E RLÄUTE RUNGEN Der Russe Tschaikovvsky (1840—93) und die beiden Tschechen Dvorak (1841-1904; gesprochen: Dworschak) und Smetana sind die drei hervorragendsten Vertreter der slavischen Musik. Diese Komponisten waren keine Schöpfer neuer Formen, erfüllten aber die von Komponisten anderer Nationen geschaffenen mit eigenem, neuem Inhalte. Die slavische Rasse kommt in ihren Werken vor allem durch eine eigenartig lebendige Rhyth mik zum Ausdruck, die auf uns stets eine zündende Wirkung ausübt. Die Wurzeln der Melodieerfindung liegen bei Dvorak und Smetana noch mehr in der Volksmusik des eigenen Landes als bei Tschaikowsky, der eigentlich in der Sprache aller Nationen sprechen kann, ln der Sinfonie Nr. 6 H-Moll von Tschaikowsky, die den Beinamen die pathetische, d. i. die feierliche, erhabene trägt, kann man es gerade gut beobachten, daß dem Komponisten sowohl der Aus druck für deutsche romantische Schwärmerei und deutsche Schwerblütig- keit, als auch für asiatisch-russische Brutalität oder für das kultiviertere Gefühlsleben des europäischen Russen gelingt oder auch französischer Salonton und italienische Gesangslinie. Das Werk ist sein berühmtestes und stammt aus seinem letzten Lebens jahre. Er sagte einmal, daß der Sinfonie ein ganz bestimmter poetischer Vorwurf zugrunde liege, wir es also mit Programm-Musik zu tun hätten. Das Programm selbst hat er aber nicht bekannt gegeben, sodaß man das Werk als reine, so oder so deutbare Instrumentalmusik genießen muß und das dank der sich in ihm kündenden genialen Erfindungskraft auch recht gut kann. Schwermut beherrscht zunächst den ersten Satz (Adagio = langsam). Leidenschaft, Schwärmerei bringt der Allegro non troppo- Abschnitt (nicht zu rasch). Der große schumannähnliche Melodiebogen hat zur Berühmtheit der Sinfonie wesentlich beigetragen. Die Durchführung bietet das Bild herben Kampfes. In Ergebung klingt der Satz aber aus. Im zweiten Satz (Allegro con grazia = zierlich bewegt) herrscht der uns ungewohnte slavische 6 / 4 -Takt. Ein äußerst liebenswürdiges Bild slavischer Eleganz. Der dritte Satz (Allegro molto vivace = sehr le bendig) ist ein brutal wuchtiger Marsch. Asien, Kraftmenschen, Kosaken huldigung vor ihrem Führer, das alles scheint sich beim Hören dem geistigen Auge zu bieten. Der vierte Satz (Adagio lamentoso = lang sam, klagend) ist, wie man einmal gesagt hat, „ein wehevolles Verbluten“. Der Komponist selbst spricht von „Requiem-Stimmung“, die dieser langsame Satz hätte. Aufreibender Schmerz, Verzweiflung im Dahinsiechen. Vorüber gehend nur leuchtet ein tröstlicher Klang.