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! rr-Mschtet««- der ««erwünschte» Gäste. Die aus Ventülassung der Reichsregierung ausgewiesenen rus sischen Bolfchewtstensührer Sinowjew und Lo sowski sind am Sonnabend vormittag von Berlin nach Stettin apgeretst, von wo die Abreise mittels Dämpfer nach Reval erfolgt. An dem Berliner Hotei Latten die beiden Bolschewisten mit den sieben russi- Men Gewerkschaftlern und zahlreichem Gefolge fünf- 'zehn Zimmer belegt. Eine Reihe weiterer Raume diente Bürobetrieb. Zur persönlichen Sicherheit hatten Pch die Russen eine „kommunistische Leibwache" zuge legt, die vor den Türen Wache hielt und alle vier Mtunden durch Ersatzposten abgelöst wurde. Zum Nb- transport des Gepäcks wurden zwei große Lastautos benötigt, die Russen hatten nümlkch Einkäufe in gro« Kem Stil für Rußland gemacht. Sie enthielten neben einer großen Anzahl von Schreibmaschinen eine ganze Unzahl von Ktnovorführungsapparaten, Filmen, Pa« plermengen und viele Bücher. Der Gesamtwert dieser in Berlin gemachten Einkäufe dürfte sich nach Angabe eines Berliner Mittagsblattes auf eine halbe Million Mark belaufen, ganz davon abgesehen, daß die Russen sich in. Berlin vollständig neu „eingekleidet" hatten. Der Abtransport der Bolschewisten aus Berlin ging vhüe Zwischenfall von statten. Während der Fahrt NW 'Stettin wurden die unerwüschten Gäste von Po- Äzetveamten überwacht. — Die schwedische Regierung hat den russischen Vertretern, die aus Deutschland aus gewiesen wurden, die Einreiseerlaubnis verweigert. Sie wollten sich über Schweden nach Rußland begeben. Auch die italienische Regierung hat den beiden Sow- tetdelegierten Sinowjew und Losowski die Einreise-Er laubnis nach Italien nicht erteilt und diese Maßnahme damit begründet, daß die beiden Delegierten in Deutsch land das Versprechen, sich ausschließlich mit Gewerk- schaftöpolittk zu befassen, nicht gehalten hätten. :: Die Zersetzung der Unabhängige»». Der Kon« flikt zwischen der Redaktion der Berliner „Freiheit" und den Handsetzern, welche sich weigerten, die Versamm lungen der Rechts-Unabhängigen anzukündigen, weil die Zeitung Notizen über Veranstaltungen, der Neu- bommunisten nicht mehr brachte, ist beigelegt worden. Der Betriebsrat hat erklärt, daß bei einem den prole tarischen Interessen dienenden Blatte dem technischen Personal eine Zensur irgendeines Teiles der Zeitung nicht zugestanden werden könne. Das Setzerpersonal Schloß sich dieser Ansicht an und überreichte der Verlags genossenschaft eine Erklärung, in der es heißt, daß Künftighin eine Kontrolle der Redaktion durch die Setzer nicht mehr stattfinden und das Blatt in vorge- schrtebener Weise erscheinen werde. — In einer Sitzung der unabhängigen Fraktion der sächsischen Kammer Wurde festgestellt, daß die Partei einmütig auf dem Boden der U. S. P. Ledebour steht. — Nach einer Meldung der „Dtsch. Allg. Ztg." aus Halle haben in Erfurt die Rechtsunabhängigen gemeinschaftlich mit den Mehrheitssozialisten die linksunabhängige Zeitung „Tribüne" von Sicherheitspolizisten besetzen lassen, um das Erscheinen des Blattes zu verhindern. Es sind große Gegenkundgebungen vorauszusehen. Selbstbestimmungsrecht / " für alle, «ur nicht für die Deutschen. . Zü denjenigen Verfügungen der Entente, die im Mahmen der Friedensverträge am meisten enttäuscht »aben, gehört die Einverleibung der vier Millionen nn Böhmen und Mähren wohnenden Deutschen in das Webtet der Tschecho-Slowakei. Die Enttäuschung war ^besonders groß mit Rücksicht darauf, daß die Entente daS Selbstbestimmungsrecht der Nationen mit so viel großen und schönen Worten als Hauptgrnndlage der künftigen Beziehungen der Völker untereinander be zeichnet hatte. Von diesem Selbstbestimmungsrecht wurde ausge gangen, als die Provinzen an der Adria und in Süd tirol von Italien für sich reklamiert wurden, und erst -recht, als Frankreich Elsaß-Lothringen als seinen an- - gestammten Besitz in Anspruch nahm. Aus