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W23S Dienstag, den 12. Oktober, abends. 1888. I» 4«ai»«d«» N«l«k»: Ktkrli-L, .... 1« U.rk ^jLLrUck- 4 >l»rtr bO?k. Limslll» liuwllrsrn: 10 kk. La—r^«Idä«i cl«attek«a keick«, tritt?o»t- rmä tüoru. LaLNnälxllnxexskvkren I ?Sr ä«v k»uw einer sespntteosu 2ei1s lrleinsr Lekrikt iv kk. Unter „Linjseinnät" äis 2«ll« KO kk. ö«i TndeU«'. n. 2iA«rL»»tr «t«pr. Lr-»«del»v»: IN^UeN v»it Lnenntun« ä«r kann- weit ^«tert^s »denkt». DreMerIomml. ^ür die Gesamtleitung verantwortlich: Gtto Vanck, Professor der (itteratur« und Kunstgeschichte. Lnnndme ron Lotivnätxunxen amnNrt« I-iixitx: Fr. Lrancirtettrr, l.'omivi«iollLr äs« t>re»äner ^ournnl»; U»a>darx - N«rU» -V,«» - l.«ipiiz N—I-L—I»n-kr»nlkfnr< ». U : //narenstein <t ^0Atrr, N«rlln - Vt»o-L»wdnrz- kr»8 t-«lp»ix-rr«nlitnrt ». H «üoedio: Auct. k»ri» l.0lläon-V«rUn-^r»n>ltllrt » « StnNxart: Daud« ct t?0 ,' Lorina /nt-a/ic/«Nt/a»i1, D §«d/ott«,' Lr»»I»n F « Dureau (Finit FabatL), SörUtt: (/. ^Mer'« ^'acd/o/Aer, N»nnov»r: O. Ledu««^, L«U« ». S : F. Darc^ ct k^o. Ner»o!>xedvr r Kvnie! ürpeäition äo» Orssäosr ^onennl», Drseäsn, ^«in^vrstrn— Ho. >0. Amtlicher Teil. Se. Majestät der König haben allergnädigst ge ruht, dem Stadtkassirer Gäbler in Altenberg das allgemeine Ehrenzeichen zu verleihen. Nichtamtlicher Teil. Telegraphische Nachrichten. Kien, Dienstag, 12. Oktober. (Tel. d. DreSdn Journ.) DaS Wiener „Fremdenblatt" sagt, die bulgarischen Wahlen besprechend, ungeachtet meh rerer Zwischenfälle könne die Regentschaft da» Ler- dienS beanspruchen, die Ordnung besser erhalten zu Haden, al» r» die Verhältnisse anuehmen ließen. Die Regentschaft habe bewiesen, daß sie die Auto rität und die Machtmittel besitze, um die Ruhe zu erkalten, wa» nicht zum geringen Teile dem von ihr acceptierteu Programm der nationalen Unabhängigkeit zuzuschreiben sei. AuS dem Wahl kampfe siegreich hrrvorgehend, mit neuer Autorität umgeben, ,m Besitze de» Vertrauen» der Lande»- wrhrheit, werde ihre Aufgabe sein, die Schärfe, welche ihre Beziehungen zu Rußland angenommen, thuulichst zu mildern. Sie könne jetzt den eigent lichen Inhalt ihrer Politik zur vollen Deutlichkeit bringen. Diese lasse die volle Wahrung aller Ver trag-rechte Bulgariens mit dem Willen, die Freund schaft aller Mächte zu pflegen, vereinbarlich er scheinen. Pari», Montag, 11. Oktober, abend». (W. T. B.) Die Polizei verhinderte gestern da» An schlägen von Prospekten der Zeitung „Revanche". Einer dieser Prospekte enthielt ein Bild mit den Zügen de» General» Boulanger. Die mit dem Anschlägen beauftragten Personen wurden fest- genommen. Der Kriegöminister weist in einer heute erlassenen Erklärung die Annahme zurück, daß er zu dem genannten Blatte in einem Pa- troaat»verhältnisse stehe und betont, daß kein »latt da» Recht habe, sich al» sein Organ zu bezeichn»». Petersburg. DienStag, 12. Oktober. (Tel. d DreSdn. Journ.) DaS „Journal de St. Peter»« bourg" sagt: Die Telegramme au» Sophia recht fertigten nur allzu gut die Annahmen, welche die russische Regierung bewogen hätten, die Vertagung der Wahlen anzuempfehlen, um den Leidenschaften Zeit zur Beruhigung zu lassen. Noch ehe die Entscheidung der wichtigen Kragen, wobei daS Geschick Bulgarien» auf dem Spiele stehe, getrosten sei, hätten bedauernswerte Scenrn von Gewalt« thätigkeit schon am ersten Wahltage sich zugetragen. ES erscheine noch schwierig, nach den bis jetzt ein gegangenen Depeschen die genaue Wahrheit zu er mitteln; man werde aber deshalb umsomehr die Erklärung der russischen