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Im oberen Stockwerk war ein Maleratelier erbaut wor den. das sich so vortrefflich zu einem gemeinsamen Speisesaal, zu einem Sitzungszimmer, wenn nötig auch zu einem Haustheater verwenden ließ. Tank der fieberhaften Tätigkeit SusieS war das Heim nach dem Vorbilde von Hullhvuse in wenigen Stunden käuflich erworben. Als Lucien von Rehnis seinen Kusinen von Ame rika und von seinem Freunde Bernhard Mentoz ge sprochen, schilderte er ihn folgenden Ausdrücken: „Wir besuchten zusammen das Lhceum, und da wir einander in gar keiner Weiss ähnlich waren, be freundeten wir uns sehr rasch: er war ebenso arm wie ich. ertrug aber diese Armut mit bewundernswerter Heiterkeit während ich maßlos darunter litt und mich! gesen dieselbe aufläumte. Mit zwanzig Jahren sagte °r mir: .Glaube mir, lieber Freund, nur jener Mensch„ welcher k " :e Bedürfnisse kennt, ist wahrhaft stark: W will und werde keinerlei Bedürfnisse haben! Ich mußte anerkennen, daß er ein Weiser sei, wenn ich auch wußte, daß er es mehr aus Stolz, aus Klugheit, denn aus Tugend war. In die Normalschule aufgenomi- men, absolvierte er dieselbe mit Vorzug, und sein Weg war von da an gebahnt. Er wurde Professor in der Provinz, sand die Zeit, nicht nur seiner Be rufstätigkeit nachzukommen, sondern auch noch sehr viele Ar;vatarbeiten durchzuführen; sein Name erhielt einen guen Klang im Kreise der jungen Kritiker; er be- rel ete interessante Thesen vor und wird eine nach der andern derselben mit der Zeit aus das sorgfältigste durcharbeiten, kürzlich hat er sich seinen Abschied geben lassen, ' um als Privatgelehrter ungestört arbeiten zu köu m, da seine Mittel aber beschränkt sind, erteilt er Unterrichtsstunden. Wenn man ihn zu fassen weih, so kommt man Wohl zu der Ueberzeu- gung, daß. er weit mehr sei als nur ein tüchtiger Professor, er ist ein ausgezeichneter Redner, sobald er sich die Mühe nimmt, zu sprechen, er ist auch ein sel sner Freund, aber er verschwendet seine Zärtlichkeit nicht; ich liebe ihn gleich einem Bruder, und doch fliehe ich iHv zuweilen, gerade so, wie ich der Stimme des Gewissens aus dem Wege gehe, wenn ich weiß, daß ich irgend etwas getan habe, was nicht streng korrekt ist, trotz seiner Weisheit über die Nachsicht gegen meine Torheiten, aber er beurteilt sie trotzdem ziemlich scharf; als ich meinen letzten Noman veröffentlichte, den ich meinen schönen Böschen nicht zu lesen geben werde, trug die strengste Kritik, die über denselben geschrieben wurde, die Unterschrift „Bernhard Mentoz" — ich! machte ihm darüber lebhafte Vorwürfe, die er lächelnd hinnahm. „Lieber Freund," entgegnete er mir, „die anderen befürchten deine zuweilen grausame Feder und sagen dir deshalb nicht die Wahrheit; ich fürchte mich vor gar nichts, trotz deiner Fehler hege ich große Zärtlichkeit für dich! Ich schuldete dir ein unumwun denes, offenes Urteil; würde ich nur teilweise gesagt haken, was ich empfinde, so hättest du dazu gelacht, jetzt fühlst du dich verletzt, lachst deshalb nicht, wirst aber meine Worte beherzigen." Luch gedachte all dieser Dinge, als am Tage nach ihrem Besuch in Passh Herr Bernhard Mentoz ihren kleinen Salon betrat. Er war tadellos gekleidet, mili tärisch bis an den Hals zugeknöpft, seine Gestalt war groß und hager. Die ganze Erscheinung erinnerte in nichts an die Vorstellung, die das junge Mädchen sich von dem Professor gemacht hatte. IHv Bruder ging (Hsrtsttzuns f»'gt.) sollen IM > vrstekLLedvn kür äks luärwtrlv Ilvkvrt Vürl »» kemein»ev<ikban>v'Spkrkasje Gchmkrwbnf Lrp«iM!EMg<!: An «Nen Nochmtagrn bir Fr«It«g von 8 bl, I und 3- 5 Uhr T»nn«be«d» „n 8—L Uhr Herrn Mentoz entgegen, er bot ihm nach amerikanischer Sitte die Hand. Luch wollte instinktiv das gleich? tun, der junge Mann aber verneigte sich vor ihr und schien ihre Absicht nicht zu verstehen. Sie fühlte sich einiger maßen peinlich berührt, sozusagen