dem Kör per des Deutschen Reiches wurden die polnischen Stücke herausgertssen und Nordschleswig wurde Dänemark überwiesen, obwohl es von diesem gar nicht verlangt worden war, und das alles unter dem Hinweis aus das Selbstbestimmungsrecht der Nationen. Dieses Recht kostete Deutschland etwa fünf Millionen seiner Bewohner. Als es darauf ankam, es zugunsten Deutschlands anzuwenden, da gab es plötzlich kein Velbstbestimmungsrccht der Nationen mehr. Es wäre ungemein interessant, die Gründe zu hören, mit denen seinerzeit die Weisen von Versailles die Ungerechtigkeit vor sich selbst zu beschönigen suchten, mit der sie nach Willkür und in direktem Widerspruch zu dem von ihnen -verkündeten Selbstbestimmungsrecht der Völker über Millionen Deutscher verfügten. s Daß immerhin das Bewußtsein für dieses Unrecht damals nicht ganz fehlte, wird jetzt bekannt durch eine Veröffentlichung der Prager „Bohemta", die den Inhalt einer seinerzeit von der tschecho-slowakischen Mtedensdelegation in Paris der Entente überreichten Denkschrift wiedergibt. Diese Denkschrift hatte den Zweck, die Bedenken der Entente gegen die Einverlei bung der deutschen Gebiete in die tschecho-slowakische Republik zu zerstreuen, was ihr ja auch, wie man weiß, gelungen ist. Die Tschechoslowaken ver sprachen darin den Deutschen in Böhmen vollkom mene Gleich berechtig nng, das Recht eigener Schulen, Richter und Gerichtshöfe, die Zusammenfas sung der deutschen als zßfcite Landessprache und im .allgemeinen die Errichtung eines ähnlichen Regimes wie in der Schweiz. Wie wenig von diesen Berspre- Mungen gehalten worden ist, wissen wir. Und es ist auch HkMSL daß die Nichteinhaltung der Aerspre, chungen vurch die Tschechoslowaekn von selten der En tente keinerlei Beanstandung gefunden hat. Seitdem Wilson aus der Reihe der Staatsmänner ausgeschieden ist, die die Geschicke Europas leiteten, gibt es keinen mehr, von dem die Tschechoslowaken einen Einspruch befürchten müßten. Denn Lloyd Ge orge ist von den eigenen englischen Angelegenheiten zu sehr in Anspruch genommen, als daß er sich mit deutschen Minderheiten in irgendwelchen Ländern be schäftigen könnte, und der französische Ministerpräsi dent Millerand steht es ja darauf ab, deutsche Minder heiten eher noch zu schaffen, wie in Oberschlesien, das er den Polen zuzuschanzen bemüht ist. In Frankreichs Augen ist alles berechtigt, was sich gegen Deutschland wendet, und alles Unrecht, was für Deutschland ist. 2 Monatx KohlenUeferungen. Mitte dieses Monats ist der Neichskohlenrat zu einer Vollversammlung zusammengetreten, um die Lago unserer Kohlenversorgung in der Wirkung des Abkom mens von Spa zu betrachten. Ein hervorragendes Kenner der deutschen Kohlenfrage, Generaldirektor Köngeter, teilte mit, daß wir im August von den zu liefernden zwei Millionen Tonnen Kohlen etwa 28 00V Tonnen und im Monat September gleichfalls mit einer gewissen Menge im Rückstand geblieben sind« Die fast völlige Erfüllung der uns in Spa auferlegteu Kohlenlieferungspflicht ist nur dadurch ermöglicht wor den, daß der deutsche Winterbedarf durchaus ungenügend sichergestellt wurde. Die Folgen der Entblößung Deutschlands von Kohlen werden sich besonders dann zeigen, wenn wir etwa wieder einen besonders kalten Winter bekommen sollten. Generaldirektor Köngeter bestätigte, daß Frankreich die Gelegenheit benutzt hat, um in großem Mahstabe deutsche Kohlen zu Hamstern. So haben die französischen Eisenbahnen ihre Kohlen vorräte seit Beginn dieses Jahres auf das Vierein halbfache, die Pariser Gasanstalten die ihren sogar auf das Achtfache erhöhen können. Frankreich ist ge genwärtig mit Kohlen genau so gut versorgt, wie vor dem Kriege. Die jn Spa festgesetzten deutschen Kohlen- lieferungen überschreiten also bei weitem das Maß von „Wiedergutmachungen" für die während des Krie ges zerstörten nordfranzösischen Kohlengruben. DaS Spaer Kohlenabkommen, zu dessen Unterzeichnung mau uns mit vorgehaltenem Revolver