Regierung begreifen, daß sie weder die unter solchen Verhältnissen gewählte Versammlung anerkennen, noch deren Beschlüsse sanktionieren könne. Sophia, DienStag, 12. Oktober. (Tel. d. DreSdn Journ.) Nach den bisherigen Meldungen find 420 Anhänger der Regierung und 20 Zan- koffistea gewählt; die Partristrllung der übrigen ist unbekannt. Die russische Agentur richte'e 3 Schriftstücke an die Regierung, von denen da» eine auf den Befehl de» General» v. Kaulbars da» Rundschreiben der Regierung, betreffend da» Verbot der Einmischung Fremder in die Wahlen in entschiedener Weise tadelt, da» zweite die Wah len für ungesetzlich erklärt, da» dritte gegen die Feuilleton. Montag, den 11. Oktober, gaben in „Brauns Hotel" die Herren Pianist C. Heß und Königl. Kammermusiker Blumer, Wilhelm, Stenz und Rüdiger eine SoirSe für Kammermusik. Hr. Heß brachte mit technisch höchst korrektem und musikalisch fein ausgearbeitetem Bortrag und von den genannten Herren durch treffliches, sorgfältig studiertes Zusam menspiel unterstützt, folgende Werke zu Gehör: Klavier trio 6-moU op. 1 von Beethoven, Klavierquartett op. 26 von BrahmS und Klavierquintett op 114 von Fr. Schubert. Als besonders gelungen in der Ge- samtausführung seien Beethovens Trio und Schuberts entzückendes Forellenquintett hervorgehoben, nur war der Vortrag des ersten — nach moderner Manier — etwas zu zart und süß, namentlich in den Streich instrumenten behandelt, für den Charakter des Werkes. Brahm» Quartett würde, vorzüglich im reizend und poetisch erfundenen Adagio und im Finale, durch seinen musikalischen Gehalt zu einem noch erfreuenderen Ein druck gelangen, wenn nicht alle Sätze diesen durch übermäßige Tänze erlahmen ließen. Beiläufig bemerkt, ist der Kouzertfaal in „Brauns Hotels welcher für etwa 700 Personen sehr genügend Raum hat und eine gute Klangwirkung besitzt, neu und äußerst prachtvoll und reich dekoriert. Er empfiehlt sich für Konzerte umsomehr, da jetzt auch zwei bequeme Eingänge und zwei sehr geräumige, der Zuglust nicht ausgesetzte Garderoben hergestellt sind. L. «. Angriffe auf da» russische Konsulat am Wahltage energisch protestiert. Rach Schlub der Redaktion eingcgavgeae Telegramme s. S. I4SS. Dresden, 12. Oktober. Die Anarchistenverschwörung in Wien. Die Wiener Polizei hat eine bösartige Arnachisteu- Verschwörung entdeckt, bezüglich welcher dem Vernehmen nach ganz umfassende Beweise für die weitgehenden verbrecherischen Pläne der Verschworenen beigebracht wurden. Bevor wir zur Sache selbst übergehen, werfen wir einen Blick aus die Entwickelung des Anarchismus in Wien. Im Jahr 1848 war der Anarchismus der eingesessenen Wiener Bevölkerung noch völlig fremd. Bei den ersten im März und Mai stattgehabten Unruhen wurd.n die damals austauchen den sozialistischen Agitatoren, wie Karl Friedrich Graf Vitzthum v. Eckstädt in seinem Werke „Berlin und Wien in den Jahren 1845 -1852", dessen erste und zweite Auflage in diesem Jahr bei I. G. Cotta in Stuttgart erschienen sind, erzählt, von der Arbeiter- bevölkerung ausgepfiffen und zum Teil durchgeprüqelt. Erst als durch die Schwäche des Ministerium- und die Charakterlosigkeit der Stadtbehörde Wien unter die Herrschaft der akademischen Legion kam und Hunderttausend bewaffnete Proletarier die Bevölkerung der österreichischen Hauptstadt in Angst und Schrecken versetzten, feierte das von außen herzugeströmte aus Polen, Ungarn. Deutschen aus dem Reich und Italienern bestehende, von berufsmäßigenRevolutionären und Barrikadeningenieuren gesührte anarchistische Pro