zurückgesetzt, und während der ganzen Unterrichtsstunde steigerte sich dies Gefühl nur. Der Professor richtete seine Worts haupt sächlich an Frank, als ob tatsächlich dieser allein von Belang gewesen wäre, sie fühlte sich dadurch sehr ge- demiltigt und verbarrikadierte sich hinter kaltem Schwei gen, sich begnügend, seinen Worten zu lauschen. Mit Schülern gleich diesen konnte von Unterrichts stunden im strengeren Sinne des Wortes nicht die Rede sein; Bernhard Mentoz nannte den beiden Bücher, die sie lesen sollten, plauderte mit ihnen über Lite ratur, erwähnte zuerst Werke, die Ausländer, die so gar mit der Sprache sehr vertraut waren, nicht zu kennen brauchten, erzählte von den Mysterien des Mittelalters, von den Gassenhauern, von den mittel alterlichen Satiren und den ersten Versuchen von Theateraufsührungen; bald war der ganze verlegene Zwang der ersten halben Stunde verraucht, und die warmen, lebhaften Worte des jungen Mannes inter essierten seine Zuhörer nicht wenig. In der folgenden Stunde soll e die Konversation einen großen Teil der Zeit auSsüllsn. Lucy trium phierte nicht ohne Mühe erst uacb und nach über eine gewisse Schüchternheit, die ihr sonst ganz und gar nicht angeboren war. Sie trachte'«, nach besten Kräften dem Professor die Schöpiung anSeinanderznsetzsn, für welche sie und Susie sich interessierten. Noch nie hatte sie mit so ausgesprochen fremdländischer Be tonung geredet, noch nw waren ihr die Worte so schwer aus die Lippen getreten. Herr Montez tadelte, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, die Sätze, welche ihm allzu englisch klangen, wiederholte die Worte, deren Aussprache er allzu schlecht sand. Als er nach und nach verstand, um was es sich handle, sagte er lächelnd: „Ter Gedanke ist schön und großmütig, mein Fräu lein; ich bezweifle nicht, daß eine solche Schöpfung in Amerika von großem Nutzen sein kann, hier aber wird sie nur ein.« arge Niederlage erleben." „Weshalb?" „Weil unsere Französinnen keinen Gefallen am Vereinswesen finden, wen sie das Glück eines gemern- schaftlichen Lebens nicht kenne::, weil sie die Freiheit des Handelns lieben, weil sie nun einmal weder für Vorlesungen noch für kleine Familienfest?, die doch nicht von der Familie inszeniert werden, eingenommen find. Sie ziehen eine ungesunde Mansarde, mangel hafte Nahrung, einen Ball im Moulin rouge einem ge regelten ernsthaf en Dasein vor, in dem man bestimmte Stunden einhalten, Pünktlichkeit und Rücksicht üben muß. Ich vermute, daß Ihr Arbeiterinnenheim, so frei und selbständig es in demselben auch zugehen möge, nicht um zwei Uhr morgens bereits seine Türen ausmachen werde." „Gewiß nicht, dessen mögen Sie versichert sein! Wir wollen nur ernsthast zu nehmende, durchaus an ständige, solide junge Mädchen oder Frauen. Lurch die freundliche Hilfeleistung einer sehr wohltätigen Frau, mit der Susie verkehrt, ist uns sogar schon sehr viel in Aussicht gestellt, wissen wir schon manche, die dem Institut beitreten wollen." ^„Und wer sind die Schutzbefohlene», die Sie in Aussicht genommen haben?" „In erster Linie Erzieherinnen, Ladenmädchen, Verkäuferinnen, Lehrerinnen, sowie Studentinnen. Wollen Sie mir versprechen, wenn alles einmal Or ganisiert sein wird, an einem Abend eine Vorlesung zum Besten unserer Unternehmung zn geben?" „Sehr gerne! Haben Sie auch Ihren Vetter Lucien von Rehnis gebeten, Ihnen zu Hilse zu kommen?" „Ja!" Luch errötete ein wenig, und Frank entgegnete lachend anstatt ihrer: „Er hat versprochen, nur dann zu kommen, wenn die Arbeiterinnen Mbsch seien!" „Seyen Sie l" Herr' Mentoz schlag sein Buch auf und vertiefte sich abermals in seinen Portrag. Trotz des geringen Aufwandes von Shnrpathie, die das neue Werk der resormlustkgen Susie in der Pariser Welt sand, führte sie dasselbe doch mit bewunderns- werter Kühnheit und Sicherheit zum Abschlusse; am häufigsten wurden die darauf bezüglichen