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KellM W Deyrrly -rtlm, Donnerstag den 16 Januar r9lS abends Nr. 12 ) Ortskandliches vonWi-poldiSwalde. '' - - " 1 . 3« AnfULr»»- bittlicher U»lti«»ißkel1en. Von Baumeister L Otto Schmidt. Nicht alle»,Zwar wir in Dippoldiswalde an Sehens wertem haben, trägt den Stempel seiner Urheberschaft oder Sntstehnng,zeit an sich, d. h. nicht alle, ist in seiner ursprünglichen Form so unorrsehrt erhalten, daß man ohne «eite«» annrhmen kann, so und nicht ander» ist er seiner zeit entstanden. Manch» Bauwerk unterlag de« Zahn der Zeit oder zu« Teil der Macht der zufällig obwaltenden Verhält nisse, die zur verändnung seiner Instand» führten; «anch» muhte sich operattve Eingriffe gefallen lassen, wieder andere wurden, «eil besondere Bedürfnisse dazu zwangen, mit weiser Ueberlegung und in bester Absicht «ine« Umbau unterzogen und schließlich (dar Ei will ja ost klüger sein al» die Henne) hat » auch Leute gegeben, bi« da glaubten berufen zu sei«, alt« Meister korrigieren zu müssen. Durch all solch» Zutun kamen manche Bauten schließ, lich in einen Zustand, der den Beschauer in seiner ve- trachtring und Beurteilung irr« macht« oder vor Rätsel stellte, deren Lösung von Jahrzehnt zu Jahrzehnt schwie riger wird, da di« Vorgänge selbst und die hierfür seiner zeit maßgebend» Gründe in» vergessen geraten und ver loren gehe«. Solche nachträglich« vauoorgänge werden als» zur Vorspiegelung falscher Tatsachen. Nicht nur hier, sondern aller Orten sind derartige Unstimmigkeiten zu erkennen und » ist wohl Zeit, in unserer Stadt einmal Umschau zu halten und sestzußellen, «a» an solchen Fälschungen vorhanden ist, den Gründen nachzugehen, die di« Veranlassung dazu gewesen sind, nm dadurch Aufklärung solch baulicher Unrichtigkeiten zu schassen. Wenn auch den Kunstverständigen und Architekten nicht» neue» gesagt werden kann, so ist » doch jedenfalls für den Laien und manchen Dipps« Einwohner von Interesse, auf solche vorhandenen Einzelfälle ausmerksam gemacht zu werden. Hierzu einig« Beispiel«: l. Zunächst über di« Stadt im allgemein«». Sie zeigt ein viel jüngere» Gesicht al« ihr bei ihrem AVer zukommt, denn st« ist um dar Jahr 1000 gegründet, «urde schon 1266 al» Stadt mit Bürgerrechten urkund lich genannt und 1360 befestigt. Sie war in den Kriegen vielen Zerstörungen unterworsen und wurde durch große Brände öfter total eingräschert, so daß sie immer oon Neue« aufgrbaut »erden mußte, dadurch erhielt sie von Fall zu Fall ein neu», der herrschenden Zeil ent sprechende, Gepräge. Nur wenige Bauten, dir Kirchen, da» Schloß und Nathan» sind al» Zeugen längst vergan gener Zeitepochen erhalten geblieben. Der jetzige bauliche Zustand ist in der Hauptsache infolge der Brände im vorigen Jahrhundert entstanden. Daher gewährt Dippoldiswalde einen viel jüngeren Anblick al» manch anderes Prootnzstädtchen, obwohl » die letzteren a» Alter «eit überragt. . 2. Wir »issen, daß das Rathaus Ende de» 15. Jahr hundert» spätgotisch erbaut, daß der Nordgiebel nach dem Brande von »540 in deutscher Renaissance errichtet und der Turm 1868 ausgesetzt »urde. Die drei großrn Fenster der Ostfront mit ihren slachen Stichbogen gehören also nicht in die Lntßehungrzeit des Gebäude», sondern sind ohne architektonische» Verständnis im Jahre 1855 beim Saalbau eingebrochen worden. Wetter »urde da« Portal der östlichen Langfrout nach der Heningasse zu erst bei Gelegenheit de» inneren Rat- hausumbau» unter Bürgermeister Weißbach im Jahre 1907 etngrmauert, nachdem es jahrelang im städtischen Bauhof« auf dem Plan gelegen hatte. — Es ist 1543 «nlstanden und stammt au» dem früher Lessingschen, jetzt .Schneidermeister Adlerschen Hause Nr. 21 am Markt, wurde beim Lau des dortigen Geschäft,lokales beseitigt und glücklicher »eise von der Stadt in Ver»ahrung ge nommen. Da» ursprüngliche Ostportal hat vor einiges Jahren al» ktngang»tür zum Ralhaurhose Verwendung gesunden, leider mit einer nicht dazu passenden Zinnenabdachung. 