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ZUR EINFÜHRUNG Beethoven hat zu seiner einzigen Oper ,,Fidelio“ nicht weniger als vier Ouvertüren geschrieben, von denen die drei ersten alle in C-Dur stehen und den Titel ..Leonore (Fidelio)“ tragen, während die vierte in E-Dur steht und den Titel „Fidelio (Leonore“) hat. Die erste Leonoren-Ouvertüre wurde 1805 bei der Uraufführung in der Probe abgelehnt. Beethoven zog sie deshalb zurück. Sie wurde erst nach seinem Tode als op. 138 veröffentlicht. Bei einer Berliner Aufführung der zweiten „Leonore“ schrieb ein Kritiker im Jahre 1806: „. . . alle parteilosen Musik kenner und Freunde waren darüber vollkommen einig, daß so etwas Unzusammenhängendes, Grelles, Verworrenes, das Ohr Empörendes noch nie in der Musik geschrieben worden sei.“ Sollte man heute nicht aus solchen Aussprüchen der „Zeitgenossen“ eines großen Komponisten allerhand lernen? Beethoven hat in den Ouvertüren das ganze Seelen drama der Oper vorweggenommen. Auch die erste „Leonore“ ist ein solches Drama, das mit einer lang samen, leidgesättigten Einleitung beginnt, im stür mischen Allegro alle Leidenschaft entfesselt, auf drei Akkorden schmerzlich verweilt, ein wunderbares Adagio aufblühen läßt, um in den Sturmschritt des Schicksals einzumünden, das mit seiner Unerbittlich keit zu einem triumphalen Schluß hinführt. Das dritte Klavierkonzert Ludwig van Beethovens in c-Moll, das er im Sommer des Jahres 1800 ge schrieben hatte, ist zugleich der Beginn einer ganz neuen Auffassung Beethovens über das Konzert. Während seine zwei vorangehenden Konzerte für dasselbe Instrument sich durch Spielfreudigkeit und eine gleichsam harmlose Hingabe an den Spieltrieb auszeichnen, kommt in diesem Werk ein neuer Geist zu Worte, spricht aus ihm die ausgereifte Persönlich keit ihres Schöpfers Beethoven, klingen in ihm pathetischer Ernst und erlebnistiefe Empfindung auf. Was jedoch Beethoven an seelischen Erschütte rungen zu künden hat, gießt er in die Form der So nate, die ihm das notwendige, von seiner Zeit dar gereichte Gefäß für seinen Ausdruckswillen ist. Der erste Satz stellt gleich zu Beginn das wie aus Stein gemeißelte Hauptthema auf, das in der Hauptsache aus den Tönen des zerlegten c-Moll-Dreiklanges besteht. Das lyrische zweite Thema ist ebenso klar geformt in seiner Gegensätzlichkeit zum ersten, es tritt in der Durchführung gewichtig genug in die Auseinandersetzung ein, an der sich das Klavier tat kräftig und bedeutend beteiligt. Der Solist hat hier die Rolle eines Individuums, das in dieser musikali schen Auseinanderset ung um die Geltung seiner Persönlichkeit ringt. Schwärmerisch, von einer ganz anderen Empfindungswelt getragen, verströmt das wundervolle und melodienselige Largo. Den Ab schluß bildet das kecke, übermütige, geistreiche Rondo, in dem das Thema vom Klavier vorgespielt, dann vom Orchester aufgenommen wird, wobei dem Solisten Gelegenheit gegeben ist, ein überlegenes Können zu zeigen. Brillant und mit klassischer Zucht und Straffheit schließt dieser Satz. Die Zeitgenossen Beethovens fanden dieses Werk ungewöhnlich. Sie hatten recht, wenn sie dabei die ungewohnten Auf gaben des Solisten im Auge hatten, die aus Beet hovens persönlicher Spieltechnik und seinen kompo sitorischen Eigenheiten erwuchsen, die für uns heute gerade seine Eigenart ausmachen. Die 4. Sinfonie schrieb Beethoven im Jahre 1806. Unmittelbar vorher hatte er sich in seinem Schaffen mit der 3. Sinfonie, der „Heroischen“, auseinander gesetzt und außerdem die ersten beiden Sätze der Fünften niedergeschrieben —nun schien esihm genug zu sein, sich immer in der heldisch-heroischen Empfindungswelt zu bewegen. In ihm bereitete sich ein Stimmungswechsel vor, der sich mit der 4. Sin fonie, dem opus 60 in seinem Schaffen, einer heiteren und anmutigen Welt zuwandte. Die beiden Sinfo nien, die diese 4. von Beethoven einrahmen, nämlich die 3. und die 5., haben dieses heitere Kind erdrückt. Die Hörer haben bis heute dieses Werk etwas gering schätzig betrachtet; es ist nicht volkstümlich ge worden, es hat nicht jenen Anklang gefunden, den die beiden Nachbarwerke errangen. Beethoven selbst schätzte sie sehr hoch ejn, er nannte sie seine beste Sinfonie. Er meinte dairtit, daß sie wohl sein klassi sches Ideal am meisten erreichte, sie war von einem Ebenmaß sondergleichen, von einer Ausgewogenheit, die keine andre seiner Sinfonien aufwies, von einer reinen Schönheit, dabei überfließend von einer Fülle und einem Reichtum von Geist und obendrein noch mit einem humorvollen Einschlag gesegnet. Beet hoven empfand immer etwas bitter, daß gerade dieses Werk nicht erkannt wurde und war geneigt, der Menschheit anklagend vorzuhalten, daß sie sich nicht die Mühe gäbe, sich in dieses Werk hinein zuhorchen. Viele Fachmusiker schätzen sie als das, was sie ist, als ein vollendet klassisches Werk. Robert .Schumann nennt sie die „schlanke griechi sche Maid zwischen Nordlandriesen“ —■" Kotzebue meint im Gegenteil, sie könne „höchstens seinen wütenden Verehrern“ gefallen. Die Einleitung zum ersten Satz ist düster, zwie lichtig und geheimnisvoll. Die Heiterkeit und der geistvolle Humor des Kommenden in diesem Werke hebt sich von diesem schwermutsvollen Beginn um so drastischer und gegensätzlicher ab. Das 1. Thema ist fröhlich und von einer beschwingten, regen Le bendigkeit, das zweite dagegen von einer zärtlich elegischen Stimmung. Aber die Fröhlichkeit setzt sich durch, am Schluß betont Beethoven sehr energisch und hartnäckig das B-Dur, also die Grund tonart der gesamten Sinfonie. Der zweite Satz (Adagio) enthält eine der schönsten gesangvollen ^Themen, die Beethoven je geschrieben hat, er findet abersofort in einem Seitenthema der Klarinette ein noch schöneres, süßeres Melodienwunder. Menuett und Trio (die zusammen den dritten Satz aus machen) sind in sich gegensätzlich. Das Menuett hat etwas Pikantes, Überraschendes an sich, während das Trio eine ausgeglichene Ruhe atmet. Das Finale, der 4. Satz, der am „Schluß“ (= Finale) stehende Satz, ist von einer Ausgelassenheit und Launigkeit sondergleichen. Es ist quecksilbrig und besticht durch seine immerwährende Lebhaftigkeit. Viele Einzelheiten und Feinheiten gerade dieses Satzes zeugen von Beethovens geistreichem Humor. Das ganze Werk ist eines der vollkommenen Beispiele, die Beethovens bedeutende und große Meisterschaft beweisen. Es ist schade, daß dieses Werk nicht ganz verstanden wird, weil es Musikalität und fachliches Verständnis vom Hörer fordert. 9 Johannes Paul Thilman