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Franz Schubert (1797—1828) Schubert ist in der bedrückenden Wiener Atmosphäre der Metternichzeit aufgewachsen. Zu spät geboren, um die Stürme der Französischen Revolution, und zu früh dahingegangen, um den erneuten Aufstand der freiheitsliebenden Menschen in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch miterleben zu können, mußte er sein ganzes Leben unter ungünstigen sozialen Verhält nissen verbringen. Diese äußeren Gegebenheiten finden in einigen seiner Werke ihren Niederschlag, etwa in der ,,Unvollendeten“ oder in der ,,Winterreise“. Doch fand auch Schubert immer wieder Töne echter Lebensfreude. Wenn die Wirklichkeit für ihn auch wenig Erfreuliches bot, so hat er doch die Hoffnung auf die Möglichkeit eines besseren Lebens nicht auf gegeben. Wie hätten sonst die vielen, von heiterem Musikantentum erfüllten Lieder und Tänze und Werke, wie die C-Dur-Sinfonie, entstehen können. Schubert komponierte die ,,Unvollendete“ in einer Zeit schwerer gesundheitlicher Schädi gungen (1822/23). Die äußere Misere jener Jahre spiegelt sich in dieser Sinfonie besonders stark und eindringlich wider. — Warum der Meister das Werk nicht vollendete, ist nicht bekannt. (Entwürfe zu einem dritten Satz sind uns erhalten.) Das Erstaunliche ist, daß die Sinfonie trotzdem einen einheitlichen und geschlossenen Eindruck bietet. In ihrer Einmalig keit ist sie ein weitaus ,,vollendeteres“ Werk, als die sechs ersten Sinfonien Schuberts, die sich im Rahmen Haydnscher und Mozartscher Überlieferung halten. Die Einheitlichkeit und Geschlossenheit der 8. Sinfonie ist auf die völlige Übereinstimmung von Inhalt und Form zurückzuführen. Das von ergreifender Poesie erfüllte Allegro der ,,Unvollendeten“ ist aufs innigste verbunden mit der wundersamen, von den tiefen Streichern vorgetragenen Einleitungsmelodie. Der ganze erste Satz baut sich auf dieser Melodie und zwei Gesangsthemen auf. Stellen ver zweifelten Aufbegehrens und düstere, trostlose Episoden erwachsen aus diesem thema tischen Material, das trotz aller Verschiedenartigkeit doch aus ein und derselben Stimmung geboren ist. Die beiden Sätze der h-Moll-Sinfonie sind in der gleichen Weise aufeinander abgestimmt, wie die einzelnen Themen des Allegro. Dem Andante geht genau wie dem ersten Satz ein einleitender Gedanke voran, der für den Verlauf des ganzen zweiten Satzes entscheidend wird. Er ist die Urzelle, von welcher der blühende Reichtum der Melodik seinen Ausgang nimmt. Doch fehlen auch dem Andante nicht die kräftigen Ausbrüche einer kaum verhalte nen Leidenschaftlichkeit. Der ganze Satz ist das glänzendste Dokument für die Tiefe des Schubertschen Geistes, für die erstaunliche Vielseitigkeit einer Natur, in welcher neben der Naivität des einfachen volksverbundenen Menschen auch jene Größe der Empfindung wohnt, die Beethoven eigen ist. Die h-Moll-Sinfonie war nach ihrer Entstehung über vierzig Jahre verschollen. Doch hat sie seither eine Berühmtheit erlangt, wie sie nur wenig Werken der Musikliteratur zuteil geworden ist. Johannes Paul Thilman Robert Schumann (1810—1856) Schumann, der Meister der Kleinform, schenkte uns eines der herrlichsten Klavierkonzerte der Musikliteratur. Bewußt geht er andere Wege als die zeitgenössischen Komponisten. „Ich kann kein Konzert schreiben für Virtuosen, ich muß auf etwas anderes sinnen“, schreibt er an seine Frau. Und das war ihm aufs beste gelungen, als er 1840 in Leipzig die „Phantasie für Klavier und Orchester“ vollendet hatte. Diese Phantasie, später als erster Satz des Konzertes verwendet, hat Schumann verschiedenen Verlegern vergeblich angeboten. Wie weit vorausblickend waren diese Leute, da sie mit ihrer Ablehnung der Musikwelt das nach malige a-Moll-Konzert retteten. Die beiden anderen Sätze komponierte Schumann 1845 in Dresden dazu, und Clara Schumann spielte das Konzert im selben Jahr zum ersten Mal. Nach einer Probe schrieb sie in ihr Tagebuch „Das Klavier ist aufs feinste mit dem Orchester ANNEROSE SCHMIDT