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KO N G R ES S - S A AL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Dienstag, den 24. September 1968, 19.30 Uhr Mittwoch, den 25. September 1968, 19.30 Uhr 2. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur Solist: Igor Oistrach, Sowjetunion, Violine Alban Berg 1885-1935 Lulu-Suite - Sinfonische Stücke aus der Oper „Lulu" Rondo (Andante und Hymne) Ostinato (Allegro) Variationen Adagio Erstaufführung PAUSE Johannes Brahms 1833-1897 Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 Allegro non troppo Adagio Allegro giocoso, ma non troppo vivace ZUR EINFÜHRUNG Der österreichische Komponist Alban Berg, anfänglich kleiner Wiener Beam ter, in den Jahren 1904 bis 1910 Schüler von Arnold Schönberg, dessen spätere Kompositionsmethode „mit 12 nur aufeinander bezogenen Tönen" in persönlicher Modifizierung Grundlage seines Schaffens wurde, 1930 zum Mitglied der Preu ßischen Akademie der Künste ernannt und 1933 von den Faschisten verboten, schuf mit seiner 1925 von Erich Kleiber an der Berliner Staatsoper uraufgeführten Oper „Wozzeck", einer der genialsten Würfe des neueren Musiktheaters, ein Hauptwerk des musikalischen Expressionismus (des bis ins letzte gesteigerten Subjektivismus), das würdig neben den Leistungen der expressionistischen Ma ler Marc, Nolde, Pechstein, Schmidt-Rottluff, Kirchner, Kokoschka steht. Das nicht sehr umfangreiche, jedoch höchst bedeutende Gesamtwerk Bergs gipfelt fraglos im musikdramatischen Teil, ausgenommen sei das musikgeschichtliche Ausnahmewerk des Violinkonzertes, sein Schwanengesang, vollendet vier Mo nate vor seinem Tode am Weihnachtsabend 1935 in Wien. Im „Wozzeck", der die Gesellschaftskritik des zugrundeliegenden Dramas Georg Büchners zwar etwas zugunsten menschlich-individueller, dämonisch beklemmender Seelen- und Cha rakterzeichnung „entschärft", erreichte der Komponist eine in der Operngeschichte bis dahin unbekannte Verschmelzung von Wortdrama und einer Tonsprache, die ganz ihren formalen Eigengesetzen gehorcht. Fanden Elemente der Zwölftontech nik gelegentlich Eingang in den „Wozzeck", so ist die unvollendet gebliebene, Schönberg zum 60. Geburtstag gewidmete Oper „Lulu“ (1928/35) — nach einer eigenen Bearbeitung der beiden sozialkritischen Tragödien „Erdgeist" und „Die Büchse der Pandora" von Frank Wedekind — im wesentlichen aus einer einzigen Zwölftonreihe entwickelt. „Berg ist der Adagio- und Espressivo-Musiker par excellence", schrieb einmal Manfred Gräter. „Seine Musik — eine atmosphärisch dichte Tonsprache der sub tilsten Klangvisionen - wird in ihrer Eigenart, seelischen Regungen mit suggesti ver, oft geradezu visionärer Kraft bis in die feinsten Verästelungen nachzuspüren, zum Medium des Unaussprechlichen, zum tönenden Seismographen menschlicher Gefühlsregungen. Die Klangphantasie des Komponisten offenbart sich in einem differenzierten Orchestersatz höchster Leuchtkraft und Transparenz, der in ge nialer Weise Koloristisches mit Harmonischem zu verschmelzen weiß." 1934 stellte Alban Berg, nicht ohne ausgiebig zu redigieren, sinfonisch zu verein fachen, verschiedene Teile seiner Oper „Lulu" zu einer Konzert-Suite zusammen, die als selbständige schöpferische Leistung von sinfonischem Eigenwert zu be trachten ist, wenn auch nicht im Sinne der Komposition einer Sinfonie. Diese Lulu-Suite enthält wesentliche musikalische Höhepunkte der Oper. < „Der erste Satz (Rondo; Andante und Hymne) symbolisiert die rätselhafte, fas-' zinierende und unheilvolle Schönheit Lulus. Er vereint die wesentlichsten Liebes szenen der Oper. Eine eigenartige Funktion erfüllt der nun folgende, dem zweiten Akt der Oper entnommene Satz (Ostinato; Allegro). Nach einer glanzvollen ge sellschaftlichen Karriere wird Lulu zur Mörderin ihres Gatten. Sie wird verurteilt und ins Gefängnis gebracht, nach jahrelanger Kerkerhaft jedoch von Freunden befreit. Dieses Geschehen läßt Berg als kurze Lichtspielszene abrollen, deren Begleitmusik sich in erregten Steigerungen zu einem dynamischen Höhepunkt (Akkord mit Klavierarpeggien) entwickelt, und von dort an streng rückläufig, auch in der ursprünglichen Instrumentierung, abklingt. So wird der dramatische Vor gang des sich in Verhaftung — Verzweiflung — Hoffnung — Befreiung vollziehen den Umschwungs im Schicksal Lulus durch einen kompositionstechnischen Kunst griff sinnfällig gespiegelt. Eine Verwandlungsmusik des dritten Aktes, die aus vier IGOR OISTRACH wurde im Jahre 1931 als Sohn des berühmten sowjetischen Geigers David Oistrach in Odessa geboren. Schon öjährig begann er mit ersten Versuchen auf der Violine und 1942 mit geregeltem Unterricht. Als Schüler seines Vaters besuchte er das Moskauer Konservatorium von 1949 bis 1955. Nach glänzendem Abschluß erhielt er eine Aspirantur an diesem Institut. Seit 1950 entfaltete der junge Künstler eine ausgedehnte Konzerttätigkeit in der UdSSR und im Ausland, 1952 gewann er beim Internationalen Wieniawski-Wettbewerb in Poznan den ersten Preis. Seit 1959 führten ihn Konzertreisen wiederholt in die DDR, nach Westdeutschland, Österreich, Finnland, Frankreich England, Japan, Polen, Rumänien, Ungarn, Norwegen, Indien, Belgien, Bulgarien, Uruguay, in die Schweiz und in die CSSR. Igor Oistrach, der bereits in den Jahren 1956 und 1956’ mit der Dresdner Philharmonie musizierte, gehört heute zu den führenden Geigern der jungen Generation im internationalen Maßstab.