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PMp M WGny IktlM» Rr. 87 Mittwoch den 16 April 919 86 Jahrqantz Die Nationalversammlung gegen einen Gewaltfrieden. -Weimar, 11. April. 6m Anschluß an die Ausführungen des Minister* Presidenten Scheidemann und des Grafen Brockdorff. Rantzau faßte die Nationalversammlung einstimmig eine Resolution gegen einen Gewaltfrieden. Der Ab stimmung gingen die Ausführungen der Abgeordneten v. Payer (Dem.), Rtetzer (D. VP.) und Seeger (U. Soz.) voraus. Abg. v. Payer (Dem.): Der Ministerpräsident hat un» eine Untersuchung der schweren Vorgänge durch einen Staats«, gerichtShoi zugesagt, und wie man hört, dürfen wir den Ent, Wurf in den nächsten Tagen erwarten. Ich möchte die Ge* legenheit nicht vorüberaehen lassen, ohne meine warnende Stimme über da« geplante Borgehen zu erheben. Wer Schuld hat, soll sein Recht finden, aber nickt in der ge planten Form und nicht in diesem Augenblick. Wir war* den durch ein solches Verfahre» auch im Innern nur wieder grobe Unruhe und Aufregung erzeugen. Wenn erst einmal die Archive geöffnet werden, und wenn die Menschheit wieder für ein objektiveres Urteil fähig sein wird, bann mag di« Weltgeschichte ihr inappellables Urteil sprechen. (Beifall.) Abg. Schnitz-Bromberg (Dtschntl.)i Jeder von uns ist entschlossen, einen Frieden der Gewalt abzulehnen. Da» deutsche Volk hat ein Recht auf einen Frieden der Ver ständigung. Denn di« Alliierten haben die Wilsonschen Bedingungen angenommen. Mit Entrüstung lehnen wir «in Schuldbekenntnis für den Krieg ab, das allen Tatsachen direkt widersprechen würde (Beifall recht».) Möglich wäre «S allerdings, daß die Regierung au» Hatz gegen die alten Machthaber nachgibt und ihnen di« Schuld beimiht. Das deutsche Volk hat keine Schuld. Abg. Riester (D. VP.): Wir begrüßen jede Maßnahme, die ein friedliches, harmonische» Zusammenwirken von Ar beitgebern und Arbeitnehmern ermöglicht. Protest aber legen wir heute schon ein gegen jede Einmischung der Räte in die Leitung der Betriebe. Die Betriebsräte sollten durch Gesetz, nicht aber durch dis Verfassung festgelegt werden, denn Verfassungsänderungen soll man möglichst vermeiden. Abg. Seeger (U. Soz.): Die Nationalversammlung ist nur eine verschlechterte Auslage des alten Reichstage». Das Werktätige Wolk (Ruf bet den Demokraten: Werktätig?) hat keine Hoffnung mehr auf die Nationalversammlung. Nach Ueberwetsung des Etat» an den Hauptausschutz teilt Präsideyt Fehrenbach mit, datz von den Abgg. Löwe, Gröber, v. Paher, Graf PosadowSkh und Dr. Heinze der fol gende Antrag elngegangen ist: „Da» deutsche Volk, das die Last harter WaffenstiflP standSbedingungen in der Erwartung eine» baldigen Frie den» aus sich nahm, hat Anspruch auf einen Frieden»* Vertrag, der dem von allen kriegführenden Staaten un widerruflich al» Grundlage angenommenen Programm des Präsidenten der Bereinigten Staaten von Amerika ent- spricht. Dieses Programm sichert allen Völkern Selbst bestimmung, nationale und politische Freiheit, Erlösung von der Rüstungslast, ein neues soziales Völkerrecht, weib- herzig« Lösung ihrer kolonialen Interessensragen und den Bund gleichberechtigter Völker. Ein RechtSsrird«, der die Gefangenen befreit, die Hungernden erlöst, die be setzten Gebiete sretgtbt, die Arbeit international schützt und uns keine jenem Programm widersprechenden Ge* bietSänderungen zumutet — ein solcher Frieden ist eben so gewiß ein Segen der Menschheit, wie ein Zwangsfrieden «in Fluch bleiben müßte. Der Wille des ganzen deut schen Volkes lehnt den Gewaltsrleden ab. Inmitten der Leiden einer hungernden Bevölkerung, inmitten oer stark erschütternden Gärungen, die sich durch die Verzögerung de» Friedens von Tag zu Tag steigern, erwartet die Nationalversammlung von der Regierung, datz sie nur einem Friede« de* Verständigung und Versöhnung