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keit bis zu seinem frühen Tode ausübte. Monn (dessen Vornamen ursprünglich Johann Georg lauteten) war ein Bruder des allerdings nicht in gleichem Maße bedeutenden Wiener Komponisten Johann Christoph Mann, von dem übrigens 1961 in einem Zykluskonzert der Reihe „Wiener Klassik" auch bereits ein Werk durch unser Orchester zur Aufführung gelangte. (Es darf nicht verwundern, daß beider Nachnamen verschieden lauten, die damalige Zeit nahm es ja mit der Namensschreibung bekanntlicherweise oft nicht allzu genau.) Trotz stilistischer Unterschiede war eine Trennung der Werke der beiden Brüder durch fehlende Vornamen auf den Manuskripten zum Teil erschwert. Von Mathias Georg Monn liegt ein für die Kürze seiner Lebenszeit sehr umfangreiches Schaffen vor, das vor allem kirchliche Vokalkompositionen, Sinfonien, Instrumentalkonzerte, Quar tette und Klavierwerke umfaßt und den Komponisten — namentlich in seiner Sinfcnik — als einen in dis Zukunft weisenden Meister der Vorklassik auf Wie ner Boden und in einigen Punkten sogar als unmittelbaren Vorläufer Haydns und Mozarts ausweist. Das heute auf dem Programm stehende Konzert für Violoncello und Streich orchester g-Moll, ein klanglich sehr reizvolles Werk, das Anfang unseres Jahr hunderts von Arnold Schönberg bearbeitet und rej herausgegeben wurde, besticht vor allem durch seine für den Komponisten charakteristische reiche Melodik und die Frische seiner Erfindung; stilistisch zeigt es deutliche Kenn zeichen der Übergangszeit. Während etwa der typische Wechsel zwischen Tutti- und Soloepisoden oder einzelne noch ganz im alten Stil empfundene Themen (z. B. das Anfangsmotiv des ersten Satzes) die Verwurzelung i i d ?r Barock musik, den barocken Untergrund spüren lassen, spricht aus manchen „empfind samen" Wendungen, aus dem Verzierungswesen, ja aus der Behand'ung des Soloinstrumentes schon die Wandlung des Musikstiles. Kraftvoll-bestimmt gibt sich der mit einer Tutti-Einleitung beginnende erste Satz, dessen Hauptgedanke ein energisches Motiv bilde' - , gefolgt von einem kontrastierenden, graziösen Nachsatz. Ein gesangliches Largo im 1z /8-Takt, in Es-Dur stehend, folgt als langsamer Mittelsatz. Das Hauptthema wechselt hier ständig zwischen Orchester und Soloinstrument und wird vom Violoncello mit reichem Figurenwerk ausgeschmückt und fortgesponnen. Den Beschluß bringt ein spielfreudiger, wirkungsvoller Allegro-Satz. Peter I I j i t s c h Tschaikowskis 6. Sinfonie h-Moll op. 74 entstand 1893, im letzten Lebensjahre des Komponisten, und wurde kurze Zeit vor dem Tode des großen russischen Meisters in Petersburg uraufgeführt, Tschaikowski, der das Werk selbst dirigierte, trat damit zum letzten Male in der Öffentlichkeit auf. Die „Sechste", das letzte große Werk des Komponisten, stellt schlechthin einen Gipfelpunkt in seinem gesamten Schaffen dar. Sie wurde tatsächlich sein „bestes Werk", wie Tschaikowski mehrfach während der Arbeit an der Sinfonie geäußert hatte. Sie wurde zugleich sein Requiem. „Du weiß', daß ich im Herbst eine zum größten Teil schon fertig komponierte und instrumentierte Sinfonie vernichtete, und das war gut, denn sie enthielt wenig Wertvolles und war nur ein leeres Tongeklingel ohne wirkliche Inspira tion. Während der Reise kam mir der Gedanke an eine neue Sinfonie, dies mal eine Programmsinfonie, deren Programm aber für alle ein Rätsel blei ben soll... Dieses Programm ist durch und durch subjektiv... Der Form nach wird diese Sinfonie viel Neues enthalten, unter