von den Geigen vorgetragen, von den Flöten aufgenoramen, atmet eine gewisse Be haglichkeit — aber wie sicher gleitet es in den bekannten grüblerischen Ernst, den Brahms nie ver leugnet, hinüber. Das zweite Thema läßt die Violoncelli singen. Aber gleich nach diesem ausgesprochenen Gesangsthema findet sich noch ein drittes, ein rhythmisch-markantes ein, das nun zur Durchführung überleitet, in der das Wechseltonmotiv im Blech eine gewichtige Rolle spielt. Die Wiederholung des ersten Teils setzt ganz der klassischen Form entsprechend ein, ein Hornsolo kündet den Beginn der Coda an. Der zweite Satz atmet Trauer und Schwermut. Wiederum singen die Violoncelli eine sehn süchtige Melodie. Eine zweite Episode hat etwas Traumhaftes an sich, aber nach kürzester Zeit gewinn in diesem Seelengemälde der Trübsinn wieder die Oberhand. Den Abschluß bildet die Wiederholung des sehnsüchtigen Gesanges, diesmal von den Geigen, darauf von der Oboe, dann vom Horn gesungen. Der dritte Satz ist ein Allegretto, der das Scherzo vertritt. Die klassische Form ist hier auch für Brahms das Vorbild. Das Trio läuft im Zweivierteltakt ab und verändert dabei rhythmisch das vorhergehende Dreivierteltaktthema. Der Schlußsatz (Allegro con spirito) erinnert stark an die Welt Haydns. Brahms wählt hier die Sonaten form, nur daß er die einzelnen Themen zu Themenkomplexen erweitert und anreichert, pine ruhige Episode schiebt sich ein, die sichtlich Natureindrücke widerspiegelt. Die Sinfonie ist klarer instru mentiert als ihre schwergepanzerte Schwester, die erste — sie heißt mit Recht die „Pastorale“ von Brahms. Johannes Paul Thilman 5. Philharmonisches Konzert am Mittwoch, dem 18. Januar 1950, 19 Uhr Dirigent: Prof. Heinz Bongartz . Solist: Alex de Vries, Antwerpen (Klavier) Werke von Brunner, Tschaikowsky und Rachmaninoff