WASSILI KALINNIKOW lebte von 1886 bis 1901. Er war Kapellmeister an der italienischen Oper im damaligen Petersburg und schrieb in seinem kurzen Leben außer einiger Kammermusik zwei Symphonien. Seine erste Symphonie in g-Moll setzte er lür großes Orchester, für das Orchester, das ihm seine Zeit anbot. Es ist das romantische Orchester mit einer ziemlidi starken Blechbläser besetzung, mit vielfachem Sdilagzeug und Harfe neben dem Holz und den Streichern. Aber er versucht, mozartsche und haydnsche Themen nachzu empfinden und sich vor allem den strengen Formen der klassischen Sym phonie zu nähern. Vielleicht drängte ihn auch seine Beschäftigung mit italie nischen Werken, die der Hol ausschließlidi zu hören wünsdite, zu der Auseinandersetzung mit dem klassischen Erbe. Die Melodien des ersten Satzes sind ganz nach den symmetrischen Baugesetzen der Klassik gestaltet - aber der Taktwechsel vom Zweihalbe - zum Dreihalbetakt und wieder zurück deutet auf die Verbundenheit Kalinnikows mit dem russischen Volkslied hin, für das solche Taktwechsel natürlich sind. Aber auch romantisch empfundene große Steigerungen brechen durch die klassische Zucht, die sich Kalinnikow auferlegt, durch und ergeben eine reizvolle Synthese dieser beiden großen Musikepodien in dieser Symphonie. Das zweite Thema des ersten Satzes ist deutlich einem russischen Volkstanz nachgebildet - stampfend und kraftvoll kündet es vom unversieglidien Quell russischen Volkstums. Im zweiten Satz läßt Kalinnikow einen Strauß schönster und innigster Melodien erblühen, die eingekettet zwischen dramatisdie Steigerungen immer wieder von neuem aulleuchten. Der dritte Satz ist ein Scherzo, das seinen Reiz durch den starken Wechsel von laut und leise erhält. Auch in ihm ist das russische Volkstum vorherrschend. Das eingefügte Trio steht, wie auch in einigen Fällen bei Brahms, im Zweivierteltakt. Kalinnikow rundet sein Werk dadurch ab, daß er im Schlußsatz die Hauptthemen des ersten Satzes wieder zitiert, wie es auch Bruckner tat, sie aber in eine ganz neue Umgebung stellt, so daß keine bloße Wiederholung eintritt. Er wendet sich nach wenigen Takten vom g-Moll nach G-Dur und wendet damit das musikalische Geschehen ins Freundlich- Helle, ins Heiter-Beschwingte. Natürlich bredien auch hier dramatische Vor gänge ein, die aber das lebenbejahende Element nur noch stärker empfinden lassen. Mit einem großartigen Aufschwung endet das Werk. [ohannes Paul Thilman ni/9/4 0,6 1058 751 079/45/52