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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Sonnabend, 7. April 1962, 19.30 Uhr Sonntag, 8. April 1962, 19.30 Uhr DIEWIENER KLASSIK Prof. Rolf Kleinert, Berlin Johannes Walther, Dresden Gastdirigent: Solist: Ludwig van Beethoven (1770—1809) Joseph Haydn (1732—1809) Große Fuge B-Dur, op. 133 Sinfonie D-Dur Nr. 101 (Die Uhr) Adagio - presto Andante Menuett (Allegrctto) Finale: vivace PAUSE Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) Konzert für Flöte und Orchester D-Dur, KV 314 Allegro aperto Andante ma non troppo Allegro Sinfonie C-Dur, KV 551 (Jupitersinfonie) Wolfgang Amadeus Mozart Allegro vivace Andante cantabile Menuett (Allegrctto) Finale: molto allcsro ZUR EINFÜHRUNG Die große Fuge, op. 733, von Ludwig van Beethoven bildete ursprünglich den letzten Satz seines sechssätzigcn Streichquartetts B-Dur, op. 130, das am 21. März 1826 uraufgeführt wurde. Da die Fuge jedoch allgemein auf Unverständnis stieß und von den Zeitgenossen als zu kompliziert und abseitig abgelehnt wurde, gab Beethoven dem Drängen seiner Freunde nach und schrieb für das Quartett einen neuen, tänzerisch-heiteren Finalsatz (übrigens seine letzte vollendete Komposi tion'. während die große Fuge als op. 133 kurz nach dem Tode des Meisters als einzelnes Werk veröffentlicht wurde. Aber noch im ganzen 19. Jahrhundert wußte man wenig mit ihr anzufangen, und sogar Hugo Wolf äußerte noch: „Die große Fuge ist ein mir unverständliches Tonstück.“ Inzwischen freilich hat sich die Einstellung zu diesem Werk, das auch in der Bearbeitung für Streichorchester, in der es zuerst im Jahre 1884 von Hans v. Bülow in Meiningen gespielt wurde, rveite Verbreitung fand, längst grundlegend geändert. „Tantöt libre, tantöt rcchcrchee“ (ebenso frei wie kunstvoll) - diese Worte wählte Beethoven als Überschrift der mit höchstem ver geistigtem Kunstverstand geschaffenen, kühn gestalteten Fuge, die wir in ihrer monumentalen Größe wahrhaft bewundern müssen. Das Werk wird von einer „Overtura“ (Allegro) eingeleitet, in der das grandiose Thema in den vier Gestalten auftritt, die es später in den einzelnen Durch führungsteilen annimmt. Alle Künste des Kontrapunkts werden dann in der eigentlichen Fuge mit größter Meisterschaft angewendet, ehe das Werk in einem erhabenen, gewaltigen Schlußtcil ausklingt. Joseph Haydns Sinfonie Nr. 101, D-Dur („Die Uhr“), gehört zu der berühmten Reihe seiner zwölf sogenannten „Londoner Sinfonien“, die durch die Englandreisen des Meisters zwischen 1791 und 1795 angeregt und für Londoner Abonnementskonzerte geschrieben wurden. Diese Sinfonien bilden den Abschluß von Haydns sinfonischem Schaffen und stellen in jeder Beziehung auch die Krönung dieses Schaffens dar. Sowohl in der geistigen und seelischen Vertiefung, in der Differenzierung der musikalischen Ausdrucksmittel als auch in der reifen souveränen Könnerschaft, mit der die klassische sinfonische Form hier gemeistert wird, müssen sie als das Höchste gelten, was uns Haydn auf diesem Gebiet hinterlassen hat. In den „Londoner Sinfonien“ hat er, obwohl gerade hier eine tiefe innere Durchdringung mit Einflüssen der Sinfonik Mozarts ^u spüren ist, doch seine ganz eigene, endgültige Lösung des klassischen Stils erreicht. Die Änfonic D-Dur, nach der Gesamtausgabe als Nr. 101 gezählt, entstand während Haydns zweitem T3csuch in England (1794/95), ihren Beinamen „The Clock“ („Die Uhr“) gaben ihr die Londoner höchstwahrscheinlich wegen der gleichmäßigen pendelnden Begleitfiguren im 2. Satz. - Mit einer feierlichen Adagio-Einleitung in d-Moll beginnt die Sinfonie. Der folgende Prcsto-Satz bringt zwei ihrem Charakter nach recht ähnliche, heiter-mutwillige, unsymmetrisch gegliederte Haupt