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Vie da drüben. Von R. Erichs. (Nachdruck verboten). Ein zweifacher Aufschrei tönte durch den stillen Abend, den ein Knacken von Aesten, ein Krachen der Leiter, das dumpfe Aufschlagen eines Körpers begleitete. Seppel war von der Leiter gefallen und lag nun stöh nend unter dem Apfelbaum. Hanne beugte sich, auf den Tod erschrocken, über ihn, kniete nieder und fragte flüsternd, in heiß besorgtem Tonr „Du hast dir doch wohl nicht ernstlich Schaden getan, Arppel?" „Mein Arm!" meinte der Bursche, „der Wick für immer sein Teil abgekriegt haben! Hilf mir, daß ich den Arm unter der vertrackten Leiter hervorbekomme, au, tut das Weh, oha — das halt der Deubel aus!" Und Sepp brüllte auf vor Schmerz, daß es schauerlich durch den mondhellen Abend klang. „Ums Himmels willen, sei doch wenigstens still, lieber einziger Sepp, wir sind ja verloren, wenn sie uns hören!" Sepp unteckrückte tapfer jeden wetteren Schmerzens laut; aber es war zu spät. Die Alten, welche schon in ihren hicken Federbetten gelegen hatten, waren munter geworden und spitzten die Ohren. Im Nu waren die beiden Mütter der jungen Leute aus den Kissen, um zu sehen, was es gäbe, und Seppels alte Dame, eine Matrone mit spitzem Gesicht und hageren Glie dern, rief im unverkennbaren Ton gesättigter Schaden freude: „Da drüben ist was los! Die scheinen endlich mal ihre Strafe zu kriegen! Denen gönn' ich's von ganzem Herzen!" „Aber die Leut' haben dir niemals was zuleide getan, Mutter!" wandte der Gatte schlaftrunken ein. „Du träumst wohl noch, Mann! Von denen da drüben red' ich, und ein Unglück ist ihnen geschehen, ich hör' den Alten jammern, weiß der Himmel, welche Schleichwege der bei nachtschlafender Zeit geht! Bon nichts kommt nichts, und mit jedem Fahr höher hinauf, das geht nicht mit rechten Dingen zu! Still jetzt, ich will wissen, was sich da begibt!" , Als Hannes Vater sich aus dem Fenster beugte und mit unterdrückter Stimme fragte, ob da jemand im Garten sei, rief Hanne kurz entschlossen: „Ich bin es! Vater, Mutter, kommt herunter, es hat einen Unfall gegeben!" Als dann die erstaunten und entsetzten Eltern im Garten erschienen, hatte Sepp sich bereits aufgerappelt und stand da mit schmerzverzerrtem Gesicht. Sein rechter Arm hing schlaff herunter. Hanne aber sagte: „Das kommt von der alten Feindschaft her! Bei Nacht und Nebel müssen wir uns treffen, mein Sepp und ich! Lebtet ihr Alten in Frieden, wäre das Unheil nicht geschehen!" > „Ja, wir sind uns gut," ergänzte Sepp, „und wenn wir die Feindschaft der ganzen Welt gegen uns hätten, wir lassen doch nicht voneinander!" „Das wird sich finden!" brummte Hannes Vater, „komm' der Bursche jetzt ins Haus, damit ich den Arup einrenke und einen Notverband anlege, scheint gebrochen zu sein, das Glied . . . Wie in aller Welt konnte das kommen?" „Ich hatte den Sepp gebeten, mir ein paar Borsdorfer Aepfel herunterzuholen!" klagte Hanne, „ich bin an allem schuD!" ,Mn ich «in Drückeberger?" rief Sepp, „ich nehm' schon mein Teil Schuld auf mich! Ich kam auf die Idee, «in paar Borsdorfer herunterzulangen!" „Sepp!" rief in diesem Moment der Nachbarin dünne Stimme, „bist du rwch draußen? Wo steckst du?" > „Hier in Nachbars Garten, Mutter, und ich hab' den Arm