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Von Carl Maria v. Webers Oper „Euryanthe“ ist wenigstens die Ouvertüre leben diger Besitz: sie begegnet uns als glanzvolles Musikstück immer wieder auf den Konzert programmen. Ob die Oper wirklich ihres angeblich schlechten Textes wegen nicht doch für die Bühne zu retten ist, werden dahingehende Versuche demnächst zu beweisen haben. Freuen wir uns zunächst der Ouvertüre, auf die die Worte Schumanns zutreffen: „Eine Kette glänzender Juwelen von Anfang bis zum Schluß. Alles höchst geistreich und meisterhaft. Die Charakteristik der einzelnen ..wie herrlich — und wie klingen diese Instrumente! Aus der innersten Tiefe sprechen sie zu uns.“ Sie sprechen zu uns von deutschem Rittertum, das gleich im ersten festlich-stolzen Bläserglanz des Marsch-Hauptthemas beschworen wird. Daß man nicht nur zu kämpfen, sondern auch zu lieben wußte, zeigt das zweite Thema, die Liebesweise Adolars, das Lied der Sehnsucht nach Euryanthe, der Geliebten. In den Geigen blüht es in echt Weberschem Schwung auf. Die Durchführung wird von einem Fugato ein geleitet, dessen Thema unverkennbar aus dem Hauptthema abgeleitet ist. In der Reprise bedeutet das in neuem Glanz aufstrahlende zweite Thema, unwiderstehlich fortreißend, eine interessante Variation der Sonatenform. Als Beethoven seine zweite Sinfonie schrieb, im Jahre 1802, hatte er Schweres zu be stehen. Der damals Zweiunddreißigjährige wurde sich immer deutlicher bewußt, daß sein Gehörleiden unheilbar sei, daß er, der Musiker, ertauben würde. Was ihn damals bewegte, hat er in dem „Heiligenstädter Testament“ vom 6. Oktober 1802 niedergeschrieben. In der Sinfonie ist davon nichts zu spüren. Sie hat einen heiteren Grundton. Rätsel des schöpfe rischen Menschen ... Zu verstehen vielleicht, wenn man die langsame Einleitung des ersten Satzes als einen Niederschlag jener trüben Stunden betrachtet, ein in der Hauptsache düsteres Seelenbild, aus dem der Komponist nur allmählich den Übergang in die Heiterkeit des Allegro-Teiles gewinnt: das erste Thema steigt im Baß frisch und lebendig empor, das zweite Thema mit seinen Bläserterzen mutet wie ein flotter Marsch an. Der verminderte Septimenakkord gebietet diesem sorglosen Voran Einhalt, geheimnisvolle Streicherfiguren führen zu einem apodiktischen Sforzato-Unisono, das wie eine neue Warnung erklingt. In der Schlußgruppe taucht denn auch noch einmal das d-moll aus der Einleitung auf. Die Durchführung ist gekennzeichnet durch einen raschen und farbigen Wechsel der Tonarten, in denen das Hauptthema abgewandelt wird. Erst spät wagt sich das zweite Thema hervor, reizvoll von Trioien umspielt, und leitet zur Reprise über. Das folgende Larghetto ist voll süßen Wohlklangs. Es weckt die Erinnerung an Mozart, und es läßt Schubert ahnen. Zuerst singen die Violinen ein inniges Lied, dann greifen es die Klarinetten auf, und schließlich erhebt sich zwischen beiden ein ruhiges Nacheinander von Frage und Antwort, in das die andern Holzbläser und die Hörner bekräftigend eingreifen. Eine neue Melodie schließt sich an und zerrinnt in gleitende Zweiunddreißigstel, die dem Satz einen Anflug von Grazie geben. Die Durchführung greift sie auf und verbindet sie mit Motiven des Hauptthemas, die vielseitig abgewandelt werden. Auch in der Reprise wird das Hauptthema neu belichtet und am Schluß zu fast hymnischer Größe geführt. Der dritte Satz ist das erste Muster des typisch Beethovenschen Scherzos, das Finale gibt sich nach einem ersten „Umnutsakt“ ganz dem ungezwungenen, heiteren Musizieren hin. Johannes Brahms läßt seine erste Sinfonie mit einer langsamen Einleitung beginnen, wie es Haydn regelmäßig tat, wie es uns auch in Beethovens zweiter Sinfonie begegnet. Was bei den Klassikern aber lediglich kontrastierender Auftakt ist, bekommt bei dem Klassi- zisten eine andere Bedeutung. In der Einleitung drängt Brahms das Motivmaterial des ganzen ersten Satzes zusammen. Daher gibt es auch keinen eigentlichen Kontrast zwischen den beiden Teilen, das Allegro beginnt mit dem gleichen grüblerischen chromatischen Motiv, aus dem sich dann das erste Thema kraftvoll, als wolle es die trüben Gedanken abschütteln, herauslöst. Selbst das zweite Thema steht noch im Banne jenes Motivs. Auch darin unter scheidet sich die Brahmssche Sinfonie von der klassischen, daß die „Lösung“ nicht schon jetzt, sondern erst im Finale eintritt. Ganz wie bei Bruckner. Darum sind die Mittelsätze nur die Brücke zum Finale, das in seiner Einleitung noch einmal an den ersten Satz erinnert, sich zu einem Schmerzensausbruch des ganzen Orchesters steigert, bis dann das Horn seine tröstliche Stimme erhebt. Ein Alphorn-Motiv reißt das dunkle Gewölk auseinander, die Sonne bricht durch. Ihr Thema blüht im satten Ton der Streicher auf, an das Freudenthema aus Beethovens Neunter Sinfonie erinnernd, das Licht dem Dunkel folgen lassend und damit eine neue Variante des Urthemas aller Sinfonik darstellend. Dr. Karl Laux