3. von der Altenberger Straße au» hat man beim An blick der Schul-Turnhalle da» Gefühl, al» stünde man «ine« gutgekleideten Menschen gegenüber, dem die Füße fehlen. Dar 1876 erbaute Gebäude macht in seinem Aeußeren durch wohlabgewogene Verhältnisse einen architektonisch günstigen Eindruck, der indes» durch den fehlenden Sockelunterbau wesentlich beeintrüchtsgt wird. Zur Ehrenrettung de» Erbauer« sei gesagt, daß dieser dem Gebäude bet der Errichtung selbstverständlich einen Sockel und zwar oon ungefähr 1,0 Meter Höhe gegeben hat. Da» Gelände zwischen Schule und Garküche lag da mal», die Gärten de, NeNor Nadler und Kantor Tronicke (««Ich« ebenso wie die Mädchenlehrer Engelmann und Dreßler im Schulgebäude wohnten) umfassend, tiefer und «ar bestimmt al» Turnplatz zu den Freiübungen für die Kinder zu dienen. Später legte man auf den „Spielplatz" großen Wert. Deshalb wurde im Jahre 1911 dieser tiefer liegende Turnhallenvorplatz bis zur Höhe de» vorderen Spielplatzes ausgesüllt ohne Rücksichtnahme aus die Turnhalle, deren Sockelbau samt der großen Freitreppe verschwand, so daß da« Gebäude der Verunstaltung anheimsiel. 4. Infolge.Nichtbeachtung überlieferter baulicher Schön heitswerte ist da» Hau«, Niedertorplatz Nr. 299, im niederen Teile seine» Mansardenduch» mit schwarzglalterten Dachziegeln (zum Uebersluß noch mit den Buchstaben A. H. in hellgelbem Material) etngedeckt worden. Da» der Biedermeierzeit entstammende Gebäude hatte ursprünglich rote Dachdrckung, wie noch jetzt die übrigen Gebäudo-M» dieser Zeit (erste» Drittel de» vorigen Jahr- hundert»), z. V. da» Bürgermeister Voigtsche Hau», vader- gasse Nr. 36, so stimmungsvoll zeigen. Da» eingangs genannte Hausgrundstück hat durch diese tetlweis« Dachumdeckung den Zustand seiner Ursprünglich- leit eingebüßt und seinen Retz verloren. 5. In drr östlichen Nebengasse vom Markt nach de« Niedrrtor befindet sich al» Hofeingang ein alte» Portal, dessen bekrönend» Ueberbau nebenan eingemauert ist. — Dieser interessant« Vaurest, der den doppellöpsigen Reichs- adler, di« Kürsch werter und den sächsischen Rautenkranz in verkehrt» Form zeigt, bildete ursprünglich den Haupt- etngang de» um die Mttte des 16. Jahrhundert» erbauten sogenannten Kommandantenhaus», welche» Anfang der 50er Jahre im vorigen Jahrhundert abgetragen und an dessen Stell« da» jetzt Retchelsche Hausgrundstück Nr. 45 am Markt errichtet wurde. Drr alte Herr H. H. Reichel hat in richtiger Erkenntnir und Achtung vor dem geschtcht- ltchen Wert diese» Bautötlr» denselben nicht dem Schutt- Hausen überliesert, sondern der Nachwelt erhalten, indem er ihn al» Hoseingang v» «endete. 6. Uebrr den Poststraßen-S tein, der auf der Altenberg» Straße an der Abzweigung de, Psortenbergr» steht, sei nur gesagt und festgestrllt, daß er zwar noch tm alten Zustande mit dem handwerksmäßig eingemeitzelten ver- schlungenen A.R.