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August in arößter Eile während dringender Nacharbeiten zu seiner im Juli urauf geführten Oper „Die Entführung aus dem Serail". Als ihm Leopold Mozart die Festmusik im Februar des folgenden Jahres zurückschickte, konnte sich der Sohn bereits gar nicht mehr an diese Komposition erinnern: „Die Neue Hafner Sinfonie hat mich ganz surpreniert — denn ich wußte kein Wort mehr davon; — die muß gewis guten Effect machen", äußerte er in einem Brief an den Vater vom 15. Fe bruar 17'83. Wir kennen das liebenswürdige Werk, zu dem ursprünglich noch ein am Anfang und Schluß erklingender Marsch und ein wohl verlorengegangenes zweites Menuett gehörten, heute nur noch in der Form als viersätzige Sinfonie, in der es der Komponist - unter Hinzufügung von Flöten und Klarinetten in den Ecksätzen - am 23. Februar 1783 in einer seiner Akademien in Wien aufführen ließ. „Recht feurig gehen" muß nach Mozarts Angabe das Einleitungs-Allegro, dessen Verlauf fast ausschließlich von dem unisono einsetzenden, durch seine kühnen Sprünge sehr charakteristischen Kopfthema bestimmt wird. Dieses rhythmisch prägnante, mit seinem Umfang von über zwei Oktaven erstaunlich weit aus holende Thema, in seiner Anlage etwas betont prunkvoll und leicht theatralisch, wird in dem reich gearbeiteten Satz mit ungewöhnlicher kontrapunktischer Kunst durchgeführt. - Anmutig gibt sich das liebliche, melodisch schlichte Andante. Es folgt ein festliches, kraftvolles Menuett mit einem wirksam kontrastierenden, gra ziösen Trio-Teil, das der Mozart-Forscher Alfred Einstein als den hervorragendsten Satz der Komposition bezeichnete und bereits mit dem Menuett der berühmten späten Es-Dur-Sinfonie KV 543 von 1788 verglich. - Das schwungvolle Finale, ein Presto-Satz in Verbindung von Senaten- und Rondo-Form (nach Mozart „so ge schwind, als es möglich ist" auszuführen), besitzt wie der erste Satz teilweise ein wenig opernhafte Züge. Das hübsche Hauptthema des Finalsatzes zeigt Ver wandtschaft mit der Osmin-Arie „Ha, wie will ich triumphieren" aus der „Ent führung", so die Entstehung der Sinfonie im gedanklichen Umkreis dieser Oper demonstrierend. Eine eigenartige, ja einsame Stellung in der Musikgeschichte des 20. Jahrhun derts nimmt Jean Sibelius, der Begründer der national-finnischen Kunst musik großen Stils, ein. Der 1865 in Hämeenlinna (Tavestehus, Finnland) Gebo rene sollte eigentlich Jurist werden, studierte jedoch Musik bei M. Wegelius in Helsinki, bei Albert A. Becker in Berlin und schließlich bei Karl Goldmark und Robert Fuchs in Wien. 1893 kehrte er wieder in die Heimat zurück, wirkte zunächst als Theorielehrer an Helsinkier Musikschulen, bis er sich, da er vom finnischen Staat ein Stipendium auf Lebenszeit erhielt, gänzlich seinem kompositorischen Schaffen widmen konnte. 37 Kilometer von Helsinki, in Järvenpää, ließ er sich 1904 in herrlichster Landschaft ein Haus bauen, in dem er bis zu seinem Tode im Jahre 1957 lebte und arbeitete. Seit 1929 veröffentlichte Sibelius keine Werke mehr. Er schrieb fortan nur noch Musik, die niemand, nicht einmal seine Frau, hören durfte. An Stapeln von Notenblättern klebten Etiketten: „Nicht anrühren" oder „Erst nach meinem Tode zu öffnen". Aber der Nachlaß enthielt kaum Ma nuskripte. Der Komponist hatte offenbar alles kurz vor seinem Tode vernichtet. Er soll einmal gesagt haben: „Diktatur und Krieg widern mich an. Der bloße Gedanke an Tyrannei und Unterdrückung, Sklavenlager und Menschenverfolgung, Zerstörung und Massenmord machen mich seelisch und physisch krank. Das ist einer der Gründe, warum ich in über zwanzig Jahren nichts geschaffen habe, was ich mit ruhigem Herzen der Öffentlichkeit hätte geben können. Ich habe manches geschrieben, aber etwas aufführen zu lassen, dazu fehlte mir . .. ja, das wollte ich eben nicht." Zum Bilde Sibelius’ gehört es auch, daß er sich kurz vor und nach der Jahrhundertwende der national-finnischen Freiheitsbewegung gegen die Unterdrückungsmaßnahmen der zaristischen Behörden anschloß. Seine be rühmten Tondichtungen nach dem finnischen Nationalepos „Kalewala" oder die sinfonische Dichtung „Finlandia" stehen in engem Zusammenhang mit diesen nationalen Bestrebungen. Zu Sibelius' wichtigsten