letariat seine Triumphe. Wien war im tiefsten Elend. Wer Vermögen hatte, war geflohen, keine Equipagen sah man in den Straßen, die Läden standen leer, die Handwerker waren ohne Beschäftigung, während die Stadtkasse die hunderttausend Mann Lumpengesindel besoldete und verköstigte. Die Erlösung kam am 28. Oktober durch den gemeinsamen Angriff der Ar meen des Feldmarschalllieutenants Fürsten Windisch. Grätz und den BanuS Jellacic. Es war ein ge waltiger Kampf, aber in zwei Ta en war ganz Wien in den Händen der tapferen Armeen. Dem blutigen Terrorismus des ProletariertumS und dem akademischen Bubenregiment wurde ein Ende bereitet. Die Wir- kung der Mtlitärherrschaft war in Wien eine so wohl- thätige, daß im Mai 1849 bei dem österreichischen Ministerium eine von 60000 Unterschriften gefolgte Eingabe eingereicht wurde, deren Unterzeichner um Beibehaltung des Belagerungszustandes baten. Nunmehr hatte eS lange Ruhe mit den soziali stischen Regungen. Lasalles Reden fanden in Wien keinen Widerhall und Österreich schien von den so zialen Unruhen, welche Deutschland heimsuchten, ver schont bleiben zu sollen. Erst als Johann Most unter dem Schutze der britischen Freiheit seine Mörder aus das Festland entsendete und die Reinsdorf, Stellmacher, Lieske und Kammerer in Deutschland und Österreich ihre Gräuelthaten verübten, beziehungsweise wie Reinsdorf schändliche, Attentate vorbereiteten, zündete auch der anarchistische Funke iu der Kaiserstadt an der Donau. Es gelang aber der StrasgerichtSbarkeit 1883, die Hauptleiter zur Rechenschaft zu ziehen und dem Umsichgreifen Halt zu gebieten. Wie unsere Leser bereit» durch die Drahtnachrichten wissen, ist die Wiener Polizei am vergangenen Sonn abend einer neuen anarchistischen Verschwörung aus die Spur gekommen. Unser Wiener Mitarbeiter schreibt über dieselbe vom Gestrigen: „Die Bevölkerung Wiens steht noch unter dem Eindruck des von der Polizei rechtzeitig entdeckten Anarchistenkomplotte», welcher den Gesprächsstoff aller Bevölkerungskreise bildet. Mit Schrecken sieht man auf die Gefahr zurück, Dir Grafen v. Hartenegg. Roman von H. Waldemar. (Fortsetzung.) ES mochten acht Tage über den Unglück»fall hin gegangen sein, als er den jungen Grafen um eine geheime Unterredung bat; was der Inhalt dieser ge wesen, erfuhr vorläufig niemand, selbst vor Dora wurde es geheim gehalten. Aber geheimnisvolle Vorbereitungen wurden in dem Zimmer getroffen, worin der wunde Förster lag. Graf Han» weilte oft in D, er hatte Unterredungen mit feinem Onkel, mit Frau v. Merving, welche noch einige Wochen in der Stadt bleiben wollte, aber jeder Frage, jedem bittenden Blick au» Dora» schmerzum- störten Augen wußte er geschickt auszuweichen oder sie nicht zu verstehen. Ein schöner Herbstmorgen brach an; die Sonne, welche noch reichlich erwärmende Kraft befaß, über flutete die Natur mit ihrem goldigen Schimmer, die Bäume in ihrem herbstlichen Schmuck, mit den ge färbten Blättern boten einen schönen Anblick; auch Dora fand die», als sie aus dem Fenster ihre» Giebel stübchen» da» Auge weithin über den Wald schweifen ließ. Sie hatte eine prächtige Aussicht dort oben, link» den Wald bis zu seinen höchsten Höhen, zu ihren Füßen Teile des Schlosse-, und recht» in blauer neb- licher Ferne D., dessen goldig blitzende Kirchtürme ikr Grüße zu senden schienen. Wehmütig ruhte ihr Blick aus der oftgefchauten Landschaft, dopvelt wehmütig, da der Vater todkrank unten in der Stube lag und da sie auch wohl da» Forsthau» bald für immer verlasfeu würde. So innig und heiß ihre