gezwungen hat, stellt sich somit als ein Teil des großen wirtschaftlichen Ver nichtungskampfes dar, den unser westlicher Nachbar auch nach Friedensschluß mit Zähigkeit und Energie fortsetzt. Die Kohlenvorräte der deutschen Gasanstal ten haben seit Anfang August statt einer für die kalt« und dunkle Jahreszeit notwendigen Steigerung eine beträchtliche Verminderung erfahren. Das Spaer Ab kommen verpflichtet uns zunächst nur für sechs Monate. Bis dahin werden sich auch die Unbelehrbaren und Nach- gibigen bei uns am eigenen Leibe haben dävon über zeugen können, daß wir nach dem Verlust des Saar- Kohlengebietes und bei der Gefährdung Oberschlesiens auf die Dauer nicht imstande sind, monatlich 200 000 Eisenbahnwaggons voll Kohlen an andere abzugeben. Sibirisches Wirtschaftsleben. Ein aus Omsk in die Heimat zurückgekehrter Schwede berichtet dem „Svenska Handelstidningen" zu folge folgendes über die Zustände in Sibirien: Außerordentlich groß ist der Mangel an rol lendem Material. Hervorgerufen ist dieser Man gel zum Teil durch die Umwandlung der Eisen- bahnwageninWohnhäuser, dader große Strom von Flüchtlingen, der sich aus dem europäischen Ruß land über Sibirien ergoß, keine Unterkunftsmöglich-, keiten sand und einen großen Teil der Eisenbahnwagens als Wohnstätten einrichtete. Sehr groß ist in Sibirien auch der Mangel an Wa ren jeder Art. So ist es z. B. unmöglich, ein einfaches .Schafsfell für einen Pelz zu kaufen. Dieser Waren hunger hat eine Reihe kleiner Unternehmungen ins Leben gerufen. So entstanden viele kleine Fa briken, die sich mit der Herstellung von Butter, Zi garetten, Bürsten u. a. beschäftigen. Gegründet sind alle diese Kleinunternehmungen von kriegsgefan genen Deutschen und Oesterreichern. Von größeren Unternehmungen arbeiten zur Zeit in Sibirien zwei Butterfabriken, und zwar die „Sibi rische Kompagnie" und die „Russisch-Asiatische Kom pagnie", die sich zu großen Firmen für den Import und Export entwickelt haben und von denen jede un gefähr 40 Filialen unterhält. Neue Finanzkunststücke der Bolschewisten. Der „Daily Telegraph" berichtet über neue Finanz maßnahmen der Bolschewisten. Danach ist die Aus gabe neuer, kurzfristiger Banknoten beabsichtigt. Die nur für einen Monat gültigen Noten sollen verschie denfarbig gedruckt werden, für jeden Monat eine bestimmte Farbe. Der Zweck einer solchen Banknoten ausgabe soll die Verminderung des Notenum laufes, die Verhinderung jeglicher Er sparnisse und Einschränkung des Schleich« -andels sein, da ja bei der nur einmonatlichen Gül« '.igkeitsdauer der Noten der Gewinnanreiz in Fortfall !ommt. Das Ergebnis dieser Operation wird wohl nur eine «rneute beträchtliche Erhöhung aller Preil» sein. . . Lokales. — Die TanzstunLen habe« begonnen, und in Tau« senden von jungen Herzen wird eine Nonne emp funden, wie sie eben nur Lie liebe Jugend empfinden kann, die zum ersten Male in ihrem Leben nach allen Regeln -es feinen Taktes und -er ehrbaren Gesellig keit zusammenkommt. Das Backfischchen kann ja in -er Regel ichon lange ganz nett tanzen, aber es fehlt ihm -och noch io mancher Schliff, so manche gewisse Art im Verkehr und vor allem - ohne junge »Herren" gibt's Loch überhaupt kein Vergnügen! Bei Len Jünglingen hat Ler Herr Tanzmeister schon eine größere Mühe; hier gibt s noch viel mehr zu schleifen, abzuecken und abzurunden, und wie unbeholfen sind manchmal die Glieder! Aber unt der Zeit macht sich alles,- bald sind Lre Vorübungen beendet, und Damen und Herren treten sich nun näher, um gemeinsam in Lie Kunst Terpsichores eingeweiht zu werden. Die Gedanken sind da freilich oft ganz wo anders, sie schweifen her über uu- hinüber, die Gefallsucht macht sich breit, und selbst der. stolze Gymnasiast oder Handlungslehrling, der sich sy gern als freier Mann schon fühlte und fast verächtlich auf „die Weiber" herabsah, er urteilt plötz lich ganzr anders. Er läuft geschniegelt und gebügelt einher n-ud sucht die Aufmerksamkeit