Volltext Seite (XML)
Die vierte Sinfonie von Johannes Brahms entstand in dem kleinen steiermär kischen Städtchen Mürzzuschlag. Die herbe Landschaft in ihrer verhaltenen Schönheit beeindruckte Brahms so sehr, daß in seiner „Vierten" ein deutlicher Niederschlag zu spüren ist: „Ich fürchte meine Sinfonie schmeckt nach dem hie sigen Klima — die Kirschen werden hier nicht süß!" (Brief an Hans von Bülow). Der erste Satz wird ohne Einleitung durch das von Pausen durchsetzte, schlicht erzählende Hauptthema eröffnet, ernst und nachdenklich in der Stimmung, männlich-herb im Charakter, womit zugleich die Eigenart des Anfangssatzes an gegeben wird. Wie in der klassischen Sinfonieform wird dem Anfangsthema ein zweites entgegengestellt, im Einklang aufsteigend, heftig und trotzig, weiter geführt durch eine schöne Cellokantilene. Durchführung und Reprise zeigen die reife handwerkliche Meisterschaft des alten Brahms. Der langsame Satz trägt balladeske Züge, die durch den elegischen Grundton verstärkt werden. Die Tona lität wird von C-Dur und E-Dur umspannt. Aus dem Gegensatz beider Tonarten läßt Brahms gleichsam so etwas wie das e-Moll der alten phrygischen Kirchen tonalität erwachsen. Der dritte Satz — kein Scherzo im üblichen Sinne der Klassik — trägt wie der zweite harmonisch archaisierende Züge. Die Form er innert an einen sonatenartigen Satz im Charakter eines Scherzos. Der Finalsatz — das Sorgenkind aller Sinfoniker! — wird zum Gipfelpunkt der Sinfonie. Nicht immer gelingt das. Wie haben die Komponisten aller Zeiten darum gerungen! Das Baßthema der Passacaglia entnahm Brahms der Kantate 150 von Johann Sebastian Bach. „Was meinst Du", sagte Brahms zu Bülow, „wenn man über dieses Thema einen Sinfoniesatz schriebe?" Brahms tat es. Und welch musikalischer Wunderbau gelang ihm damit! 30 Variationen über das zu Beginn erklingende achttaktige Thema: Nahtlos reiht sich eine Variation an die andere und wächst zu einem wunderbaren Ganzen zusammen.