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verwebt“. Diese Technik der innigen Verschmelzung von Orchester und Solo-Instrument ist in Schumanns Konzert tatsächlich besonders stark ausgeprägt. Der ursprüngliche Konzertgedanke, beide Klangkörper einander gegenüberzustellen, ist hier in ein Miteinander verwandelt. Dadurch wird eine überraschend einheitliche Stimmung erzielt. An einer Stelle zu Beginn des ersten Satzes z. B. verstärken die Violinen eine versteckte Melodie der Kiavierfiguration. Oder im Intermezzo wird das hingetupfte Thema in reizendem Frage- und Antwortspiel zwischen Orchester und Klavier vorgetragen. Überhaupt ist die dialogische Führung beider Partner in dem ganzen Werk meisterlich durchgeführt. Mit einem rhythmisch scharf profilierten Motiv eröffnet der Solist das Konzert. Den eigent lichen Hauptgedanken hingegen intoniert das Orchester. In seiner freien, phantastischen Gliederung und der schmerzlich zwischen Moll und Dur schwankenden Harmonisation ist er das Urbild eines romantischen Themas. In der Überleitung vom zweiten zum dritten Satz taucht das schwermütige Anfangsmötiv dieses Themas noch einmal auf, wird aber von farbig leuchtenden Klavierakkorden abgewehrt, die die freudige Stimmung des Finales vor bereiten. Wie eine Fanfare erklingt das Thema des letzten Satzes im Solo-Instrument. Die gestaute, sich in einem einzigen Anlauf befreiende Rhythmik verleiht diesem Hauptgedanken, sein charakteristisches Gepräge. Das rhythmische Element (Synkopen u. a.) spielt in dem ganzen Konzert eine entscheidende Rolle. Im Finale kommt auch das spielerische, virtuose Moment richtig zur Entfaltung, während sich die prachtvolle Kadenz des ersten Satzes von jeder äußerlichen Bravour fernhält und sich nur auf eine phantasievolle Beleuchtung der Themen beschränkt, eine Seltenheit in der Konzertliteratur. Johannes Paul Thilman Peter Iljitsch Tschaikowski (1840—1893) hat sich zu seiner 5. Sinfonie in e-Moll einmal in einem Notizheft selbst geäußert, und man kann diese Bemerkung als Hinweis auffassen, gleichsam als das Motto, das über diesem Werke stehen könnte. „Vollständige Beugung vor dem Schicksal oder, was dasselbe ist, vor dem unergründlichen Walten der Vorsehung.“ Mit der Sinfonie, die seine drei letzten großen Sinfonien einleitet, war Tschaikowski nicht zufrieden, weil sie dem Inhalt einen zu breiten Raum gönnt und dabei die künstlerische Form etwas vernachlässigt. Dafür spricht die Brief- stelle: „Nach jeder Aufführung meiner neuen Sinfonie empfinde ich immer stärker, daß dieses Werk mir mißlungen ist. Die Sinfonie erscheint mir zu bunt, zu massiv, zu künstlich, zu lang, überhaupt unsympathisch.“ Wir wundern uns über die Schärfe des eigenen Urteils, wir bewundern seine schonungslose Selbstkritik, die wir heute nicht mehr teilen. Das Werk ist viersätzig. Im ersten Satz leitet ein Thema das Ganze ein, welches gewissermaßen als Leitmotiv in allen vier Sätzen immer wieder erscheint. Der eigentliche erste Satz bringt die beiden sehr gegensätzlichen Themen, die die Form der Sonate verlangt. Der zweite Satz versucht, von dunklen Klängen zu lichten Höhen emporzuschwingen, der Schluß verklingt in Ruhe und Harmonie. Der dritte Satz heißt „Valse“, also ein eleganter, weltmännische, Walzer mit französischem Einschlag, der ein einziges Wiegen und Gleiten darstellt. Der Schlußsatz, das Finale, ist ein toller Wirbel der verschiedensten Stimmungen: ein auf reizender Tanz, ein eilig hastender Galopp, ein jauchzender Wirbel, ein hemmungsloses, brutales Gestampfe, das am Schluß in eine schmetternd-glänzende Fanfare mündet, die dem düsteren Werk einen überraschenden, aber um so wirkungsvolleren optimistischen Aus gang verleiht. Johannes Paul Thilman 6098 Ra III-9-5 560 650 ItG 009/60/35