Sitzungen in dem »einen, für ihren Vater reservierten Salon abgehalten; dort machte sie ihre Vorschläge, diskutiert« sie über die verschiedensten Fragen, nahm sie di« mehr oder minder klugen Einwendungen der übrigen Teil nehmer entgegen. Jeanne und Avette wurden von der Familie Levell zwar ohne besonderen Enthusiasmus, aber immerhin mit großer Höflichkeit empfangen. Dank des Inter esses, das sie dem Werke entgegenbrachten, gelang e» ihnen, nach und nach in da- Heiligtum zu dringen, in dem über so viele wichtig« Dinge Beschlüsse gefaßt wurden. Harrh betrachtete diese jungen Mädchen mit einer Art ängstlichem Schrecken und ließ sich erst für sie einnehmen, als er sah, daß sie für ihr« Kusin» aus Amerika tausend Freundlichkeiten hatten. „Die Anstalt, die ins Leben gerufen werden soll/ sagte Jeanne eines Tages nach einer langen Beratung, „kann aber doch erst eröffnet werden, wenn deren Bestand sichergestellt ist und man einen entsprechenden Reservefonds hat, den man im Falle der Not an tasten darf." „Wir werden ihn nicht besitzen," entgegnete Susi« mit der ihr eigenen Ruhe, die sich durch nichts ans der Fassung bringen ließ. „Unsere Institution wird sich aus sich selbst erhalten, ich habe einen Ueberschlag der Rechnungen gemacht; unsere Pensionärinnen wer den uns nicht schulden, als eben nur die erste In stallation." „All das ist bewundernswürdig, Fräulein Susie," sprach Avette spottlustig, „ich sehe, daß Sie recht haben, wenn Sie den Wohltätigkeitssinn verachten, so wie er bei uns gepflegt wird; aber von allem Ansange an können es ja doch nicht Ihre Schutzbefohlenen sein, die das Haus einrichten, nachdem Sie es gemietet oder gekauft haben." „Tas ist allerdings richtig, wir werden auch mit einer Schuld beginnen, die erst nach und nach getilgt werden kann." Am gleichen Abend noch nahm Jeanne ihren Bruder beiseite und sprach zu ihm: „Trachte doch, in Erfahrung zu bringen, wer das Haus gekauft hat und was es gekostet." Ties machte Eduard keine Mühe. Er kam al- scheinbarer Käufer zu dem Geschäftsmann, der mit der Liquidierung der Angelegenheit des Unternehmer- betraut war, der sich in Geldkalamitäten befand. Er tat so, als ob er das fragliche Haus selbst kaufen wolle. „Es ist seit fünf Wochen bereits anderwärts ver kauft," lautete der Bescheid, den er erhielt. „Ich komme also zu spät? Las bedauere ich sehr, . obwohl es mich einerseits nicht überrascht, denn ich hatte tatsächlich schon mehrfach vernommen, daß der Gesandte der Vereinigten Staaten die Absicht hege, für irgend eine wohltätige Stiftung das Haus käuflich an sich zu bringen." „Herr Levell ist es nicht, der das Haus ge kauft hat." „Nun, wenn nicht er, so doch seine Tochter, waS ja aus dasselbe hinauskommt." „Ein junges Mädchen ist allerdings die Käuferin, aber sie heißt nicht Levell; sie hat eine Anweisung von hundertsünfzigtauseud Francs mit einer Leichttg- ' leit unterschrieben, wie ich etwa fünfundzwanzig HAler aus meinem Portemonnaie gezogen haben würde. Aas diese Amerikanerinnen! Ich entsinne mich Ihre- Na mens nicht mehr, aber, wenn Sie darauf Wert ltzgen „Ganz und gar nicht, mein Herr, von bedauer lichem Belang ist nur, daß ich zu spät komme." Eduard und seine Schwester verstanden sich ganz ausgezeichnet, ohne daß sie einander erst lang« Sv- klärungen hätten geben müssen. „Tu kannst geraden Wege- aus dein Ziel los« steuern, meine kleine Jeanne; Wenn die Schwester «ins Anweisung von solcher Höh« mit Leichtigkeit unter schreibt, so muß der Bruder es dergleichen tun können; mir scheint, die Geschwister sind stolze Originals. Ich bedauere, daß ich der Schwester nicht gefalle, aber ich lasse mir selbst die Gerechtigkeit widerfahren, einzu- fehen, daß ich da nichts tun kann. Glück auf, Jeanne! Bewege deinen Irokesen dazu, sein Adelsprädikat wieder zu führen und bezahle mir meine Schulden, wenn du nur erst einmal in den Besitz seiner Mil lionen aelanast!" A WM