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Sitzmus dcS SNlLtvclor^ueU'n-^uttejsirunS zu Dippoldiswüli'c am 27. Mai 1921. Das Kollegium ist vollzählig bis auf die entschuldigten Stadt verordneten Schubert und Sieber. Vom Rate sind erschienen Bürgermeister Herrmann und Stadtrat Riekert. Kenntnis wird genommen vom Dankschreiben des Ober lehrers Eidner für die ihm anläßlich seines 40 jährigen Orts- jubiläums erwiesenen Aufmerksamkeiten und vom Ergebnis der Rachforschungen durch die Schuhmannschaft nach dem Ergebnis der Rattenvergistung. Hiernach sind tote Ratten nirgends ge sunden und ist eine auffällige Abminderung der Zahl der Ratten nicht beobachtet worden, dagegen sind verschiedentlich Haustiere dem Gist zum Opfer gefallen, wo man Reste desselben fahr lässigerweise in Aschegruben usw. warf. Nach Ansicht deS Stadt rats eiäckel (in einer Ratssitzung ausgesprochen) war die Wirkung «ine gute: wo sie ausblieb, lags an der unvocschriftsmähigen Auslegung des Giftes. — Die Gesamtkosten des letzteren betrugen »88,05 M. Die geprüfte 1919 er Sparkaffenrechnung wird richtig ge sprochen. Kenntnis genommen wird weiter davon, daß Stadtrat Fritsch wegen Ueberbürdung das Amt als Vorsitzender des Wohnungs ausschusses niederlegte und der Rat an seine Stelle Stadtrak Schwind wählte. Um aber einen Bausachverständigen im Aus schuß zu haben, wählte das Kollegium an Stelle des Stadtver ordneten Heinrich den Stadtverordneten Nitzsche in den Ausschuß. Bewilligt werden für 5 Iahresiiberstunden an der Gewerbe schule se 400 M„ rund 4000 M. zur Anschaffung einer Schreib maschine für die Müllerschule, 45 M. der Schühengesellschaft zum Schützenfest (wohl wie früher zu Kinderbelustigungen), Er höhung der Vergütung für Prüfung der Bierdruckapparate von 50 auf 150 M.: hierzu wird gleichzeitig die Erhöhung der von den Gastwirten zu zahlenden Prüfungsgebühr auf 5 M. be schloßen. Auf ein Gesuch der Gewerkschafts - Bibliothek um eine laufende städtische Unterstützung hat der Rat eine ein malige Beihilfe von 250 M. beschlossen. Referent führt hierzu aus, daß Eigentümer der 1918 gegründeten, heute 548 Bände umfassenden Bibliothek die Gewerkschaften und die sozial demokratische Partei seien, daß im Vorjahre 728 Bände an 83 Leser ausgeliehen wurden: daß aber, da als solche nur ge werkschaftlich oder politisch organisierte Arbeiter in Frage kommen (diese Auffassung findet Bestätigung durch die Aus führungen eines anderen Stadtverordneten, nach denen die sozial demokratische Partei nur deshalb Mitbesitzerin der Bibliothek wurde, um auch den Pcht gewerkschaftlich, wohl aber oolikisch Organisierten deren Benutzung zu ermöglichen), die Bioliokhek der Allgemeinheit nicht zur Verfügung steht, ihr somit laufende Unterstützung twie erbeten) aus städtischen Mitteln (also aus Mitteln der Allgemeinheit) auch nicht bewilligt werden kann. Referent stellt ausdrücklich fest, daß er nicht des halb gegen den Ratsbeschluß spricht, weil es sich um die s o z i a l - demokratische Partei handelt, sondern deshalb, weil es sich tberhaupt um eine Partei handelt und nicht um eine der Allgemeinheit dienende Einrichtung. An sich befürwortet er die Beihilfe und beantragt, den Beschluß auszusehen und den Stadtrak zu ersuchen, zunächst festzustellen, ob Vereinigung mit der Gewerbevereins - Bibliothek