— August Re», der Jahreszahl 1723 und dem Posthorn erhalten ist, daß er aber früher dort stand, wo dle Paßstraße von Dierden in Dippotdtrwalde «inmündete, unmittelbar an den Scheunen, die vor ihrer Einäscherung durch Blitzschlag im Jahre 1859 nahe drr Stadt, di» vor dem Hanse des Landwirt Geschu, standen, nach dem Brande aber, von den Wohnhäusern entsernt, «etter draußen an der Reinholdshain» Straße wird» ausgebaut «erden mußten (jetzt hat man die Wohnungen wieder an die Scheune angebaut). Al» der auf der Brandstelle angelegte Garten seine Einfahrt zwischen der Dresdner und Reinholdshain» Straße erhielt, «urde dieser Poststraßen-Stein weggenommen und oom Amtrstraßenmetster Dietze nach dem jetzigen Standort »ersetzt. 7. Die zu Beginn der 13.Jahrhundert» erbaute Nicolai- ktrche ist nicht nur als Begräbnt»-, sondern auch als Predigtkirche in Benutzung gewesen, das beAeisrn die noch vorhandene Kanzel sowie die früher dagewesrnen Emporen und die in den Arkadenbogen eingebaut >e«esenen Bet- stübchen, di« in Famtltenbejitz «aren. Dies Gotteshaus hat sich viel gefallen lassen müssen. 1871 wurde uni» Superintendent Opitz die tm Triumph bogen aus einem Querbalken stehende Kreuzigung»- gruppe weggenommen, die vor einigen Jahren inlrt- mißlich in einem Artabenbozen wieder ausgestellt worden iß. Ferner wurden zur selben Zeit die aiten Beichtstühle und Wandkäßen mit Ertnnerungrschrtslen, Bildern und Kränzen, sowte die Betstübchen beseitigt (die zuletzt ver schwundene gehörte vr. Wohlfahrt). 1882—1883 oer- fielen die Emporen und noch »tAe» andere demselben Schicksal. Darüber set ausführlich Folgende» berichtet: Auf Grund eines Gutachten« de» Verein, für kirchliche Kunst wurde im Jahre 1832 tm Auftrag des Evangei.-Luth. Landes- konsislortums der damals al» bester Kenner der Mittel- alterltchen Baukanst geschätzte Architekt Möckel in Dresden mit der „stilvollen Renovation" der Nlcolailirche betraut, die im öffentlichen Interesse lag, da diese Kirche ein Kunstobjekt von hohem geschichtlichen Wert ist, welche» in dieser vollkommenen Erhattung seiner Geschioßenhett und Ursprünglichkeit in unserm vateclande einzig dasteht. Dies« Renovation bestand in Folgendem: a) In der Auf- und Wegnahme aller im Innern beftnrlichen Srustplatten und Grabsteine. Gat erhallen« wurden an den äußeren Umfassungen ausgestellt, einig« davon später wieder im Innern, an den östlichen Siirnwänorn der Seit.njchisfe befestigt, stehen also jrtzt nicht mehr an ihrem eigentlichen Platze. b.) In der Abtragung der drei, am Weßgiebel üb« einander angeorvneten Emporen mit ihren 85 Jahrgang Treppenaufgängen bj» nach dem Dachbodens Durch diese fehlenden Einbauten tritt un» jetzt die öde, weltliche Abschluß«and de» Mittelschiff«» «nt- gegen. o) In der Beseitigung der alten, großfrldrigen Holzdecke de» Mittelschiffes mit den riesigen Bildern, die Höllenfahrt und Himmelfahrt Ehrtsti darstellend. Dasür ist eine grßäbte Brettdeck- mit immitierten kleinfeldrigrn Kassetten belegt, holz- farbig gebeizt, angeschlagen worden. ck.) In der Auswechselung der alten kleinscheibigen Sprossen- und Butzenschetbenfenster mit ihr» Hellen, weißen Verglasung durch buntfarbige moderne Fenster, die in ihrer zierlichen Filigran arbeit durchaus nicht zu den massigen schmucklosen Innenflächen passen. o.) In de« Ueberputzen der durch die ganze Höhe de» Westgtebel» im Mittelschiff reichenden, auf- gemalten Chrtstophoru»-Ftgur (13Meterhoch) au« dem Anfang des 15. Jahrhundert». Dafür iß die «enig erhaltene Bilderreihe, die Ge schichte de» heiligen Nicolau» darstellend, «elche sich unter dem beseitigten Wandputz oorfand, «halten geblieben. von der ungenügenden farbigen Aurschmückung zu bertchtru, zu welcher