anderem wird das Finale kein lärmendes Allegro, sondern im Gegenteil ein sehr langgedehntes Adagio sein." Diese Briefstellen des 53jährigen Tschaikowski an seinen Neffen Wladimir Dawidow zeigen, aus welcher Situation heraus die „Sechste" entstanden ist. Die äußeren Lebensumstände des Meisters waren mit zunehmendem Alter durch sich steigernde Ruhelosigkeit, innere Gegensätzlichkeit und Zerrissenheit ge kennzeichnet. Nur die Flucht in rastloses Schaffen verhalf ihm zu relativem Gleichgewicht. Leidenschaftlichster unmittelbarer Ausdruck der ihn bewegenden, ja fast zerreißenden Gegensätze wurde seine Sechste Sinfonie. „In diese Sin fonie", schrieb Tschaikowski, „legte ich ohne Übertreibung meine ganze Seele; . . . ich liebe sie, wie ich nie zuvor eine meiner Schöpfungen geliebt habe." Wie viele seiner letzten Werke ist auch die „Sechste“ von leidvo len Stimmungen durchzogen, aber nie im Sinne pessimistischer Hoffnungslosigkeit, Todessehn sucht oder willenloser Passivität. Auch im Ausdruck des Tragischen, der Klage, schwingt bei Tschaikowski seine leidenschaftliche Liebe zum Leben mit, seine Überzeugung von den erstaunlichen Kräften der menschlichen Seele, seine Ver ehrung für alles Schöne und Gute im Leben des Menschen und in der Natur. Unter den nachgelassenen Papieren des Komponisten fand sich ein Programm entwurf für die „Sechste", nach dem die eigentliche Idee des Werkes mit dem Wort „Leben" charakterisiert wird. Diese Idee, die ganz allgemein das Auf und Ab der dargestellten Stimmungen deutlich macht, aber durchaus in einem innigen Zusammenhang mit dem Leben des Komponisten steht, hilft dem Hörer beim Verständnis des Werkes, wenn es s ch auch ganz und gar nicht um ein „Programm" im Sinne der illustrativen Programmatik Berlioz’, Liszts oder Richard Strauss’ handelt. Tschaikowskis Bruder Modest erzählt uns in seiner Biographie, wie die 6. Sin fonie ihren Beinamen „Pathetique" erhielt. Am Tage nach der Uraufführung grübelte der Komponist über einen treffenden Titel für sein neuestes Werk, dessen ursprünglicher Name „Programmsinfonie" ihm plötzlich nicht mehr ge fiel. Modest schlug ihm „Tragische Sinfonie" vo', aber auch das mißfiel ihm. „Ich verließ bald darauf das Zimmer, bevor Peter lljitsch noch zu einem Ent schluß gekommen war. Da fiel mir plötzlich die Bezeichnung .Pathetique' ein. Sogleich kehrte ich wieder ins Zimmer zurück — ich erinnere mich noch so deut lich daran, als ob es gestern gewesen wäre! — und schlug sie Peter lljitsch vor, der begeistert ausrief: .Ausgezeichnet, Modi, bravo! Pa.hetique' — und dann setzte er in meiner Gegenwart den Titel ein, durch den die Sinfonie überall bekannt geworden ist." Wenn Tschaikowski in formaler Hinsicht von „viel Neuem" in seiner „Sechsten" spricht, so gilt das für die enorme Gegensätzlichkeit der Themen und der daraus resultierenden Verarbeitung sowie für die Umstellung der Sätze gegen über der traditionellen Norm. Diese Sätze wiederum sind im einzelnen durch eine große Strenge, Klarheit und Konsequenz des Aufbaus gekennzeichnet. Sie bedingen sich gegenseitig im Sinne aussagemäßiger Kontraste, sind aber auch durch gemeinsame Elemente miteinander verbunden (Tonfortschreitungen; spezifisch nationaler Charakter). Der inhaltliche Schwerpunkt der Sinfonie ist wohl der erste Satz, ein kompli zierter Sonatenhauptsatz. Bereits in der melancholischen Adagio-Einleitung spricht sich das Kernmotiv des nachfolgenden Allegro-Satzes aus, dort aller dings ins Erregte gesteigert. Lichter, freudvoller ist das kontrastierende zweite