und sodann gemeinschaftliche Verwaltung oder sonst der Allgemeinheit Zugängigmachung mög lich ist, und ob Vorkehrungen getroffen werden können, daß die Stadt durch eine Beihilfe ein gewisses Vesihrecht an den Büchern erlangt (wie bei der Gewerbevereins-Bücherei) in der Form, daß bei Auflösung der Eigentümer-Vereinigung die Bücherei in Stadtbesitz übergeht. Von verschiedenen Seiten wird der Ver einigung als im Interesse aller liegend warm das Wort geredet. Während die sozialdemokratischen Redner diese anfänglich für Unmöglich halten, wird nach längerer Aussprache, in der hervor gehoben wird, daß solche Zentralbibliotheken ja neuerdings vieler orts geschaffen wurden, schließlich doch der Antrag des Referenten einstimmig zum Beschluß erhoben. Zugestimmt wird dem Ratsbeschlusse, der Thüringer Gas- ßesellschaft vom Flurstück 1013 300 Quadratmeter (an das Gas- dehälkergrundstück angrenzend) zum Preise von 0 M. für den Quadratmeter käuflich zu überlassen. Außerdem hat die Gesell schaft für jeden Obstbaum 50 M. zu zahlen, während die Stadt sich das Recht zu Ausgrabungen wegen -er dort liegenden Schleuse vorbehält. Der Dreis von 6 M. wird von einigen Stadtverordneten als zu Hoch befunden, aber dadurch für gerecht fertigt erklärt, daß durch das Herausschneiden dieses Stückes aus dem Flurstück 1013 das ganze Flurstück an Wert verliert. Der nächste Punkt der Tagesordnung, Kaufgesuch des Bor- »erkSbesihers Jäckel, wird in die nichtöffentliche Sitzung verlegt und hierbei vom Bürgermeister angeregt, Grundstücksverkäufe überhaupt nichtöffentlich zu behandeln. Zum nächsten Punkt der Tagesordnung, Gaspreiserhöhung, legt Referent an Hand der Akten eingehend die den meisten OtüdtverorLneten ja noch nicht bekannten Rechtsverhältnisse zwischen Stadt und Thüringer Gasgesellschaft klar, rekapituliert sie verschiedenen Gaspreiserhöhungen und die vielen, allerdings «eist ergebnislosen Bemühungen wegen deren Umgehung, kommt schließlich auf die jüngste Erhöhung zu sprechen, erwähnt, daß »a§ Landespreisamt, an das der Rat sich gewandt hatte, eine Stellungnahme ablehnl und auf das vorgesehene Schiedsgericht »erweist, daß die Leipziger Hauptleitung der Gesellschaft auf 130 Pf. bestehen bleibt, die der Rat nunmehr bewilligte, und Wägt nach Lage der Sache Beitritt zum Ratsbeschlusse vor. Aach längerer Aussprache stimmt Kollegium dem zu mit der Maßgabe, mit den Gemeinden, mit denen der Rat in der Sache t» Verbindung trat, in Fühlung zu bleiben zwecks gemeinschaft licher Anrufung des Schiedsgerichts bei einer etwaigen aber maligen Gaspreiserhöhung. Auch wird darauf hingewiesen, daß »nser Gaä gegenüber dem im Niederlande an sich viel zu teuer fiel, denn es sei minderwertiger infolge seiner starken Vermischung mit Luft. In letzter Zeit sei zeitweise das Kochen mit Gas überhaupt unmöglich gewesen, weshalb Beschwerde geführt »erden soll. Zum letzten Punkt der Tagesordnung erfolgt ebenfalls aus führliche Berichterstattung von der Zeit an, da der Gedanke einer Ban-wirtschaftlichen Winterschule in Dippoldiswalde greifbare Gestalt annahm, bis in die jüngste Zeit, da der Weggang Tatsache »urde. Es zeigt sich, daß die städtischen Kollegien alles taten, »as Möglich war, um die Schule zu erhalten. Die Erfüllung der »vm Landwirtschaftlichen Kreisverein gestellten Bedingungen