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suchten nur die hohe Gestalt zwischen den beiden lichterge- Tannen vor dem Altar, hielt in beiden Händen und ver- Der Geistliche stand schmückten, dunkelgrünen bas Buch der Bücher Minutenlang verharrte sie mit tief gesenktem Haup und bang klopfendem Herzen. Allmählich wurde sie ruhiger. Sie hob zaghast den Kopf. Und dann schweiften ihre Blicke immer freier durch kündete aus ihm die frohe Botschaft von der Gnade Gottes in Christo. »Euch ist heute der Heiland geboren!" und: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden," klang seine markige Stimm« an ihr begierig lauschendes Ohr. Sie faltete in stummer Andacht die Hände, und aus ihrem sehnenden, suchenden Herzen rang sich der Schrei: „Sei auch mir heute geboren, du Heiland!" Und danach da» stammelnde, inbrünstige Flehen: „Sieh, ich möchte dich erfassen in deinem Menschwerden und deinem Erlösertum. O, so gib mir deine Hand und ziehe mich zu dir hinan und lehre mich ein rechtes, ganzes Ber stehen !" Niemand achtet« darauf, als sie im dämmerigen Lichte des stillen Winkels in die Knie sank und die Stirn gegen die Holzwand des Gestühls preßte. Leise weinend rang sie und kämpfte gegen chie letzten Zweifel an. Und dann war es ihr plötzlich, als wenn eine unsichtbare Hand alles hinwegnähme. Sie sah ein belle» Licht. Es hatte einen, ruhigen, sriedsame« Schein und verüiählt« sich mit ihrer Seele . . . Und das war ihr Glaube . . . Das stille Weinen verrann in einem tiefen, erlösenden Aufseufzen. Ihre Hände verschlangen sich fester, und ihre Lippen stammelten inbrünstig: „Ich kann glauben, ... ich will glauben, ja, ich glaube!" . . . Nun war sie hinangekommen zu strahlender Höhs, nun stand sie auf goldenen Zinnen und blickte weitum in Helle Lande. Eine heilige Ruhe senkte sich in ihr Herz, und ein tiefer, seliger Friedl-. . . Sie erhob sich und sah mit glänzenden Augen in das Licht der schimmernden Weihnachtskerzen . . . Jetzt weilte sie als «ine aufrichtige Christin unter Christen. Und dann begann Martin Jakobsen mit dem Ler lesen der Weihnachtsgeschichte . . . Sie deuchte Marianns bet aller Schlichtheit der Worte, bei aller Einfachheit der Tatsache wie ein süßes, unfaßbares Märchen, und die all gewaltige Größe des wunderbaren Geheimnisses der Christ nacht kettete ihren jungen Glauben mit unlöslichen, Bän dern . . . Die Orgel präludierte. Iauchzenve, jubelnde Akkorde brausten von der Empore herab und leiteten endlich zum Schlußgesang der Christoesper über . . . Und nun zog es in Hellen, klingenden, frohlqckenden Töne» durch das weite Kirchenschiff: „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!" Leise stimmte Marianne mit ein, und immer froh- gläubiger und Heller erklang ihre Stimme. Wie ^hr Glaubensbekenntnis sang sie » zum Schluß: „König der Ehren, Dich wolln wir hören! Freue, freue dich, o Christenheit!" — Diese Weihestunde des Christabends in St.Gertra«dten» bogigem Raum bedeutete für Marianne den Wendepunkt ihres Leben». Das Wunder der Christnacht schenkte ihr de» Auserstehungsmorgen ihres Christenglaubens. (Fortsetzung folgt.) den lichtstrahlenden Raum des Gotteshauses. Aber sie wanderten nicht zu den Wandgemälden, dem Meisterwerk Hans Koerbers, sondern Martin Jakobsens. Man wandelt sich nicht von heut« auf morgen vom überzeugten Freidenker zum überzeugten Christen. Und wo die» geschieh^ hat die Wandlung zweifellos keinen Bestand. Alles Leden muß, wenn e» nicht schon das Sterben in sich schließen soll, allmählich wachsen, tief gründige