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barschaft vor den lyrischen Szenen „Eugen Onegin“, op. 24, geschrieben hat, In dem Konzert kommt Tschaikowskijs Temperament stärkstens zum Ausdruck; neben ur- russischer Sehnsucht steht eine alles überwältigende Wildheit, neben volkstümlicher Schlichtheit und Echtheit macht sich manchmal das breite, pomphafte und verschwen derische Leben der damaligen bürgerlich-adligen Gesellschaftsschichten, denen Tschai- kowslcij angehörte, bemerkbar. Tschaikowskij war in formalen Dingen des musikalischen Handwerks ein bedeutender Könner; und da es ihm gelang, auch das Gefühl zu Worte kommen zu lassen, ohne daß es die Form überwucherte, könnte man ihn beinahe einen Klassiker nennen — wenn nicht seine Tonsprache durch ihre stilistischen Merkmale klar zur Romantik neigte. Er nützt in dem Konzert alle Möglichkeiten der pianistischen Technik aus: vollgriffige Akkordfolgen, harfenartige Akkordbrechungen, virtuose Läufe, gehämmerte Oktavgänge, gesangliche Melodienführungen, Überkreuzungen der Hände, Sexten-, Terzen- und Quartengänge, dazu die ganze Verzierungstechnik ist in überrei chem Maße über dieses von Einfällen überquellende Werk ausgegossen. Der ausgedehnte erste Satz ist trotz seiner Einschübe von lyrischen Episoden nach der klassischen Form des Konzertes gebaut: ein großartig-majestätisches erstes Thema wird abgelöst von einem empfindsamen, lyrischen Thema, das den stärksten Gegensatz bildet. In der Auseinandersetzung dieser Kontraste erschöpft sich dann dieser gewaltige Satz, in welchem eine große Kadenz dem Solisten Gelegenheit gibt, sein Können nach allen Seiten hin schillern zu lassen. Schlichte, aber innige Melodien erklingen im lang samen zweiten Satz, die nach allen Möglichkeiten hin verändert und variiert werden. Dieser Satz ist kammermusikalisch instrumentiert und bildet dadurch ein Gegengewicht gegenüber dem orchestralen vollen Klang sowohl des ersten, als auch des nun folgenden dritten Satzes, der mit Feuer und tänzerischer Leidenschaft abrollt. Durch seinen mit reißenden Schwung und die prachtvolle Brillanz, durch seinen stürmischen Optimismus überzeugt er jeden Menschen von der Fülle des Daseins, die sich Tschaikowskij aus dem überquellenden Born ^seines Volkes schöpfen konnte. 1895 ist das geniale Werk ,,Ti 11 Eulenspiegels lustige Streiche“ von Richard Strauß geschrieben worden, über ein halbes Jahrhundert ist dieses op. 28 schon alt und hat noch nichts von seiner Jugendfrische, Unbekümmertheit, Drastik und Unverwüst lichkeit. eingebüßt. Strauß schildert die Lausbübereien, die Streiche, die Narreteien und Einfälle des witzigen, geistvollen lustigen Till Eulenspiegel. Er beschreibt den Ritt durch die zum Verkauf ausgestellten Tontöpfe und die darob kreischenden Marktweiber, die Maskerade Tills, der als Pastor verkleidet, Moral predigt, wie er dann ausreißt, wie er sich verliebt, wie er in eine Diskussion mit verstaubten Gelehrten gerät, die nur den ,,grünen Tisch“ kennen und nichts vom Leben wissen, wie er sie auslacht, sich vor Gericht verantworten muß, verurteilt und schließlich gehängt wird. Richard Strauß wählt für dieses Geschehen aus einer prallen vollblütigen Welt die Rondoform, die durch ihre immer wiederkehrende Zitierung des Hauptthemas an die Art Eulenspiegels erinnert, überall dabei zu sein, überall seine Finger drin zu haben, überall seine Glossen zu machen. Dieses Aufeinanderbeziehen eines lebendigen Gesche hens und einer musikalischen Form, ist genial, und genial ist auch das Können, mit dem Strauß aufwartet. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll an diesem Werk und an seinem Schöpfer: die instrumentalen Künste, die schon bald Teufeleien sind die Gabe der Drastik mit der Strauß die verschiedenen Situationen schildert oder den Reichtum an geistvollen Wendungen und Veränderungen der musikalischen Substanz. Dieses Werk erobert die Herzen der Hörer. Mit Recht! Denn wo sonst gibt es ein ähnlich heiteres Werk, eine ähnliche Tondichtung von so befreiendem Humor?