Konnte fast restlos zugesagt werden bis auf die, die die landwirt- schasiliche Abteilung der Handelsschule betrafen. Letztere ist, wie einmal ausdrücklich festgestellt werden muß, der Stein des An stoßes überhaupt gewesen. Der Landwirtschaftliche KreiSverein erblickte darin eine starke Konkurrenz seiner Schule, und sie war es wohl auch. Hier wurden von ihm Forderungen gestellt (so sollte bei den Ankündigungen das .Landwirtschaftliche Abteilung' Wegfällen), die die städtischen Kollegien im Interesse der städti- kchen Handels- und Gewerbeschule ablehnten. Und das hat den Ausschlag gegeben. Nunmehr hat der Landeskulturrat vorge- sthlagen und der Landwirtschaftliche KreiSverein zugesttmmt, der standwirtschaftlichen Abteilung der Handelsschule einen akade misch gebildeten Fachlehrer der Tharandter Schule im AuStausch- »erfahren für den Fachunterricht zur Verfügung zu stellen und «inen namhaften Zuschuß zu den dadurch entstandenen Kosten zu Zahlen unter der Bedingung, daß dem Ausschuß der Schule ein sritter Landwirt zugeleilt wird. Diesem Vorschlag stimmt Kolle- Oiuin im Prinzip zu, will aber die Höhe des Zuschusses wissen, »nd schlägt als dritten Landwirt den Stadtrat Jäckel vor. Bei dieser Aussprache nimmt Sladkrat Riekert Gelegenheit, -«n seinem Amtsvorgänger und ihm in den Verhandlungen mit -Mn Landwirtschaftlichen Kreisverein vom Oekonomierak Welde zweimal gewachten Vorwurf des unlauteren Wettbewerbs Sffenk- ; lich energisch zurllckzuweiscn. Er stellt fest, daß bei Gründung der , Abteilung B der Handelsschule vor 9 Jahren und auch später die Bezeichnung als .Landwirtschaftliche Abteilung' ausdrücklich festgestellt wurde. Der Schuldirektor habe also nur seine Pflicht getan, wenn er diese Bezeichnung auch in den öffentlichen An kündigungen gebrauchte. Nach Erledigung der Tagesordnung weist Vorsteher Jäckel auf die große Gefahr hin, die unseren Obstgärten durch das plötz liche inassenyafle Auftreten der Blutlaus droht, und auf die Not wendigkeit allgemeiner Bekämpfung, während Stadtverordneter Heil bekannt gibt, daß gegen den Bau des Gasbehälters Ein sprüche nicht erhoben wurden und der Rat die Baugenehmigung erteilte, sodaß der Errichtung deS Behälters nichts mehr im Wege steift. Hierauf nichtöffentliche Sitzung. Von Woche zu Woche. Randbemerkungen zur Zeitgeschichte. cC In der Pariser Kammer hat diese Woche der Ministerpräsident Briand Kunststücke ausgeführt, und i zwar mit einer Virtuosität, die sogar die früheren : Leistungen dieses politischen Kautschukmannes noch übertraf. Er mußte seine macht- und ruhmsüchtigen § Landsleute dazu bewegen, daß sie auf die ersehn- - ten Erfolge von heute verzichteten in der Hoff- ! nung auf Erfolge von morgen. Das war bei dem ' bekannten Charakter der Franzosen und bei der gro- ! ßen Macht des tatendurstigen Marschalls Foch wahrlich ! keine kleine Aufgabe. Was wollten die Franzosen haben? Drei nied- ! liehe Dinge: die deutschen Milliarden, das deutsche : Ruhrgebiet mit seinen Bergwerken und Fabriken, das : polnische Oberschlesien für ihre polnischen Schützlinge. ! Was konnte ihnen Briand bieten? Als greifbaren j Erfolg nur unsere Unterschrift unter das Ultimatum i und den Anfang der deutschen Zahlungen. Damit . war aber die Besetzung des Ruhrgebiets aufgescho ben. Briand konnte diesen Rückschlag nur