Liebe zu» Grafeu war, so welcher die Stadt entgangen ist, wollten die Anarchisten doch nicht» Geringere», al» Wien an verschiedenen Punkten in Brand stecken. Man hebt auch die teuf lische Perfidie hervor, welche jene Gesellen auSüben, indem sie Gedenktage der kaijerl Familie für ihre Thaten auswählen. So fiel der von ihnen imSVchre 1883 gelegte große Brand auf den Geburtstag der Tochter de» Kronprinzen und ihre — glücklicherweise vereitelte — letzte Heldenthat sollte in der Nacht vom 3. auf deu 4. Oktober, welcher Namenstag des Kaisers ist, vor sich gehen. Selbst jene Kreise der Bevölke rung, welche früher an die Gefährlichkeit der sog. Anarchisten nicht glauben wollten, fordern jetzt die strengsten Maßregeln. Bekanntlich unterstehen anar chistische Verbrechen nicht der ordentlichen Jurisdiktion, sondern werden durch Ausnahmegerichte abgeurteilt, welche auch ein erweiterte» Strafbefugnis haben. Den noch ist eS fraglich, ob die Schuldigen diesmal mit der vollen Wucht des Gesetzes werden getroffen, na mentlich ob Todesurteile gefällt werden können, da thatsächlich bloS die strafbare Absicht, nicht aber das Verbrechen selbst vorliegt. E» verlautet aber, daß die Verschwörer in der Umgebung Wiens einen Probe brand veranstaltet haben, um die Wirksamkeit ihrer Materialien zu erproben, zum Objekt erwählten sie sich natürlich fremdes, sogar bewohntes Besitztum. Sollte die Untersuchung dieses bestätigen, würde auch die Handhabe geboten sein, um ein exemplarisches Urteil auf die Beteiligten herabzufällen. Merkwürdig ist es auch, daß ein erheblicher Teil der Verhafteten, dem Vernehmen nach, tschechischer Nationalität sind " über die Pläne und Vorbereitungen der Ver schwörer giebt die (alte) „Presse" ausführliche Aus kunft. Dieselbe schreibt: „Nach langer Pause hat die kleine anarchistische Gruppe der hiesigen Arbeiterschaft wieder ein Lebens« leichen von sich gegeben. Aufgestachelt durch die rast- zosen Wühlereien auswärtiger, namentlich Londoner und New-Uorker Agitatoren, haben die wenigen Anarchisten, welche sich gegenwärtig in Wien noch aufhalten, ein scheußliche» Komplott geschmiedet, welches teilweise dazu bestimmt war, für die Zwecke der Partei Geldmittel zu beschaffen, hauptsächlich aber dazu dienen sollte, unter den besitzenden Klassen der Residenz Auf regung und Schrecken hervorzurufen. Der Anschlag wurde glücklicherweise durch die anerkennenswerte, unleugbar ersolgreiche Thätigkeit der Polizeibehörde vereitelt. Wäre aber auch nur ein Teil dessen zur Ausführung gelangt, was geplant und vorbereitet war, so hätte Wien zweifellos eine furchtbare Kata strophe zu verzeichnen gehabt. Die Aufrührer waren entschlossen, in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober an vier verschiedenen Teilen der Stadt Brand zu stiften, und die Mittel, mit welchen sie ausgerüstet waren, sind so vollkommen und sunktionieren so präzis, daß man in der That behaupten kann, einzelne Teile der Stadt seien vor einem großen Unglück, mindestens vor einer großen Gefahr bewahrt worden Heute befinden sich fast alle Teilnehmer an dem Unternehmen — eS sind zusammen 20 Personen — in den Händen der Behörde, die vielfach ver schlungenen Fäden des Komplotts sind bloßgelegt, und die Gerichte werden schon in den nächsten Tagen mit der Untersuchung beginnen. Bis zum heutigen Tage dauerte die Thätigkeit der polizeilichen Organe. Die Arbeit war keine leichte, weil die Brandstifter mit Geld versehen waren, sich also durch ihr Äußere» nicht al» Arbeiter erkennen ließen, und weil ihre Organisation