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(Nachdruck verboten.) Das neue Zusammenleben im Hause Leberecht Jensens das das all- Bestreben, diesen Einklang zu erzeugen, war ein seitiges. Nicht zuletzt bei Male. mählich verlor sich ihre Zurückhaltung; denn auch sie er kannte, daß die Heimgekehrte nicht mehr die alte Ma rianne war. Zwar ging Marianne still durch das Hous wie während jenes halben Jahres, sie hatte selten ein leises Lächeln und sprach nicht viel. Aber über ihrem ganzen Wesen lag der Hauch aus einer anderen Welt, und die Art und Weise, wie sie sich gab, war die stumme Ditte: Habt Geduld! Ich gebe mir Mühe, verzeiht, wenn es nur langsam vorwärts geht. Und vorwärts ging es. — Dazu half nicht nur ihr guter, fester Wille. Ein gut Stück Arbeit tat auch der Umstand, daß man sie nicht mehr zwang. Leberecht Jensen sorderte nicht wie einst: du mußt zur Andacht kommen, du mußt zur Kirche gehen, sondern er stellte es Mariannens freiem Willen anheim, zu bleiben oder zu kommen. — Die treibende Kraft war aber schließlich ihre nach Ruhe und Frieden suchende Seele. Die dunkelste Stunde ihres Lebens hatte sie etwas empfinden lasten von der göttlichen Enal« und der erbarmenden, helfenden Treue eines Wesens, das sie in seiner Allgewalt und Größe noch nicht zu fassen vermochte, aber von dem sie wußte, daß es vorhanden fein müsse. Und an dieser Erkenntnis kam sie nicht mehr vorüber. Sie deuchte sie wie ein fernes, tröstendes Licht. Tagelang grübelte sie. — Sie durchdachte ihr ganzes bisheriges Leben, ob sie nicht dort etwas fände, was diese Erkenntnis aufwog und überflüssig machte. Aber sie fand nur dunkle Wege. Immer wieder sah sie ein winkendes, grüßendes Licht in der Ferne. Es lockte und warb, ihm näher zu gehen. Zaghaft und zaudernd stand sie lange fernab. Das Alte ließ sie so leichten Kaufes nicht los und führte bange Zweifel und festeingewurzelte Anschauungen gegen das Erwachen des neuen Lebens ins Feld. Und dieses Schwanken zwischen einem Loslösen wollen und einem nicht ohne weiteres möglichen Los kommen war ein ganz natürlicher Prozeß. wurde nicht gleich ein voller harmonischer Klang, aber es wuchs sich zu einer reinen, durch keinen Mißton mehr ge trübten Harmonie im Laufe der Zeit aus. Denn N^nd wenn ich nach dem allen noch eins sagen soll," fuhr Jakobsen fort, »so sei es das, daß ich für Marianne bürge. Sie wird gutmachen, was sie einst an Ihnen sün- digte. ... O, wenn Sie wüßten, wie schwer es mir wurde, sie überhaupt zum Mitkommen zu bewegen! Ich mußte meine ganze Ueberredungskunst aufwenden. Sie wollte nicht und sträubte sich mit aller Gewalt, weil die Scham in ihrer Seele frißt und sie erzittern läßt. . . . Und nun sitzt sie drüben bei meiner Mutter wie ein armes, ver- i irrtes, verzagtes Kind, das sich nach einem einzigen / warmen Blick der Verzeihung sehnt und nach einem ein zigen liebkosenden Streicheln von des Vaters Hand. . . . H^rr Sekretär, lieber, alter Freund, seien Sie ihr der Vater!" ... Leberecht Jensen antwortete nicht und saß vornüber gebeugt, zusammengesunken in der schon fast dunklen Ecke der weinübsrsponnenen Laube. Und Martin Jakobsen drängte ihn nicht zum Entschluß. Er wußte, daß der Sinnende manches niederzukämpfen und manches zu überwinden hatte, ehe er ein freudiges „Ja" fand. Jakobsen erhob sich und trat vor die Laube. Leicht gegen sie gelehnt, sah er in das verglimmende Abendgold und versank auch in ein Sinnen, das die Bilder der letzten Tage noch einmal an seiner Seele oorüberziehen ließ. ... Und als seine Gedanken schließlich bei dem haften blieben, was er soeben gesprochen, und er vertrauend hoffte, daß er es nicht umsonst getan, fühlte er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter, und eine feste, entschlossene Stimme klang an sein Ohr. Leberecht Jensen stand hinter ihm und sagte: „Schicken Sie mir Marianne, Herr Pastor! Ich habe ihr alles vergeben. Und ich will sie aufnehmen als das arme, verzagte Kind, wie ein Vater." — * ' Marianne kam. — Schluchzend schritt sie über die Schwelle. — Schluch zend sank sie vor Jensen in die Knie. — Das ersterbende Licht des Sommertages sah ein an deres Bild als das Grau jenes Herbstabends vor nun bald drei Jahren. — Und auch Leberecht Jensen bemerkte eine Veränderung. Nein, dieses Weinen war keine Komödie. — Er beugte sich liebreich zu der Knienden nieder und zog sie zu sich empor. „Marianne!" sagte er tröstend, leise-innig und legte seine Rechte wie segnend auf ihre volle Haarkrone. Und Marianne umschlang Leberecht Jensen und barg ihr Haupt an seiner Brust. — Sie wählte nicht immer die richtigen Mittel, um Einvernehmen zu fördern, stand in der ersten Zeit sogar kühl abwartend beiseite und versprach sich auch von dem Neuen nicht viel mehr, als von dem Alten. Aber all- Marianne Novelle von Fritz Gantz er. (20. Fortsetzung.)