dadurch ! weniger empfindlich machen, daß er mit besonderem ; Eifer versicherte, der Vormarsch in das innig ge- s liebte Ruhrland werde sofort und sozusagen von selbst ! erfolgen, sobald Deutschland in einer von seinen vie^ I len Verpflichtungen rückständig bleibe. In der ober- j schlesischen Sache konnte er auch nur Zukunftsaus- j sichten vorführen; aber er tat das mit solchem Schwung, daß die meisten Zuhörer des festen Glau bens wurden, es werde ihm gelingen, den oberschle- sischcn Minenbezirk, das Herzstück des Landes, den geliebten Polen zuzuschanzen. s Wegen dieser schönen Zukunftsmusik haben die > Franzosen sich vorläufig entschlossen, es noch nicht ! zum Bruche mit England kommen zu lassen, sondern ! vielmehr zu versuchen, den wetterwendischen Lloyd George allmählich wieder auf ihre Seite zu ziehen j und so die Eroberungen an der Ruhr und an der ! Oder vorzubereitötl. Der geschmeidige und schlaue Briand bleibt vor- i läufig am Ruder, und er wird um seiner Selbsterhal- s tung willen alles mögliche tun, um erstens recht bald einen Vorwand für den Vormarsch an die Ruhr zu gewinnen und zweitens uns Oberschlesten zu ent reißen. Ueber seine gefährlichen Pläne hat er in seinen zahlreichen Reden schon genug Andeutungen gemacht, die für uns wahrlich nicht lieblich sind. Können wir uns auf Lloyd George verlassen? Wird er an seinem Kraftwort vom „ehrlichen Spiel" festhalten oder sich wieder zu einer deutschfeindli chen Mogelei verführen lassen? Die neue deutsche Regierung hgt keine materielle Stütze hinter sich, son dern kann sich nur aus die Gerechtigkeit, auf die wirtschaftliche Vernunft und auf die Tüchtigkeit des deutschen Volkes verlassen. Briands Sieg. Annahme des Vertrauensvotums mit 4l» gegen 17k Stimmen. Nach fünftägiger Jnterpellationsdebatte und den schärfsten Angriffen der nationalistischen Opposition hat die französische Kammer dem Ministerpräsidenten Briand mit 419 gegen 171 Stimmen ihr Vertrauen ausgesprochen. Die Vcrtrauenserklürung verlangt ge naueste Durchführung der Londoner Forderungen, die als das Minimum für die Sicherheit und Wiederer hebung Frankreichs bezeichnet werden, und sofortige Anwendung der Sanktionen bei deren Verletzung. Die Kammer vertraut weiter darauf, daß die Negierung in dec oberschlesischen Frage die strikteste und loyalste Ausführung der Bestimmungen des Versailler Vertra ges sichern wird. Ter französische Standpunkt über Overschlesieu. - Bevor über diese Tagesordnung abgestimmt wurde, j fand noch eine lebhafte Aussprache statt, in die auch der Ministerpräsident mehrmals cingriff. Briand kam hierbei auf die o b e r sch l e s i sch e Frage zurück. Wie derum spricht er seine Meinung dahin aus, daß die Militärs, die in Oberschlesten seien, in dem erregten Land vielleicht nicht so gearbeitet hätten, wie man es hätte wünschen dürfen. Er jst der Ansicht, daß eine flüchtige Tagung des Obersten Rates nicht alle notwendigen Elemente zur Perfügung haben könnte Er fragte, weshalb man die Angelegenheit nicht tech nischen Sachverständigen unterbreitet, die sie in wirtschaftlicher und ethnographischer Hinsicht prü fen, da sich die Regelung der polnischen Frage nichl in überstürzter Weise vornehmen lassen wird. Ein Kompromißvorschlag? Was die wi.tschaftlichen Fragen anbetreffe, st gebe es Sorgen, von denen man sprechen