gebrochen, weil ich der Hanne, meinem Schatz, ein paar rotbäckige Borsdorfer stibitzen wollte!" > „Gleich kommst her, du ungeratener Bub' du!" kreischte Sepps Mutter, „muß ich diese Schänd' an dir erleben!" „Freuen sollte sich die Mutter und glücklich sein, daß die Hanne mich will, die liebste, fleißigste Dirn' aus dem ganzen Dorf!" Hannes ^Rutter zog ihn ins Haus. „Gott soll mich bewahren, em solcher Lärm und Aufruhr bei nachts schlafender Zeit! Was hast du angerichtet, Hanne? Das ist ein gefundenes Futter für die Klatschbasen!" — Der Arm war tatsächlich gebrochen und aus dem Ge lenk, nach einigen Sekunden, die Sepp große Schmerzen verursachten, jedoch wieder eingerichtet und verbunden, Hannes Vater verstand sich darauf. Er sagte, nachdem Sepp sich ein wenig erholt: „An mir soll es nicht liegen. Ich hege keinen Haß, uck wenn jhr euch gut seid, so will ich nicht zwischen euch treten, denn was Gott zusammenfügt, das soll der Mensch nicht scheiden. Denkst du wie ich, Mitter?" „Ja," schluchzte die Frau mit dem lieben, vollen Ge sicht, „meinen Segen habt ihr, Kinder! Aber ob dem Sepp seine Eltern einverstanden sind, das fragt sich!" Kaum hatte sie ausgesprochen, als laut gegen die Haus tür geklopft wurde. „Habt Dank, tausend Dank für eure guten Worte!" rief Sepp, „und du, meine Dirn', hab' Geduld, der Tag wrck kommen, wo auch meine Alten Fricken und Versöhnung wollen!" „Sepp!" schrillte draußen die Stimme der anderen Mutter, „du Ungeratener! Kommst du jetzt nicht, so lauf' ich zur" Polizei!" Sepp drückte noch einmal sein Mädchen ans Herz und ging. Die aufgebrachte, Lornig scheltende Mutter nahm rhn in Empfang. Länger als ein Menschenalter lebten die beiden Nach barsfamilien in Feindschaft, und auch jetzt betrat Sepps Mutter nicht die Brücke, die zum Frieden geführt hätte. Sie blieb unversöhnlich und behauptete, daß ihr Mann mit denen „drüben" nichts zu tun haben wolle. Doch wußte jeder, daß sie selbst das Regiment führte. Sepps Arm blieb leider steif. Die Mutter hatte ihm in jenen Tagen arg zugesetzt, U7Ü> da war er aus Trotz nicht sogleich zum Doktor ge gangen. Als er sich dann endlich dazu entschlossen, war bereits etwas versäumt worden. Der Arzt konnte das Uebel wohl mildern, doch nicht mehr ganz abwenden. Sepps Mutter gab Hanne alle Schuld an dem Unglück, sie hätte „den Burschen an sich gezogen, ihn betört und verführt". Glücklicherweise predigte die gehässige Frau tauben Ohren; denn Hanne und ihre Eltern standen nicht nur in hohem Ansehen, sie waren auch äußerst beliebt. —- — Darüber war ein Jahr vergangen, der Herbst 1914 gekommen. Die jungen Burschen mußten in den Krieg, und als die Borsdorfer Aepfel sich wieder röteten, da kehrte schon so mancher von ihnen als Kriegsbeschädigter zurück. Sepp blieb, seines steifen Armes wegen, unbehelligt, er hatte bereits gelernt, sich mit dem linken Arm zu be helfen, und ein wenig vermochte er die rechte Hand gleich falls zu bewegen. „Das habt ihr der Hanne zu danken, daß ihr den Soh« nicht herzugeben braucht," sagte jemand zu Sepps Mutter^ „ohne den gebrochenen Arm wäre er jetzt in Feindesland, und wer weiß, ob ihr ihn je Wiedersehen würdet!" Denkspruch. Sott« ist cker 0ttt.it. Lotter ist ün vtriäent. vow- und lücNich« gelsniie kudt Im Äitäen lein«: bsnclt. Soetd«.