Volltext Seite (XML)
Der Österreicher Anton Webern, als Komponist der wohl konse quenteste Schönberg-Schüler, in den Jahren 1921 bis 1934 angesehener Dirigent der Wiener Arbeiter-Sinfoniekonzerte, 1945 von einem amerika nischen Besatzungssoldaten erschossen, erlebt seit den 50er Jahren eine erstaunliche Renaissance in westeuropäischen Ländern, während er zu Lebzeiten mit seiner esoterischen Kunst in zunehmende Isolation geriet. Neben Vokal- und Orchestermusik nimmt die Kammermusik in seinem Schaffen weiten Raum ein. Die Sechs Bagatellen fürStreich- quartett op. 9 aus dem Jahre 1913, die 1924 erstmalig zum Donau- eschinger Musikfest erklangen, repräsentieren Weberns frühen Stil der gefühlsmäßigen Annäherung an das Zwölftonfeld (seine zögernde Über nahme der Schönbergschen Zwölftonmethode erfolgte erst 1924). Sie sind typischer Ausdruck des Webernschen Stils: eine Musik stärkster geistiger und technischer Verdichtung, von aphoristischer Kürze, expressionistische Miniaturen mit zarten Tonschattierungen am Rande des Verstummens. Arnold Schönberg schrieb über diese epigrammatischen KlanggebildM die nach dem Willen des Komponisten als Ganzes „gleich Stimmen dSI Natur" unbefangen angehört werden sollen: „Man bedenke, welche Enthaltsamkeit dazu gehört, sich so kurz zu fassen. Jeder Blick läßt sich zu einem Gedicht, jeder Seufzer zu einem Roman ausdehnen. Aber einen Roman durch eine einzige Geste, ein Glück durch ein einziges Aufatmen auszudrücken, solche Konzentration findet sich nur, wo Weh leidigkeit in entsprechendem Maße fehlt." Rainer Kunad, der zu den verheißungsvollsten, originellsten Be gabungen unter den jungen Komponisten unserer Republik gehört, wurde 1936 im damaligen Chemnitz geboren. Er war Kompositionsschüler von Paul Kurzbach, Werner Hübschmann und — an der Leipziger Musik hochschule — von Fidelio F. Finke und Ottmar Gerster. Seit 1960 wirkt er als Leiter der Schauspielmusik am Staatstheater Dresden und trat bisher mit eigengeprägten Bühnenwerken, Kantaten, Orchester- und Kammer musik sowie zahlreichen Musiken zu Schauspielen und Fernsehspielen an die Öffentlichkeit. Das im Auftrage der Dresdner Philharmonie für das Siering-Quartett 1967 komponierte Streichquartett Nr. 2, das bereits vor seiner heutigen Uraufführung im Deutschlandsender zur Ur sendung gelangte, umfaßt drei Hauptsätze und zwei Zwischensätze, über das Werk äußerte der Komponist: „Die Grundidee des Stückes wird im ersten Satz (Konzeption) dargelegt: Ein melodischer und ein rhythmischer Gedanke stehen sich antithetisch gegenüber und erfahren im Verlaufe eine Verschmelzung im Sinne einer Synthese. Unterschiedliche TonerzeM gungsmöglichkeiten schaffen Kontraste im Klangbild und werden nicW als Effekte, sondern als musikalische Gestaltungsmittel betrachtet. Die Zwischensätze nach jedem Hauptsatz (Resultat I und II) sind harmonisch bzw. melodisch bestimmt. Der langsame Satz (Canto con imitatione) wird von einem cantus firmus hergeleitet, der — im Violoncello begin nend — stimmlich steigend durch alle vier Streichinstrumente wandert. Im letzten Satz (Movement = Bewegung) entstehen Bewegungsimpulse durch Beschleunigungen, Verlangsamungen oder Überlagerungen, wobei thematische Wiederholungen eine rondoartige Form entstehen lassen." Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1967/68 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 40699 III 9 5 0,1 368 ItG 009/24/68