müsse, ohne die Empfindlichkeit der Polen zu verletzen. Dai Industriegebiet arbeite für die ganz« Welt. Aus diesem Grunde bestimme auch der Frie denSvertraa, daß auf die wirtschaftlichen Notwendig keiten Rücksicht genommen werden müsse. In vielen Ländern, die Polen nicht ungünstig gesinnt seien, wolle man verhindern, daß eine unerfahrene Lei tung die reichen Industrien vernichte. Die industrielle Durchdringung sei so, daß diese Befürchtungen ge rechtfertigt seien. Alle diese Fragen müßten in den Akten geregelt werden, die dem Obersten Rat vorgelegt würden. Frankreich habe von der polnischen Regie rung verlangt, daß die Bedingungen des Vertrages vervollständigt werden, damit, wenn Deutschland Oberkcblekien aenommcn wurde, man ihm nicht auch die Zahlungsmittel nehme, denn 18 Jahre hindurch müsse es Rohmaterialien zu den heutigen Bedingungen beziehen können, und die Gebiete seien verpflichtet, an den Reparationsbedingungen Deutsch lands solidarisch tellzunehmen. Er sei überzeugt, daß die polnische Regierung geneigt sei, daß diesen wirt schaftlichen Befürchtungen Folge geleistet Werve. Dev französische Standpunkt sei, daß die reichste Minengegend Polen -«gesprochen werde. Wen» die Bevölkerung sich für Deutschland ausgesprochen hätte, dann würde sich Frankreich dem Votum fügen, aber die Bevölkerung habe sich für Polen ausgesprochen. Das Industriegebiet müsse Po len zuerteilt werden, weil es an Polen grenze und weil die Stimmenmehrheit für Polen entschieden hat. Im Anschluß an diese Ausführungen Briands kam es zn einein scharfen Rededuell zwischen ihm und dem ehemaligen Finanzminister Klotz. Er klagt den Ministerpräsidenten an, daß er in London die im Friedensvertrage von Versailles Frankreich zustehenden Rechte nicht genügend verteidigt habe und die Sank tionen nicht habe spielen lassen. Die Kammer könne der Regierung erst dann ihr Vertrauen aussprechen, wenn dieser der Kammer das abgeänderte Londoner Abkommen zur Ratifizierung vorgelegt habe. Briand lehnte diesen Vorschlag entschieden ad und stellte die Vertrauensfrage. Die Kammer ent schloß sich für sofortige Abstimmung und sprach der Regierung, wie bereits oben erwähnt, mit überwäl tigender Mehrheit das Vertrauen aus. Die Mehrheit in Oberschlesten. Im Verlaufe der letzten Pariser Kammerdebatte hat der französische Ministerpräsident den Standpunkt : Frankreichs in der oberschlesischen Frage ausführlich ! dargelegt. Seine Ausführungen lassen darauf schlie- ! ßen, daß Frankreich dem Obersten Rat bet seiner nächsten Zusammenkunft einen Kompromißvor- schlag über die künftigen Grenzen des Abstimmungs gebietes unterbreiten wird. Die Entscheidung des Ober- ! sten Rates soll sich nach Briands Vorschlag auf die Vorarbeiten einer Kommission von Ingenieuren und Juristen stützen, die die Angelegenheit in wirtschaft licher und ethnographischer Hinsicht prüfen soll. Als feststehend betrachtet Briand von vornher ein, daß die Bevölkerung der reichsten Minengebiete sich für Polen entschieden habe und daß deshalb i das Industriegebiet an Polen fallen müsse. Jedoch muß Briand zugeben, daß man in vielen, den Polen nicht ungünstig gesinnten Ländern starke Bedenken trägt, die reichen Industrien einer unerfahrenen Lei tung anzuvertrauen. Zweifellos würde die oberschle sische Industrie unter Polnischer Herrschaft