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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Sonnabend, 20. Februar 1960, 19.30 Uhr Sonntag, 21. Februar 1960, 19.30 Uhr 5. ZYKLUS-KONZERT ..Musik von großen Meistern — um große Meister“ GASTD IRIG E NT SOLIST Kurt Masur, Schwerin Günter Siering, Dresden (Violine) Vittorio Giannini geb. 1903 Antonio Vivaldi 1675—1741 Frescobaldiana (Nach Orgelstücken von Frescobaldi) Toccata Aria „La Frescobalda“ Fuga Konzert für Violine und Orchester g-Moll op. 6, Nr.l Allegro — Grave — Allegro Claudio Monteverdi 1567—1643 „Die Krönung der Poppea“ (Suite aus der gleichnamigen Oper, bearbeitet und zusammengestellt von Ernst Krenek) Sinfonia — Maestoso — Corrente - Sarabande — Marcia — Intermezzo Arcangelo Corelli 1653—1713 „La Folia“ Variations Serieuses für Violine und Orchester Richard Strauss 1864—1949 Divertimento nach Klavierstücken von Francois Couperin Die Geisterseherin Dudelsack von Choisy (Das schlaue Lenchen — Süße Janneton — Dudelsack von Taverny) Wunderlich, häßliche Angewohnheiten (Der Kobold) Die klagenden Grasmücken Das Siegeszeichen (Der Aal — Die jungen Herrn — Der scheue Hänfling) T aschenspielerkunststück Die irrenden Schatten Spielereien (Das Spazierstöckchen) ZUR EINFÜHRUNG Girolamo Frescobaldi war im 17. Jahrhundert der größte italienische Virtuose und Komponist für die Orgel. Er wurde 1583 in Ferrara geboren und ist 1643 in Rom gestorben. Der damals berühmte Organist von Ferrara, Luccasco Luzzaschi, hat ihn musikalisch aus gebildet. Um die Zeit von 1607 ist Frescobaldi vermutlich in den neben Italien seinerzeit musisch führenden Niederlanden, vielleicht in Mecheln gewesen — 1608 sind Madrigale von ihm in Antwerpen gedruckt erschienen. Abgesehen von kürzeren Aufenthalten in Mantua und Florenz war er von 1608 bis zu seinem Tode als Organist an der Peterskirche in Rom tätig. Mit seinem rubatohaften Vortrage (rubato = freie, ,,geraffte“ Vortragsweise), den er den Madrigalisten ablauschte (Madrigal = altes Chorlied), hat Frescobaldi eine neue, instrumentale Ausdruckskunst eingeleitet. Höhepunkte seines Schaffens sind vor allem die freizügige Toccata, das kontrapunktisch strenge Ricercare (Vorgängerin der Fuge), die fünfteilige Kanzone (Vorform der Sonate) und das bizarre Capriccio. Sein virtuoses Orgel spiel zog so mächtig an, daß seine Verehrer ihm von Stadt zu Stadt folgten. Als er sich in Rom zum ersten Male hören ließ, lauschten ihm in der riesigen Peterskirche nach zeit genössischen Berichten nicht weniger als 30000 (!) Menschen. Vittorio Giannini, der Komponist der ,,Frescobaldiana“, ist, wie der Name sagt, von Haus aus Italiener, er wurde jedoch 1903 in Philadelphia in Amerika geboren. Nach einem Violin-Studium am Cönservatorio Reale Giuseppe Verdi in Mailand kehrte er nach Amerika zurück, studierte weiterhin Violine bei Albert Spalding, Theorie bei Marcell Rubin, lebte mehrere Jahre in Europa (Mailand und Berlin) als Komponist, ist heute Lehrer (seit 1940) an der Manhattan School of music in New York. Für seine Schwester, die bekannte Sängerin Dusolina Giannini, komponierte er den Part der Hester in einer seiner Opern ,,The scarlet 1 etter“ (Der scharlachrote Brief). In seinem Stil ist italienisches Erbgut vermischt mit dem Einfluß seines europäischen Aufenthalts — seine frühen Kompo sitionen erinnern an Verdi, Puccini und Wagner, „der einem echten Gefühl entsprungenen reichen, oft sogar überreichen Melodienfülle seiner Werke steht eine meisterhafte Hand habung der Form und der Instrumentation gegenüber (Nathan Broder)“. Für die Fresco baldiana hat sich Giannini drei Orgelstücke von Frescobaldi zum Vorbild genommen, die er mehr oder weniger frei für ein modernes großes Orchester bearbeitete: 1) eine Toccata, wechselnd zwischen großzügig freien Läufen und vollen Akkorden, 2) eine Aria „La Frescobalda“, dem Schluß-a nach also eine „weibliche“ Frescobaldi; ob in dem lyrischen Stück die Frau, die Tochter des Meisters oder eine kompositorische Form gemeint ist, wissen wir nicht, 3) eine Fuga (fuga = die Flucht, eine kontrapunktische Form). Antonio Vivaldi hat unter den Geigenfreunden längst einen vertrauten Namen. Er hat die neue Form des Violin-Solokonzertes nach Giuseppe Torelli so reichhaltig ausgebaut, daß ihn Johann Sebastian Bach — neben anderen — nachdrücklich verehrte. Bach hat sechs seiner Violinkonzerte als Klavierauszüge (gesammelte Bachausgabe Bd. 42) und mehrere als Klavierkonzerte bearbeitet. Nicht zuletzt ist es Vivaldi gewesen, von dem Bach gelern E hat, im „italienischen Stil“ zu schreiben. Auch der berühmte Flötenmeister Johann Joachim Quantz hat als Komponist von Vivaldi profitiert. Johann Adam Hiller berichtet in seinen Lebensbeschreibungen berühmter Männer: „Die Vivaldischen Konzerte hatten auf Quantz einen wichtigen Einfluß als Kompositionen. Er nahm sie sich zum Muster. 1742 ging er nach Rom, wo eben der durch Vivaldi eingeführte lombardische Geschmack aufgekommen war; dieser Geschmack ist kein anderer, als wenn von zwei gleichen Noten die erste um die Hälfte kürzer gemacht und der zweiten ein Punkt beigefügt wird.“ Vivaldis 38 Opern, seine damals zeitgemäße „Programm-Musik“ sind heute ebenso vergessen, wie seine Violin konzerte als typische Barockmusik immer aktueller werden, von seinen 80 Violinkonzerten immer neue herausgegeben werden. Seine Violinkonzerte haben nach dem Vorbild der italienischen Sinfonie, der Konzerte von Torelli und Albinoni drei Sätze: schnell-langsam- schnell. „Bemerkenswert bei den Vivaldischen Violinkonzerten sind vor allem die Trans positionen der Tutti und der Klangzauber der (langsamen) Innensätze (H. J. Moser).“