Wurzeln schlagen und Blatt um Blatt, Zweig um Zweig ansetzen, bis es zu einem Baum wird, der dauernd Frucht trägt, und der auch dem stärksten Sturm seine Krone trotzig und kühn entgegenstemmen kann, weil er weiß: Ich bin wohl gegründet. So muß sich auch ein Christenleben gründen. E» darf nicht aufschieben wie eine geilwachsende Pflanze, die dann im Sonnenbrand welkt und verdorrt, sondern es > muß sich entwickeln Schritt vor Schritt. Und seien auch die Schritt« im Anfang kl«in und zaghaft. Da» tut nichts. E» darf nur kein verzagtes Rückwärtsgehen werden. Endlich gibt» doch «in gewisses Ausschreiten auf einem festen, klorgezeichnete« Wege und zum Schluffe ein Hinankommen zu dem strahlenden Gipfel eines fröhlichen, unerschütterlichen Glauben». — Marianne tat den ersten Schritt auf dem Wege zum Glauben, als sie nach langem Bedenken und suchendem Grübeln am vierten Abend nach ihrem Kommen zur Abendandacht hinabgiug. Sie wollte mit dtr Teilnahme an derselben Leberecht Jensen keinen persönlichen Gefallen erweisen. Eine heiße Sehnsucht, dem fernen Licht näher- zukommen, und die Hoffnung, von dieser Erbauungsstunde einen Fingerzeig für das Wandern zu erhalten, trieben sie. Scheu schlich sie die Treppe hinab, scheu trat sie in das Zimmer. Mit tief gesenktem Haupt saß sie in der dunkelsten Ecke des Gemach» und lauschte dem Schrift wort, das Leberecht Jensen »erlas. Es war das 13. Ka pitel des ersten Briefe» an die Korinther, das Hohelied der Liebe. Der rauschende Strom der Worte zog durch Mariannens Seele wie ein Klingen, das sie sich nicht zu deuten vermochte, wie eine fremde, unbekannte Sprache, , und sie vernahm es wohl ohne einen augenblicklichen 1 inneren Gewinn. Aber die Sehnsucht wurde noch stärker in ihr entfacht und lehrte neue Schritte. Don nun an kam Marianne zu jeder Andacht. Und in diesen stillen Abendstunden wurde so manches Samen korn in die Furchen des Herzenackers gestreut. Die Saat fiel nicht mehr auf steinigen Boden und unter die Dornen, sondern kam in ein Land, das die Gewähr bot für eine endliche Frucht. Es keimte und sproßte Lem Frühlings tag entgegen, der mit diesem suchenden, nicht müde und wankend werdenden Wollen auch für Mariannen» inneres Leben kommen mußte. — St. Gertraudten blieb Marianne lauge, lange fern. Sie wußte, daß sie dort nur Hans Koerber sehen würde. Jene Stunden, die sie mit ihm in dem dämmrigen Schiff der Kirche verlebte, würden wieder in ihr klar und frisch lebendig werden. Und damit das ganze Leben an seiner Seite. Aber sie wollte das Erinnern nicht. Sie gab sich Mühe, Lie Zeit ihrer kurzen Ehe aus dem Gedächtnis hinwegzuwischen. Schon seit langem wußte sie, daß sie eine wahre, aufrichtige Liebe für ihren Gatten nie empfunden hatte. Im Drange der Derhältniss« «ar e» «inst über sie gekommen wie ein Rausch, der mit dem Schwinde« der Glückszeit verrann und nichts andere» zu seinen Erben eingesetzt hatte, als Groll und Verachtung für den Mann, der sich an ihr versündigt«, und «in bitteres Bereuen ihrer einstige« Selbsttäuschung. Aber auch da» überwand sie al» Li« rüstiger und rüstiger Hinanschreitende. Und al» da» süße, wundersame Klingen der Weih nachtsglocken am Christabend über die verschneite, stille Stadt schwebt«, lockte es auch Marianne nach St. Ger- traudten. Mn leise», zaghaftes Zittern erfaßte ihre Seele, als sie Lurch die bogig« Tür trat. Ihr scheues, suchende» Auge fand nicht weit vom Eingang einen stillen, nicht be setzten Winkel. Sie schlich unbeobachtet hinein und setzte sich in die dunkelste Ecke der kurzen Lank.