zusttmmt und jeden Vertrag ablehnt, der Gegenwart und Zukunft des deutschen Volkes und der Menschheit Preis«, gibt." Der Antrag wird gegen die Stimmen der Unabhängige« angenommen. Hierauf wird ein weiterer Antrag der genannten Parteien, einen Ausschuh für die FrtedenSver- handlungen einzusetzen angenommen. Eine Botschaft Eberts für den RechtSfrieden. Bevor die Nationalversaminlung am Sonnabend dieser oder Anfang nächster Woche auseinandergeht, um sich eine Osterpause zu gönnen, wird der Reichs präsident Ebert in einer Botschaft die'RechtsfriedenS- resolution der deutschen Nationalversammlung in zu stimmendem^ Sinne beantworten. Tie Botschaft wird sich gegen jeden Gewaltfrteden, für -en Völkerbund gedanken und für einen VerständigungSfrteden auf Grundlage der 14 Wilsonschen Punkte aussprccheu. — Weimar, 12 April. Bor Eintritt in die Tagesordnung teilte Abg Sachse (Sozd) dem Hause als Ergebnis der Ver handlungen zwischen der Regierung und den Berg- arbetterverbänden die Einführung der Siebenstunde»r- schtcht einschließlich Ein- und Ausfahrt Mit. Mit gro ßem Beifall wurde der Beschluß der Bergarbetterkonfe- renz in Bochum betr. Wiederaufnahme der Arbeit begrüßt, Alsdann wandte sich da- HauS der Bera tung des Gesetzentwurfes über die Regelung »er Maltwirtschast zu- Tie Vorlage wurde begründet durch Geh. OberregierungSrat Kraßmann: Di- Vorlage be deutet einen tiefen Eingriff in die Verhältnisse der Kalt- industrte, immerhin sind wenigsten« Vorschriften vorge sehen, um da» bestehende Kalishndikat, da» l« ungemein segensreicher Weise v.en Ausstieg der Kaliindustrie geför dert hat, in die neuen Verhältnisse überzusühren. Ta» ist schock deshalb notwendig, weil es sich hier vorwiegend um eine Erportindustrie handelt. Da» Kaltsyndikat ist in dir ganzen Welt einaeführt und sichert un» durch fein« Be- xirasvn /uni! baut man naed 6s* ZtRIkZI - Novototfs übsraii «rrsiadbar. Osev-Tisgsl 6urev 61a für blanäbstrivb I »ne,»,«« ««: KMSI, kk». SS k Vkse-Iottenbue-g S I ISIS lUt» ziehüngen eine Weitereg edethltche Entwicklung ve» Ab sätze» im Auslande, das ist um so wichtiger, als wir mit dem Verlust dere lsässtschen Kaliwerke rechnen müssen. Auf eine etwaige Neuregelung der Löhne ist bei Festsetzung der Kalipretse Rücksicht genommen. Abg. Jmtusch (Ztr.) hält eine Sozialisierung der Kalt industrie für notwendig. Abg. Pohlmann (Dem.) äußert Bedenken und warnt vor Ueberstürzung, ebenso die Abgg. Behren» (D. Nat.) und Reinecke (D. VP.). Geheimrat Kraßmaun gibt beruhigende Erklärungen ab über die Versorgung der Landwirtschaft mit Kalt auch im lausenden Jahre. Die Ausfuhr nach Holland, der Schweiz und Skandinavien, sowie nach England hat sich gebessert. Mit den Vereinigten Staaten schweben Verhaud-, lungen. i, Abg. Lohn (U. Soz.) erflärt da» Gesetz für unbrauch bar. Da» Gesetz get an den Ausschuß. ES folgt die Vorlage über die Ermächtigung der Regierung - zum Erlaß von Verordnungen in der Uebergangszeit unter Mitwirkung eine» Ausschusses der Nationalversammlung. Reichsminister Dr. Preuß: Der Entwurf will kein all gemeines Notverordnungsrecht für die Regierung in An spruch nehmen, es will ihr nur die Möglichkeit geben, wenn es dis besonderen V:clMtnisse notwendig machen, im Perordnungswege gewisse schleunige Dinge, die aber nicht von priztpieller Bedeutung sind, zu regeln. Die bisherige Ermächtigung dazu beschränkte sich auf solche An ordnungen, die zur Durchführung der Waffenstillstands- bedingunaen notwendig waren. Doch vermochte der Munster das Mißtrauen nicht zu beseitigen, das ihm das Haus in dieser Frage ent gegenbrachte. D e Abgeordneten Dr. Becker (Zentr), Wald sie in (Tem.) sowie Knollmann (D. natl.) stimmten dem Grundgedanken de? Gesetzentwurfes zu, äußerten aber mehr oder minder schwere Bedenken. Nachdem noch der unabhängige Abg. Haase die Vor lage abgelehnt