Werken rechnen neben zahl reichen Liedschöpfungen, Klavierstücken, Volksliederbearbeitungen, Chören und einer Oper ein Vioünkonzert, die sinfonischen Dichtungen und vor allem sieben Sinfonien, die den Komponisten als größten finnnischen Sinfoniker ausweisen. So sehr auch der Meister von der Mythologie und Natur seines Landes zum Schaffen angeregt wurde, Motive aus der Volksmusik verwendete er nirgends. Gleichwohl ist seine eigenständige, zwischen Spätromantik und neuen musika lischen Bestrebungen des 20. Jahrhunderts stehende Musik von ausgesprochen nationaler Haltung, in der Stimmung wie im Tonfall. „Die .Weise' seines Landes fließt ihm aus dem Herzen in die Feder”, sagte Busoni einmal, der zu den ersten ausländischen Vorkämpfern des großen Finnen gehörte. Zu Recht gilt Sibelius als der Vollender, überhaupt als eine der wesentlichsten Erscheinungen der romantischen Epoche der Musikgeschichte. Die Eigenart seines elementaren, urgesunden Persönlichkeitsstils fand keine Nachfolge. Das erklärt seine einsame Stellung in der Musik unserer Zeit. Während sein Stil in den Jahren nach der Jahrhundertwende zu fast klassischer Klärung gelangte bei impressionistischem Einschlag, ist das Schaffen der neunziger Jahre, dem auch die 1898/99 entstan dene 1. Sinfonie e-Mc!l op. 39 entstammt, durch unmittelbaren Gefühlsreichtum, instrumentale Farbenglut und blühende Melodik, durch ein höchst subjektives Sturm-und-Drang-Pathos charakterisiert. Orchestrale Kraft- und Massenwirkun gen werden in reichem Maße genutzt. Die 1. Sinfonie, der Höhepunkt jener frühen romantisch-mythologischen Schaffenspeiiode, stellt wie die meisten der Sibelius- Sinfonien eine ins Große geweitete sinfonische Fantasie dar (das Finale nennt der Komponist selbst „quasi una Fantasia"). Die rhapsodische Freizügigkeit in der Formbehandlung unterstreicht die subjektive Haltung dieser großartigen Stimmung«- und Ausdrucksmusik, die freilich, wie Sibelius einmal im Hinblick auf seine gesamte Sinfonik äußerte, „als musikalischer Ausdruck ohne jedwede literarische Grundlage erdacht und ausgearbeitet worden ist” Dennoch mag der Hörer beim Anhören des Werkes an einen anderen Ausspruch des Komponisten denken: „Die Wunder der Natur erhoben mir immer wieder das Herz", denn dieses außerordentliche Naturerlebnis, dessen er fähig war, spiegelt sich auch in seiner 1. Sinfonie wider, in der die ganze Schwermütigkeit, Herbheit finnischer Landschaft musikalischen Ausdruck fand. Eine melancholisch-einsame Weise der Soloklarinette, von dumpfem Pauken grollen unterstützt (Andante, ma non troppo), leitet zum Allegro-Hauptteil des ersten Satzes hin, der mit plötzlichem Stieichertremolo, energischen, rhythmisch kantigen Motiven eine dramatische Erregung herbeiführt, nach deren Höhepunkt und Abklingen in den Flöten ein idyllisches, dabei markantes Thema erscheint. Auf diesem Material baut der Satz auf, dessen starke, rhapsodische Kontrast wirkungen und Kraftausbrüche einen beinahe grimmigen Zug besitzen. Elegisch schwermütige Stimmungen herrschen im Andante vor. Tröstlichen Gedanken wird nur vorübergehend Roum gelassen, etwa in der leidenschaftlichen Steigerung in der Mitte des Satzes. Grellrobust ist de’- musikalische Ausdruck des rhythmisch gespannten Scherzos, dessen Hauptthema auch die Pauken solistisch übernehmen. Eine gewisse Entspannung bringt das schwärmerische, zerte E-Dur-Trio. Die Klarinettenmelodie vom Anfang des ersten Satzes leitet das Finale ein, pathe tisch-breit instrumentiert und den Streichern zugewiesen. Aus den knappen, spannungsträchtigen Motiven des anschließenden Allegro molto entfaltet sich in den Violinen ein breitströmendes, gesangliches Thema, das bei seiner Wieder holung zum machtvollen, krönenden Schluß der Sinfonie führt. Urte Härtwig / Dr. Dieter Härtwig Vorankündigung: 20./21. März 1965, 19.30 Uhr (Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr, Dr. Dieter Härtwig) 7. Zyklus-Konzert — Musik der Nationen — Dirigent: Dr. Zygmunt Latoszewski, VR Polen Solist: Wladyslaw Kedra, Warschau-Wien Werke von M. Karlowicz, F. Chopin und G. Bacewicz Beschränkter Kartenverkauf nur in der Konzertkasse der Dresdner Philharmonie! 12. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1964/65