eine so sinnreiche war, daß nicht einmal alle Komplizen sich gegenseitig kannten. Gleichwohl gelang es den polizeilichen Orga nen im Laufe dieser Woche, alle Glieder der langen Kette von Ereignissen, Beobachtungen, Entdeckungen und Geständnissen aneinanderzureihen, und so liegt fühlte sie doch manchmal ein unerklärliches Bangen vor jener Zeit, da sie in eine ganz andere Sphäre versetzt würde, ein Bangen, daß sie sich stet- selbst im Hinweis auf ihre gegenseitige Liebe auszureden ver suchte. Auch heute hatte sie diese- ängstlihe Gefühl, zumal ihr Verlobter am vorhergehenden Abend ihr unter tausend Liebkosungen mitgeteilt hatte, daß der Zeitpunkt ihrer Bereinigung immer näher rücke. Dora stand noch immer am Fenster und blickte in den Sonnenschein; war sie so von ihren Gedanken in Anspruch genommen, oder blendete sie die Helle Sonne so, daß sie den Wagen nicht bemerkte, der langsam den Berg hinanfuhr und an den Wendungen de» Wege» deutlich sichtbar ward? Sie verbrachte die schönen Stunden fast wie im Traum. Tiefanfseufzend kehrte sie sich ab von dem heiteren Bilde und wandte sich nach der Thüre, um nach dem Vater zu sehen, dessen eigentliche Pflege eine geübte Wärterin besorgte. An der Treppe wurde sie von einem der Diener, welche Graf Han» zur Au»hilfe gesandt, im Namen de»selben gebeten, jetzt nicht hinunter zu kommen Ein Schreck durchfuhr ihren Körper, totenblaß hielt sie sich am Geländer: „Mein VaterI" schrie sie auf, „laßt mich zu meinem Vater!" Graf Han», der in der Nähe beschäftigt gewesen, eilte herzu und fing die Wankende in seinen Ar men auf. Sorgsam leitete er sie nach ihrem Zimmer zurück. „Mein Lieb, wie kannst Du so erschrecken," sagte er vorwurs»voll, „glaubst Du wirklich, ich hätte Dich hier oben gelassen, wenn Deine» Vater» Zustand sich verschlimmert hätte? Rein, Dora, er ist noch nie so jetzt ein klares Bild dessen, was geplant war, und der Verhältnisse, durch welche die Ausführung verhindert wurde, vor. Die Polizeibehörde hatte an die Wiener Zeitungen das Ersuchen gerichtet, im Interesse der Untersuchung von einer Veröffentlichung der Sache abzusehen, bis das ganze Material gesammelt sein würde. Wir haben also mit der Publikation bis zum heutigen Lage ge- wartet. Die folgenden Berichte sind durchweg au- amtlichen Quellen geschöpft und beruhen auf Mit teilungen der Polizeibehörde. Die Nacht vom 3. auf den 4. Oktober sollte die Schreckensnacht sein. Das geheime Komitee der Anar chisten hatte einen vollständigen Operation-plan entworfen, welcher aus mehrmonatlichen Beratungen hervorgegangen war. In diesem Operation-plane, welcher sich in den Händen der Polizei befindet, war jedem einzelnen Teilnehmer seine Rolle zugewiesen. Jeder war für eine bestimmte Mission auSersehen, jeder hatte bestimmte Mittel zur Verfügung. Zur festgesetzten Zeit hatten sich die Verschwörer an die ihnen zugewiesenen Plätze zu begeben und dort den Befehl auszuführen, der ihnen vom geheimen Komitee erteilt worden war. Der Plan bestand, wie wir be reits mitgeteilt haben, darin, daß an 4 verschiedenen Stellen Brand gelegt werden sollte. Zu diesem Be- Hufe teilten sich die Verschwörer in 4 Gruppen, von denen jede ein eigenes OperationSseld erhielt. Es wurde eine Gruppe für die Roßau, eine zweite Gruppe für Oder-Meidling und Hetzendors, eine dritte Gruppe für Unter-Meidling und Favoriten, eine vierte Gruppe für Penzing gebildet. Für jede dieser Gruppen war innerhalb ihre« Operationsgebietes ein bestimmte« Objekt, das in Brand gesteckt werden sollte, auSersehen, so daß