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ZUR EINFÜHRUNG An Weihnachten 1944 starb in Dresden der ehemals in Dresden hochangesehene, von den Nazis aber zum Schweigen verurteilte Komponist J. G. Mraczek, dessen Werk lebendig zu machen, heute zu unsern Ehrenpflichten gehört. Seine sinfonische Burleske „Max und Moritz“ zählt zu den Werken der Strauß-Nachfolge, wahrt aber doch ihr eigenes Ge sicht. Mraczek läßt sich hier an Kühnheit der Or chesterpalette von seinen Zeitgenossen nicht in den Schatten stellen: seine Partitur gehört zu den kom pliziertesten, die einem Dirigenten vorgelegt werden können, sie erfordert die Virtuosität eines in allen Sätteln gerechten Orchesters. Wilhelm Büschs un sterbliche Lausbuben werden durch Mraczek kon zertsaalreif. Einer kleinen Studie über den Kompo nisten von Erich H. Müller entnehme ich folgende Einzelheiten: es handelt sich um ein Variationen werk, das durch einen Prolog und einen Epilog ein- geralimt wird. Der Prolog stellt vier aphoristisch knappe Themen auf, die sich in den folgenden sieben Variationen (den sieben Streichen der beiden Laus buben entsprechend) mit je einem weiteren Thema in kontrapunktisc.il oft gewagter Weise vereinigen. Von besonderer melodischer Schönheit ist die Schil derung des Hühnerhofes der Witwe Bolte, sehr ge lungen die Charakteristik von Meister Böck (Klari nettenthema zu meckernder Streicherbegleitung), voll köstlichem Humor die Käferszene bei Onkel Fritz. Die Burleske wurde am 1. Dezember 1911 in Brünn uraufgeführt und fand dann vor allem in Arthur Nikisch einen warmen Fürsprecher. Besonders erfolgreich war das Werk in Amerika, wo sich Karl Muck und Friedrich Stock für Mraczek einsetzten. Eine Riesenpartitur zeichnet die Eintragungen seiner Autobiographie auf. der Richard Strauß den Titel „Ein Heldenleben“ gab. Das Werk ist nun ge rade 50 Jahre alt — die Uraufführung fand unter Leitung des Komponisten am 3. März 1899 in einem Frankfurter Museumskonzert statt. Es gehört zu den seltener aufgeführten Tondichtungen des Meisters, vor allem seiner enormen Besetzung wegen. Verlangt es doch nicht weniger als kleine Flöte, drei große l-'löten, vier Oboen, drei Klarinetten, drei Fa gotte, acht Hörner, fünf Trompeten, drei Posaunen, Tenor- und Baßtuba, Pauke, kleine Militärtrommel, große Rührtrommel, Becken, große Trommel und den entsprechend großen Streichkörper. Man spürt aber auch das Mißverhältnis zwischen instrumen talem Aufwand und gedanklicher Substanz. Kritik und Publikum standen zunächst ratlos davor. Wir, die wir die politische und künstlerische Entwicklung seitdem erlebt haben, wissen heute, daß das Ge bäude, das da errichtet wurde, der festen Stützen entbehrte. Schon in seiner Strauß-Biographie von 1934 hat Fritz Gysi darauf hingewiesen: „Man kann das ,Heldenleben‘ als ein Werk der Selbstverteidi gung betrachten, und gewiß erleben wir hier die stärkste und rücksichtsloseste Ausprägung einer rein persönlich-subjektiven Kunst. Aber über alles Persönliche hinaus ist das Werk zugleich ein Zeit dokument. Der heroische Gestaltungswille einer ganzen Epoche verkörpert sich darin, und man er fährt hier etwas von den Maßlosigkeiten und Ver heerungen der Denkmalsucht in der Musik. Wäre diese Straußsche Eroica nicht in München begonnen worden (Strauß hat sie in Charlottenburg beendet), möchte man sie am liebsten als eine wilhelminische Schöpfung bezeichnen. Ja, ihre Orchesterpanzerung und ihr herrischer Tritt läßt noch weitere Vermu tungen zu: der in diesem Werk entfachte, ganz un geistige Kriegslärm (aktiviert durch aufreizende Trompetenfanfaren und andauerndes Trommel- rühren) deutet auf offenkundigen Martialismus.“ Es ist gut, das Werk einmal von diesem Standpunkt aus zu betrachten; man wird sich darum vor seinen Schönheiten nicht zu verschließen brauchen. Sie liegen in der geist- und witzvollen Art, mit der des Helden Widersacher abgetan werden, ihr Gekeife in den Holzbläsern, ihre Besserwisserei in den leeren Quinten der Tuben (nach einer Mitteilung, die mir Ernst Boche ginmal machte, liegt dem Motiv sogar der Name eines bestimmten Kritikers zugrunde), sie liegen in dem heldischen Es-dur, das Sieg und Triumph bedeutet, sie liegen in den lyrischen Par tien, in dem blühenden Ges-dur der Liebesszene (nachdem die Helden-„Gefährtin“ vorher als recht launisches Wesen geschildert worden war), in der Verklärung des Schlusses, in die dieses Heldcnleben einmündet. Es sollte dann fünf Jahre später in der „Sinfonie domestica“ noch einmal von einer anderen Seite her belichtet werden. Dr. Karl Laux