Ler „Schönsten" auf sich zü lenken. Auch die Backfische halten ihre Wahl, aber alles bleibt doch in guten Grenzen; je öster man sich sieht und je mehr man sich kennen lernt, desto Harm-' loser gestaltet sich die Fröhlichkeit, desto netter wird die Schwärmerei. — Der Standort der Zimmerpflanzen. Manche Zimmerpflanze kränkelt den ganzen Winter über und zeigt trotz der aufmerksamsten Pflege kein Wachstum an, bei anderen fallen die Knospen ab, wieder andere schießen ins Kraut, aber der erwünschte Blütenansatz bleibt aus. Häufig liegt die Ursache an einem falschen Standort -er Topfpflanze. Jn allen Fällen gedeihen Blumen in Zimmern mit südöstlicher, südlicher und südwestlicher Lage am besten. Naturgemäß ist -er .vorteilhafteste "'latz zur Aufstellung von Pflanzen -ie unmittelbar Nähe der Fenster und letztere selbst, und je breiter die Fensterbretter sind, um so reich lichere Auswahl von lichtbedttvftigen Pflanzen kann in Pflege genommen werden. Ist ein Zimmer mit Doppelfenstern versehen, so ist Ler Naum zwischen beiden Fenstern ohne Frage der günstigste Platz. A Der Winter, in den sich der Herbst umgewandelt hat, brachte in Mitteldeutschland am Donnerstag 6 Grad Reanmur Kälte schon nn Flachland. Die Prophe zeiung, es werde ein zeitiger und kalter Herbst kommen, wie 1919, scheint sich also bewahrheiten zu wollen, leider, denn die Kohlen sind knapp und teuer, und das Geld fehlt bei den hohen Lebensmittel« und Bekleidungs- Preisen. Hoffentlich wird auch der zweite Teil der An kündigung wahr, daß der eigentliche Winter sehr mild« Wird, ebenfalls wie 1919/20. WeihnachtSPaktte nach den überseeischen Ländern» M d»mn M NMvtzrkehr LM Lest WögliL Sport und Verkehr. X Die Entente beschlagnahmt BerkehrSfl«K»«g< Die aus Mttnchen inW1 en angekommenen drei Rump, lerflugzeuge, mit denen der Luftverkehr München—Wi« aufgenommen werden sollte, sind von der Ententekom mission mit Beschlag belegt worden. Sie beruft sitis auf den Friedensvertrag, der Flüge in Oesterreich vor der Genehmigung der Wiener Ententebehörde abhängig macht, und vor allem darauf, daß von der Entente- kommission in Deutschland keine Mitteilung des Flu ges hier angelangt ist. Der Protest des Generaldirek tors Rumpler, daß es sich um eine nichtmilitärische, sondern rein postalischen Zwecken dienende Unterneh mung handele, blieb unbeachtet. X Z«m Ausbau Vos Walchensee-KraftwerkeS Hw der bayerische Staat bet der bekannten Turbiuensabrü I. M. Voith in Heidenheim a. d. Brenz, die auH die Turbinen für das Niagara-Kraftwerk geliefert h<ch 4 Francisturbinen für Drehstrom mit einer Gesamt leistung von 96 000 Pferdestärken für 10 Million«« Mark und bei Konventionalstrafe zur betriebsfertige« Lieferung bis Ende Oktober 1922 bestellt unter Wah rung einer durch Löhne oder Matertalpreise beding ten Aenderung. Das Walchensee-Kraftwerk soll aroK Teile Bayerns mit Kraft versorgen und auf diese Weist von der Belieferung mit Ruhrkohlen unabhängig machen. Gerichtssaal. T Die Mordtat eine« Geisteskranken. Vor dem Schwurgericht in Karlsruhe in Baden hatte sich der 2 jährige Student Robert Engelhorn aus Baden- Baden wegen Mordes zu verantworten. Der Ange- klagte hatte am 7. März ds. Js. in Baden-Baden aul offener Straß« den etwa gleichaltrigen Studenten Fran- Cahn ohne jeden Anlaß erschossen und sich dann selbs einen Schuß in den Oberschenkel beigebracht. Die Tv^ erweckte damals großes Aufsehen und gab zu der Ver mutung Anlaß, Engelmann habe aus antisemitische» Motiven heraus gehandelt. Der Angeklagte bestritt durch antisemitische Beweggründe zu oer Tat veran laßt worden zu sein. Sein eigentlicher Beweggrun! sei das Verlangen gewesen, aus der bürgerli chen Gesellschaft ausgeschlossen zu werden Die medizinischen Sachverständigen kamen zu dem Er gebnis, daß der Angeklagte geisteskrank sei und das er für die Tat nicht verantwortlich gemacht werde, könne. Der Angeklagte wurde daraufhin sreigespro chen und einer Irrenanstalt überwiesen.