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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE - MUSEUM Sonnabend, 2. April 1960, 19.30 Uhr Sonntag, 3. April 1960, 19.30 Uhr 8. Philharmonisches Konzert DIRIGENT Siegfried Geißler SOLIST Johannes Brüning, Witten-Ruhr (Violine) Peter Tschaikowski 1. Sinfonie g-Moll (Winterträume), op. 13 1840—1893 Allegro tranquillo Adagio cantabile ma non tanto Allegro scherzando giocoso Andante lugubre — Allegro maestoso — Allegro vivo PAUSE Max Bruch Konzert für Violine und Orchester g-Moll, op. 26 1838—1920 Allegro moderato (attacca) Adagio Allegro energico Johannes Brüning W. A. Mozart Sinfonie C-Dur (Jupiter-Sinfonie), KV 551 1756—1791 Allegro vivace Andante cantabile Menuetto, Allegretto Molto Allegro ZUR EINFÜHRUNG Von den sechs Sinfonien Peter Tschaikowskis sind die vierte (f-Moll), die fünfte (e-Moll) und die sechste (h-Moll, „Pathetique“) am bekanntesten. Ganz abgesehen von dem größeren Gehalt der drei letzten Sinfonien ist es typisch für die Einschät zung der Programm-Musik bei uns, daß beispielsweise die erste Sinfonie in g-Moll, die den Programmtitel „Winterträume“ trägt, längst nicht die Volkstümlich keit besitzt. Ob das Programm schuld ist? Für den Russen gab es den Unterschied nicht zwischen absoluter und Programm-Musik, für ihn spiegelte sich in jeder Musik eine Wirklichkeit wider. Richard Strauß, „unser“ Programm-Musiker, hat ja be kanntlich Hugo von Hofmannsthal einmal gefragt, wo denn eigentlich die absolute Musik aufhöre und wo denn die Programm-Musik anfinge? In der ersten Sinfonie von Tschaikowski ist die Überschrift „Winterträume“ bestimmt kein übliches Pro gramm, für den jungen Meister ist sie die äußere Anregung seelischen Geschehens. Tschaikowski war — für seine Verhältnisse eines relativ späten Musikerstudiums — tatsächlich noch ein junger Meister, als er nach seinen Frühwerken „Das Gewitter“ (nach Ostrowski) und „An die Freude“ (nach Schiller) im Jahre 1866, also im Alter von 26 Jahren, seine erste Sinfonie schrieb. Er, der am 7. Mai 1840 als Sohn des Ingenieur-Oberstleutnants Ilja Petrowitsch Tschaikowski in der Stadt Wotkinsk (früheres Gouvernement Wjatka,jetzt Udmurtische ASSR) Geborene, trat bekanntlich 1850 in die Rechtsschule in Petersburg ein, wird 1859 Beamter im Justizministerium. Erst im Jahre 1863 wird er Student des Petersburger Konservatoriums (Anton Rubinstein). Über seine Abschlußarbeit am Konservatorium, die Schillersche Hymne an die Freude, für die er die silberne Medaille erhielt, urteilt Zesar Kjui, ein damals bedeutender Musiker: „Der Komponist ist ganz unfähig!“ Ganz anders wird das Werk anerkannt von German Awgustowitsch Laroche (dem „russischen Hanslick“): „Ich sage es Ihnen offen, daß Sie das größte musikalische Talent des gegenwärtigen Rußlands sind!“ Das sind die Kritiker-Voraussetzungen für die erste Sinfonie, die Tschaikowski als neuer, junger Lehrer am Moskauer Konservatorium (Nikolai Rubinstein) schrieb! „In seiner ersten Sinfonie, der er die Überschrift , Winter - träume' gab, setzt er sich zum ersten Male, wie später öfters, mit dem Problem Per sönlichkeit-Volk auseinander. Im ersten Satz .Wanderers Winterträume' greift er ein in Rußland begreiflicherweise häufiges Thema der Kunst auf: die winterliche Natur und ihre Wirkung auf den Menschen . . . Das Adagio (,Rauhes, nebliges Land') ist wahrscheinlich unter dem Eindruck einer Fahrt entstanden, die Tschai kowski mit seinem Freunde, dem Dichter Alexej N. Apuchtin (1840—1893), im Sommer 1866 auf dem Ladoga-See gemacht hat. Das Thema ist zweifellos vom Volks lied beeinflußt. Der dritte und vierte Satz trägt keine Überschrift, ist aber leicht