hatte, wurde die Vorlage an den Wirt schaftsausschuß überwiesen. Am nächsten Montag steht die Interpellation An er (Soz.) betreffend Maßre geln zur Ernährungsfrage auf der Tagesordnung. Was man in Berlin Sport nennt. Roheit und Schwindel. ! Alles entartet, auch der Sport So klagen die > alten Freunde des ehrlichen Wettstreits in Kraft und Geschicklichkeit. Aber von der anderen Seite kommt die Antwort: Der Sport blüht: darum hat auch der Sportpalast, der so lange leer stand, mit großem . Erfolg wieder eröffnet werden können. Ja, der Straßenhandel in Ticbesgut „blüht" auch, und die Glücksspiele blühen erst recht. Um sein Geld hei einem Bankhalter los zu werden, braucht Man nicht einmal in einen nächtlichen Spielklub ! zu gehen; man kann im Hellen Sonnenschein ans dem Nachhausewege bei einem fliegenden Croupier setzen und verlieren. Der Sportpalast an der Potsdamer Straße wurde wieder eröffnet mit Ningkämpfen. Paarweise ka men die musknlüsen Männer in Trikot ans die Matte; die schweißtriefenden Körpermassen umklammern sich, reiben sich, drücken und quetschen sich, bis der eine mit den beiden Schultern auf den Boden gebracht tlt. Je länger das dauert, desto besser. Bleibt das Ringen stundenlang unentschieden, ist es dein Unter nehmer noch lieber; dann gibts morgen einen „Eut- scheidttngsknmpf" mit nenen Eintrittsgeldern. Auf diese schmierige Katzbalgerei folgte bald noch etwas „Feineres". Boxer traten auf, die sich gegen seitig mit Faustschlägen bearbeiteten, bis dec eine Teil hilflos am Boden lag. Ter beliebteste Schlag ist der Stoß in den Magen, weil dieser keinen Knochenschutz hat und seine Quetschung den ganzen inneren Menschen in Verwirrung bringt. O, welch ein Genuß für Auge und Herz, welch ein Segen für den Geschmack und die Sittlichkeit und die ganze menschliche Kultur, wenn zwei moderne Gladiatoren vor einigen tausend Glotzaugen sich gegenseitig ver- prügeln bis zur Bewußtlosigkeit! Tie nuujubelten Boxer als Volkserzieher und Nationalheldenl Das war die Kultur der Roheit. Nun kommt eine dritte Attraktion mit dem Zeichen des Schwin dels. Ein Sech Stage-Rennen im Sportpalast. Won vornherein schon als Mumpitz zu erkennen. Wenn aus dem Stahlrvß 6 Tage lana um die Welt« gefahren werden soll, so ist diese GrschöpfungSjagd vielleicht auf der Landstraße möglich, aber nicht auf einer kleinen Rennbahn und in einem Gebäude. Ta liegen die Fahrer im Rudel zusammen; sie müssen zu huuderten Malen dieselbe Runde machen Will einer einen Vorsprung erringen, so muß er den sämtlichen Genossen eine ganze Rnnde abgewinuen, und da» geht nur bei besonderem Glück. Also bummelt dis Gesellschaft gemütlich oder vielmehr stumpfsinnig ihre Rnnden ab. Je zwei bilden ein Paar, der eine soll ruhen können, während der andere fährt. In den Tagesstunden sind wenig Zuschauer da; dann wird das Tempo so schleichend, daß man sich dem Halbschlaf htngeben oder mit allerhand Allotria sich die Zeit vertreiben kann. Am Abend wird es voller, und die Nacht wird es erst recht lebendig. Tann kommen die Nachtschwärmer mit den geschwollenen Geldtaschen und den geschminkten Weibern. Die Fah- » rer werden munter; aber sie denken weniger an ihr Nennziel, als vielmehr an die Prämien, die von den Nachtgästen für den nächsten Spurt ausgeworfen werden Um 20 Mark rührt sich kaum einer; um 100 Mark trampeln schon ein halbes Dutzend in die Pedale, und wenn 500 oder 1000 Mark auSge- worsen werden, so zeigen die Matadoren, was sie in den Beinen haben Ist die Prämie erledigt, so wird in dem alten Schlendrian weiter gebummelt. Allmählich kamen die Fahrer selbst zu dem Be wußtsein, daß das Rennen an sich doch verzweifelt langweilig werde. Was tun? Eine ehrliche Kraft probe erschien ihnen doch zu anstrengend. Da kamen sie auf den „schlauen" Gedanken, am vierten Tage wolle man einem aus der Spitzengruppe eine