also, wenn der Anschlag gelungen wäre, an verschiedenen Stellen in diesen 4 RayonS Brände auS- gebrochen wären. Daß vorzugsweise die westlichen Vororte als dasjenige Gebiet ausgewählt wurden, wo Schrecken und Aufregung hervorgerufen werden sollte, ist leicht erklärlich; denn in diesen Vororten wohnt das Gros der Arbeiter, dort stehen die meisten Fabriken, dort konnte man die nachhaltigste Wirkung erwarten. Die Materien, mit welchen die Brände gelegt werden sollten, waren ebensowohl vorbereitet wie der ganze Plan. Es sollten eigene Brandflaschen, welche die Anarchisten für ihre Zwecke erfunden haben, zur Verwendung gelangen. Der in London erscheinende, vom österreichischen Arbeiterführe Peukert redigierte „Rebell" und die in New-Jork erscheinende „Frei heit", welche früher unter der Leitung MostS stand, haben feit Monaten an erster Stelle eineAnleitung zur Fabrikation von Brandflaschen veröffentlicht. Nach dieser Anleitung wurden die Flaschen von hie sigen Anarchisten m Wien angefertigt. Die Flasche ist vieleckig und faßt ungefähr 2 Liter. Sie wird mit zwei verschiedenfarbigen Flüssigkeiten gefüllt. Soll die Flasche als Brandstifterin zur Verwendung gelangen, so wird an ihrem Halse ein langer GlaScylinder be festigt. Dieser GlaScylinder ist zur Hälfte mit einem weißen Pulver gefüllt. Auf dem Pulver liegt ein Baumwollenpsropf. Der obere Teil des CylinderS ist leer. Derjenige, der das Feuer legen will, gießt einige Tropfen Schwefelsäure in den Cylinder. Die Schwefelsäure sickert langsam durch den Baumwollen pfropfen hinab, verbindet sich mit dem Pulver und da» neuentstandene Produkt vereinigt sich mit den in der Flasche selbst befindlichen Flüssigkeiten. Nun ge raten diese in Brand. Es entsteht eine mächtige, mehrere Minuten andauernde Flamme und alle brenn baren Gegenstände, welche sich in der Nähe befinden, werden Feuer fangen. Die Wirkung dieser Brandflaschen ist unfehlbar, vorausgesetzt, daß die Manipulation eine korrekte ist. wohl gewesen, da er heute noch die Erfüllung aller feiner Wünsche erlebt Du blickst mich so trostlos und doch so fragend an, Geliebte, ich kann Dir die Freude, welche mich durchkebt, nicht länger verheim lichen. Dora, Dein Vater wünscht, daß wir uns noch vermählen, ehe..." „Mein Liebling," flüsterte er weich, indem er sie zärtlich in seine Arme schloß, „in einer Stunde wirst Du mein herzliebes Weib. — Du erschrickst? Dora, ist es Dir nicht recht?" „O sage das nicht, Geliebter, Du weißt, daß ich den Zeitpunkt unserer Vereinigung herbeisehne, ebenso wie Du, aber", rief sie unter lieblichem Erröten, „aber Han», wie kann ich so unvorbereitet vor Gottes hei ligen Altar treten? Warum hast Du eS mir so lange verschwiegen?" „Bedarf es denn einer langen Vorbereitung, mein Lieb? So wie Du bist, liebe ich Dich; daß Deine Seele lauter und rein ist, Dein Herz nur mir gehört, daS weiß ich, also wozu lange Vorbereitungen? Ge- rade dies Plötzliche erfüllt mich mit namenlosem Ent zücken. Dora, laß mich Dir hier in Deinem trauten Stübchen, dessen Schwelle ich soeben zum erstenmale überschritt, noch einmal sagen, wie unaussprechlich lieb ich Dich habe, wie ich Dich allzeit lieben und Hoch balten will." Graf Han» sprach ernst, während eine heilige Begeisterung sich in seinem edlen Angesichte abspiegelte. Dora machte sich sanft lo» au» feinen umschlingen den Armen und trat einen Schritt zurück. Peinliche Verlegenheit lag auf ihrem sanften, jetzt so blassen Gesicht; sie fattete die kleinen Hände aus ihrer wo genden Brust und sah demütig bittend zu ihm auf.