Ludwig van Beethoven schrieb für seine Oper „Fidelio“ insgesamt vier Ouvertüren. Die erste — wahrscheinlich 1805 entstanden — wurde als zu lang und schwierig empfunden. Die Partitur wurde von dem Verleger Haslinger zusammen mit anderen Werken Beethovens gekauft, vorerst aber nicht ver öffentlicht. Als sich Beethoven 1823 um die Partitur bemühte, hörte er von Haslinger: „Wir haben jenes Manuskript gekauft und bezahlt, folglich ist es unser Eigentum und wir können damit tun, was wir wollen.“ Erst nach dem Tode Beethovens wurde die Ouvertüre als op. 138 veröffentlicht. Das Werk wird heute oft falsch und ungerecht beurteilt, weil die zweite und dritte Leonoren-Ouvertüre bedeutsamer sind. Jedoch (wir zitieren Karl Schönewolf): „Hätten wir nur diese eine Leonoren-Ouvertüre, wir würden sie als ein Meisterwerk preisen, das sie auch ist, wenn auch ohne die Größe und dramatische Kraft der anderen.“ Im Ablauf der freien klassischen Sonatenform (langsame Einleitung — Expo sition — Adagio — Reprise — Koda), vergleichbar einer dramatisch bewegten sinfonischen Dichtung mit programmatischem Inhalt, wird die Handlung der Oper widergespiegelt. In der ersten Fassung dominiert die Schilderung der Hauptgestalt Leonore, aber auch die das Geschehen bewegende Auseinander setzung zwischen den Mächten des Lichten und des Dunklen fehlt nicht. Im Adagioteil wird die Arie des gefesselten Florestan „In des Lebens Frühlings tagen“ verarbeitet, und in der Reprise erscheint das erst später in der Oper voll ausgeformte Thema „Mein Engel, Leonore“. Bezwingend in der Kraft des Ausdrucks ist der Jubel nach der Befreiungstat, das Glücksgefühl des errungenen Sieges. Romain Rolland weist auf die musikgeschichtliche Neuerung der program matischen Ouvertüren hin: „Das Thema der Leonoren-Ouvertüren ist der einsame, von aller Welt abgetrennte, verfolgte Mensch, ist er selbst mit seinen Glücks- und Siegesträumen.“ Für den aufmerksamen Hörer, der die zweite und dritte Leonoren-Ouvertüre kennt, wird es von Interesse sein, die verschiedenen Fassungen miteinander zu vergleichen. In den „Vertrauten Briefen“ des Komponisten Friedrich Wilhelm Reichardt, geschrieben nach einem Besuch in Wien im Jahre 1807, stand über Beet hoven als Interpret eigener Werke zu lesen: „Ich hörte ein neues Pianoforte konzert von ungeheurer Schwierigkeit, welches Beethoven zum Erstaunen brav, in den allerschnellsten Tempis ausführte. Das Adagio, ein Meistersatz von schönem, durchgeführtem Gesang, sang er wahrhaft auf seinem Instrument mit tiefem melancholischem Gefühl, das auch mich dabei durchströmte.“ Das Konzert fand statt im Rahmen der „Musikalischen Akademien“ beim Fürsten Lobkowitz, zu denen (nach Berichten der damaligen Zeitung) eine „sehr gewählte Gesellschaft zum Besten des Verfassers sehr ansehnliche Bei träge subskribiert hatte“.