Runde gewinnen lassen, nnd der sollte dann an den bei den letzten Tagen sich den Vorteil wieder abjagen lassen. Das gäbe dem Publikum Spannung und würde den Fahrern keinen Nachteil bringen, da schließlich der alte Zustand wieder hergestellt wurde. Fein aus gedacht; aber es kam ein Haar in die Suppe. Tas Paar, das für den vorübergehenden Scheinsieg ec-' koren war, benutzte einen Tag früher eine gün stige Gelegenheit, um eine Runde zu gewinnen. Als nun die Rückgabe gefordert wurde, sagte das Paar: I bewahre, das ist nicht die ansbedungene Runde, sondern ein richtiger Vorsprung, den wir aus eige- ! ner Kraft gewonnen haben; wer ihn wieder haben will, mag ihn mit eigenen Beinen einholen! In der Hellen Entrüstung über diesen „Treubruch" brachte einer der betrogenen Betrüger den abgekarteten Schwindel an die Oeffentlichkeit. Dte Herren Berichterstatter für die Sensa tionspresse, die bisher daS Sechstagerennen ehr erbietig behandelt haben, sahen nun plötzlich ein, daß diese ganze Geschichte mit Sport nichts mehr zu schaffen habe. Andere Leute hatten das von Anfang an schon erkannt. Mumpitz, Schwindel und Betrügereien sind auch früher schon auf manchen Radbahnen und Reitbahnen getrieben worden; nur ist dte Aufdeckung der „Schiebung" nicht immer so prompt und durchschlagend erfolgt, wie in diesem Falle. Trotzdem gibt es noch immer Leute genug, die f tyr Geld in Rennwetten verspielen. In Berlin ) können sie es freilich auch los werden, wenn gerade eine Pause zwischen den zahlreichen Rennen ist. Auf der Schönhauserstraße kann man auf einer Papp tafel ebenso „erfolgreich" spielen wie in Monte Carlo am feinen Tisch, und m einem Billard-Kasfee ist so gar ein förmlicher Totalisator eingerichtet, bet dem man auf die einzelnen Billardmeister setzen kann. Die Revolution hat uns viel Unglück beschert, aber auch viel „Glücksspiele". . , Das schlimmste ist nicht die Ausplünderung der Geldtaschen, sondern das Verderbnis des Geschmacks und der Sitten. Das Volk wird zur Roheit er zogen. Deutschland soll einmal an der Spitze der Kultur marschiert sein. DaS ist wohl nur eine alte Sage. Der Neichsrätekongretz. Schaffung cinc» RcichSsolvatenrateS abgelehnt. Auch der vierte Tag des Rätekongresses ver ging mit der Erledigung der verschiedenen Anträge. Die Unabhängigen hatten einen Antrag auf Schaffung eines Ncichssoldatenrates eingebracht. Zn Anfang schien es, als ob sie mit ihrem Antrag durchdrin gen würden, eine nochmalige namentliche Abstimmung unter Teilnahme der dentich-österceichischen Delegier- , ten ergab jedoch eine Mehrheit von 125 gegen 101 Stimme für Ablehnung des Antrages. An seiner Stelle wurde ein mehrheitssozialisltscher Antrag an genommen, der sich nur insofern von dem unab hängigen Antrag unterschied, alö das Prinzip eines Wolksheeres auf der Grundlage der allgemei nen Dienstpflicht darin ausgesprochen wurde. Ein Nachsatz besagt, datz gleichfalls eine Solvatcnratsvcrtrctung beim Reichswehrminister eingerichtet werden solle, nur soll dem Soldatenrat bet der Führung nno Verwendung der Truppen keine Mitwirkung zustehen. Ferner wurden eine ganze Reihe rad kaler Anträge angenommen, u. a. die Ab schaffung ämtlicher Orden- und Ehrenauszeichnunaen mit Ausnahme des Verwundetenabzeichekk. Beseiti- gnng jedes Unterschiedes des Standes unv^.-r Ge burt, Verbot der Führung von Adelsprädikatest; Ab schaffung des Adels u. a. Tie Beförderung der Offi ziere fol', abhängig sein von der Wahl durch die Mannschaften, ebenso die Uebernahme der jetzigen Offiziere durch die Reichswehr. Am fünften Verhandlungstag konnte der Rätekon greß endlich mit der Ervrternng des NätesystemS beginnen. Als erster erösfnele das Mitglied des Zen tralrats Cohen den Rednerreigen. Er üble scharse Kritik an der Nationalversammlung, die bis jetzt kei- nexlrj schöpsrrische Kraft bewirirn hab«. Wa» letzt