in knrzer Zeit vollständig heruntergewirtschaftet sein, seine Pro duktionsmöglichkeiten würden sehr schnell znrückgehen und der Ausfall der oberschlcsischen Wahlen müßte für das gesanite europäische Wirtschaftsleben geradezu verhängnisvolle Folgen haben, da — um Briands eigene Worte zu gebrauchen — das Industriegebiet für die ganze Welt arbeitet. Ferner kann Briand sich der Tatsache nicht ver schließen, daß Deutschland bei einem Verlust des ober schlesischen Industriegebietes auch einen wesentlichen Teil der Zahlungsmittel für die Reparationsleistun gen einbüßen würde. Er macht deshalb den Vorschlag, daß Deutschland in diesem Falle 15 Jahre hindurch Rohmaterialen aus Oberschlesien zu den heutigen Be dingungen beziehen könne. Außerdem sollen die an Polen fallenden Gebietsteile verpflichtet sein, an den Wiedergutmachungsverpfltchtungen Deutschlands solid«, risch tetlzunebmen. Briand ist der Ueberzeugung, daß die polnische Regierung geneigt sei, auf dieses. Kompromiß einzugehen. Die Annahme dieses französischen Vermittelungs vorschlages wäre eine Vergewaltigung des Abstim mungsergebnisses, denn er beruht — und das mich immer wieder betont werden — aus vollständig fal schen Voraussetzungen. Die Bevolkeruiw der reichsten Minengegend hat sich nicht, wie Briand saat, für Polen ausgesprochen. Unzweifelhaft pol nische Mehrheiten haben nur die beiden südlichen: Kreise Pleß und Rybnik ergeben, die, nebenbei be merkt, die grüßten, allerdings bisher noch uner schlossenen Kohlenfelder ganz Oberschlesiens in sich bergen. Das eigentliche oberfch le fische Indu striegebiet: Kattowitz, Gleiwitz» Beuthen, Hinden^ bürg hat sich ebenso unzweifelhaft in seiner Mehr- zeit für Deutschland ausgesprochen, wenn auch in rinzelnen Landgemeinden das polnische Element über wiegt. An dieser Tatsache kann auch die französische Berdrehungskunst nicht rütteln, und wenn, wie die Tagesordnung Briands sagte, die französische Regie rung in der oberschlcsischen Frage die lqyalste Aus führung der Vcrtragsbestimmung sichern und nur nach dem Grundsatz der Gerechtigkeit entscheiden will, dann gibt es kettle andere Lösung, als daß das oberschle sische Industriegebiet bet Deutschland bleibt, dem es seine ganze glänzende Entwickelung verdankt. Neue deutsch-belgische Grenze. kk. Wie es nicht anders zu erwarten war, hat der Botschafterrat alle deutschen Einwände gegen die Grenzfcstsetzung der Grenzkommisston in bezug auf Belgien und Deutschland außer acht gelassen. ES bleibt beim Spruch der Grenzkommisston, der dem Kreta Monschau mtt der Zuweisung der Bahn Raeren— Kalterberg die einzige Bahnverbindung nimmt und eine Reihe von deutschen Enklaven im ..belgischen" Gebiet schafft, die eine Fülle von zukünftigen Unzu träglichkeiten in sich bergen. Daß der Botschafterrat sich über alle deutschen Noten und Einwände hinwegsetzen würde, konnte nqck einem ganzen bisherigen Verhalten nicht zweifelhaft ein. Wer die fremde „Abstimmu n g^ in den Krei en Eupen und MalmedH gebilligt hat — wie dal a auch der sogenannte Völkerbund in völliger Außer achtlassung des vielgepriesenen „SelbstbesttmmungS« rechtes^ t"t—, der konnte zu gar keinem andere« Beschluß kommen, da er den Beweis erbracht hat daß thin Gewalt vor Recht gehe. Aber daß der Bot< schafterrat in einer endgültigen GrenzsestsetzungSnot«