schließlich die Mittel fehlten, würde mich abseits meine» Themas führen, nur set da rauf hingewlesen, daß der im Anfänge des 16. Jahr- hundnt» in Früherrenatsancr geschaffene, mit reichem Schnitz««! in farbiger Behandlung »ersehene Flügel altar, der in den Jahren 1908—1913 durch Vermittlung Sr. König!. Hoheit de» Prinzen Johann Georg in dankens wert» Weise in Stand gesetzt, beziehentlich oon allem nebensächlichen Bei««! befreit und mit reich« Vergoldung erneuert wurde, in seiner neuen Erscheinung zu mächtig gesteigert« künstlerischen Wtrtung !ommen würde, wenn er in einer «ürdtgen, farbenfreudigen Umgebung siündr. Obwohl sich die Emporen und di« alte Holzdeck« nicht mehr tu gutem Zustand vefanden, war doch ein« bau liche Instandsetzung derlelbrn möglich; außerdem sehlt un» nun eine »höhte Sänger- und^Orgelbühne, so«te der Aufgang nach dem Dachboden; sodaß »tr vielen Grund haben mit der Möckel',chen „lttivollen Renovation" unzu frieden za sein, denn der mächtig« Jnnrnraum wirkt jetzt durch seine Leere und ungenügende farbige Stafsterung geradezu «lältrnd aus den Beschauer, während der frühere Zastand mit seinen buntfarbigen Einbauten und seiner buntbemalten Holzdeck« diese Sttmmungrioßgkrit nicht auf- kommen ließ. Die vttslossenen Jahrhunderte hatten das Ganze mit einem ausgleichenden Altersschlei« überhaucht, drr di« stilißischrn Verschiedenheiten zwischen dem ursprünglichen Bau und den jüngeren Einbauten abschwächte und für den Beschauer genießbar machte. Daß ein so geschulter und »fahren« Baukünstler, wie Herr Architekt Möckel, solche Widersprüche und Un- sltmmtgkeiten in unsere ehrwürdige Basilika bringen konnte, können wir heute nur verstehen, wenn wir un» oergegen- wärttgen, daß dieser hervorragende Künstler damals im Banne seiner Zeit, inmitten der herrschenden Kunst- anschauungen stand. — Gegenwärtig, wo uns di« Hri- malschutzbcßrrbungen andere Wege gewiesen und da» oön unser», Vorfahren Ueberkommene achten und schätzen gelehrt haben, würde diese „stilvolle Renovation" ßcher- lich zu einer, dos Alte schonenden und «haltenden In- standsetzung geworden sein. Rach oies« Abschweifung sind als weitere Beispiele folgende anzuführen: 8. Zunächst noch einmal die Nicolaikirche und zwar der am Ostgtebel des südlichen Seitenschlffc» besinditche An bau. Dieser fleht zur Zett tn graßem Widerspruch zu seiner Verwendung. Als Begräbntsgrust drr Pauli und Zahnschen Ge schlechter tm Barock,til des 17. Jahrhunderts errichtet, wurde st« später auch noch von der angeheirateten Lessingschen Familie mttbenutzt (daher heißt ße noch immer tm Volk»- munde: die „Lesstngsche Gruft"). Im Jahre 1887 waren ote Säcge zersatien and sanitäre Bedenken drängten zur Abstellung oes dadurch heroorgerufenen unhaltbaren Uebetstanves. deshalb wurde ote Grusi zugesütlt, die im Vorraam befindlichen ölutptüren 1897 an dte Außen wände versetz! una die beiden Jnnenräume dem Toien- beltmetster ats Geräleschappen tn Benutzung gegeben. Dadurch wurde ein Widerspruch zwischen Gefäß und Inhalt, zwischen Form und Zweck geschaffen, der den interessanten Anbau herabwürdlgt, denn ein Kunstwerk, anch Bauwerk, wenn es wirklich schön sein soll, muß vor allem wahr sein, d. h. das Aeußere muß dem Innern, dem Zweck, dem es diene» soll, entsprechend gestaltet sein und oa» tß tn vorliegender Sache nicht mehr der Fall. Darum das Unpassende der jetzigen Benutzung. Wie hier, so unterliegen beoauerltcherwetse ästhetisch abgewogene Schüpsungen ost den nüchtern«» Bedürf- ntss«n der Zeit. (Schluß folgt.)