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Sonnabend, n.Februar 1961, 19.30 Uhr Sonntag, 12. Februar 1961, 19.30 Uhr 8. Außerordentliches Konzert DIRIGENT Prof. Heinz Bongartz SOLIST Julius Katchen, New York Hector Berlioz Ouvertüre „Der Römische Karneval" 1803—1869 Franz Liszt j8n—1886 Konzert für Klavier und Orchester Es-Dur Allegro maestoso-quasi adagio-allegretto vivace-allegro marciale animato PAUSE Johannes Brahms 1833—1897 Konzert für Klavier und Orchester, B-Dur, op. 83 Allegro non troppo Allegro appassionato Andante-Allegretto grazioso Julius Katchen, New York Einer der großen Anreger seiner Zeit auf dem Wege zu neuen Ausdrucksmitteln war — neben Liszt, der sich stark für ihn einsetzte — Hector Berlioz. Trotz einer Entwicklung vom sich durchhungernden Chorsänger über den Rompreistiäger und geistvollen Publizisten zum in mehreren europäischen Staaten anerkannten Dirigenten meist eigener Weike, hatte Frank reich für ihn nur die bescheidene Stellung eines Bibliothekars am Pariser Konservatorium anzubieten. In ihm begegnen sich Bekenntnis zur Tradition mit revolutionärer Unruhe, Klangmassierungen größten Ausmaßes (,,Requiem“ : 4 Blasorchester, 16 Pauken u. a. m.!) mit völlig neuartigen transparenten Orchesterfarben ekstatischer Ausdruckswille mit letzter Feinnervigkeit, Beherrschung des überkommenen Musikalisch-Handwerklichen mit der Fähigkeit, es neuen programmatischen Inhalten dienstbar zu machen. Sein Gesamtwerk bedenkt in der Hauptsache neben der Oper das große sinfonische Chorwerk, die sinfonische Dichtungund die Programmouvertüre. Auf seinen Konzertreisen berührte Berlioz 1854 auch Dresden und gab innerhalb von 10 Tagen 4 Konzerte (das vierte, ursprünglich nicht vor gesehen, wurde durch den eindeutigen Erfolg der ersten drei gewissermaßen erzwungen). Interessant der Bericht eines Zeitgenossen: ,,Daß Berlioz hier war und einige Konzerte gegeben hat, ist allerdings eine Neuigkeit, die. man wiederholt gehört, gelesen und beinahe schon wieder vergessen hat. Viel mehr als diese einfache Tatsache werden Sie aber nirgends vernommen haben. Von wem sollten Sie auch aus Dresden mehr darüber erfahren? Mund und Ohren der Dresdner Tageskritiker sind für ganz andere Dinge von größter Wichtigkeit in so großen Dimensionen offen, daß es ihnen nicht möglich ist, sie dann noch mehr aufzusper: en, wenn statt einer Sängerin endlich einmal ein Genie in ihrem Gesichtskreise erscheint. Sie kennen wohl Goethes prächtige Maxime: ,Es hört doch jeder nur, was er versteht! 4 — Aus diesem Grunde hörte die Dresdner Tages kritik von Berlioz äußerst wenig! . . .“ Bevor Berlioz hier ankam, war der Boden für ihn durchaus nicht günstig. Das Publikum war über die künstlerische Bedeutung von Berlioz völlig im unklaren — es wiederholte sich hier sogar die alte Geschichte, daß man Berlioz mit Beriot verwechselte und unsern großen Hektor für einen Geigenvirtuosen hielt — man verhielt sich zum größten Teile indifferent, und die Folge davon war, daß das erste Konzert im Theater nur ein mäßiges Publikum ver sammelt fand. Die Kritik war natürlich von vornherein gegen Berlioz eingenommen. Man erwartete also Berlioz mit Neugier, aber ohne Sympathie. Das änderte sich jedoch, als er erschien. Die Dresdner Kapelle spielte unter Berlioz’ Direktion mit einem Worte vollendet. Ich habe sie seit Wagner nie so gehört, habe nie vorher Gelegenheit gehabt, sie so bewundern zu können, als an jenen Abenden, wo der Geist von Berlioz von seinem Direktionspulte auf alle überströmte. Die Dresdner Kapelle hatte unter Berlioz sich erhoben wie ein Mann, sie zeigte sich in ihrer wahren Größe. Es war, als hätten uns diese Künstler zeigen wollen: ,,So sind wir eigentlich, das können wir leisten — wenn nur der Rechte kommt, der uns führt!“ —Und dieser Rechte stand vor uns, und führte sie siegend ein in seine Kunst. Aber er mußte sie wieder verlassen! Berlioz und die Dresdner Kapelle gehören zusammen; sie würden vereint das Größte leisten. Aber Berlioz sitzt einsam unter seinen Partituren in Paris. Bei seiner Abreise ward Berlioz von einem großen Teil der Kapelle und von vielen Kunst freunden Dresdens (welche allen Proben mit der gespanntesten Aufmerksamkeit beigewohnt hatten) mit den Zeichen der aufrichtigsten Verehrung und Liebe bis zu dem Wagen geleitet, welcher den geehrten Meister über Weimar direkt nach Paris leider zu bald wieder ent führte. Berlioz schied nicht ohne Rührung, voll der Eindrücke, welche ihm den Dresdner Aufenthalt in vieler Hinsicht wertvoll gemacht hatten.