themen. Besonders mit dem zweiten dieser Themen wird in der zum Teil wieder etwas dunkler gehaltenen Durchführung gearbeitet. - Als 2. Satz schließt sich ein als Variationensatz angeleg tes Andante an. Über der gleichmäßig „tickenden“ Begleitung durch Fagotte und Streichcr- pizzicato erklingt als Thema eine schlichte Melodie, die in verschiedenen Varianten wiederholt und durch kontrastreiche Zwischenspiele verbunden wird. - Nach dem breit ausgebauten, leb haft-frischen Menuett und dem lieblichen, die Flöte solistisch cinsetzenden Trio endet das Werk mit einem formal und inhaltlich besonders geschlossenen, geistvollen Rondosatz (Vivace). Die sem Finale, das sich durch eine Fülle von Einfällen und Empfindungen sowie durch eine äußerst kunstvolle, kontrapunktisch-thcmatische Verarbeitung auszeichnet, liegt ein bewegtes, dreiteiliges Hauptthema zugrunde, auf dessen motivischem Material der gesamte Satz weit gehend aufgebaut ist. Das Flötenkonzert D-Dur, KV 514, entstammt vermutlich Wolfgang Amadeus Mozarts Mann heimer Zeit (1778) und wurde neben einem weiteren Flötenkonzert (G-Dur, KV 313), dem An dante für Flöte und Orchester, KV 315, und drei Quartetten für Flöte und Streicher (KV 285, 285 b und 298) für den vermögenden Holländer De Jean komponiert. Alle diese Werke beweisen, wie sehr Mozart das ganz eigene Wesen der Flöte erfaßte, ihren technischen Forderungen ge recht wurde, obwohl er eigentlich dieses Instrument niemals recht leiden mochte. Die beiden in ihrem Charakter einander ziemlich nahestehenden Flötenkonzerte zeigen in formaler Hinsicht wie auch in der Gcsamthaltung manche Gemeinsamkeiten mit Mozarts Violinkonzerten aus dem Jahre 1775, sogar in thematischer Beziehung lassen sich ähnliche Wendungen in diesen Konzerten nachweisen. Aber trotz dieser Anlehnungen, und obwohl das D-Dur-Konzert mög licherweise nur eine Umarbeitung eines Oboenkonzertes darstellt, das Mozart im Jahre 1777 für den Salzburger Oboisten Guiseppc Ferlendis geschrieben hatte, kommt in den Flötenkonzerten, die vor allem in der Behandlung des Orchesters und in der Verbindung der einzelnen thema tischen Gedanken bereits von der frühen Meisterschaft des 22jährigen Komponisten zeugen, die besondere Eigenart der Technik dieses Instrumentes und der damit zu erreichenden Wirkungen voll und ganz zur Geltung. - Gerade im D-Dur-Konzert ist der Flötenpart, der in den Soli nach altitalienischer Art häufig nur von den beiden Violinen begleitet wird, mit außerordentlich reichen Einfällen bedacht. Besonderes Interesse verdient hier der auch in der Instrumentierung durch die reizvolle Verwendung von Oboen und Hörnern wirkungsvolle 3. Satz, ein Rondo, dessen Hauptthema Mozart übrigens später nur wenig verändert wieder für Blondchens Arie „Welche Wonne, welche Lust“ in seiner Oper „Die Entführung aus dem Serail“ benutzt hat. Wolfgang Amadeus Mozarts große C-Dur-Sinfonie, KV &, die später durch den Londoner Geiger und Konzertunternehmer J. P. Salomon ihren heute allgemein gebräuchlichen Namen „Jupitersinfonie“ erhielt, ist die letzte Sinfonie des Meisters. Sie wurde zusammen mit den Sinfonien Es-Dur, KV 543, und g-Moll, KV 550, im Sommer des Jahres 1788, einer für Mozart mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbundenen Zeit, innerhalb weniger Monate kom poniert. Ein direkter Anlaß für die Entstehung der drei großen, ihrer Art nach so verschiede nen Sinfonien ist uns nicht genau bekannt, eventuell waren sie für Subskriptionskonzerte be stimmt, die dann allerdings wahrscheinlich nicht zustande gekommen sind. Es ist sogar durchaus möglich, daß Mozart diese seine letzten sinfonischen Werke niemals mehr selbst in einer Auf führung gehört hat. - Die Jupitersinfonie läßt nach der strahlend-heiteren Es-Dur- und der