Volltext Seite (XML)
Die Ouvertüre „Der Römische Karneval“ schrieb Berlioz 1843 auf Motive seiner Oper „Benvenuto Cellini“ die in Rom zur Fastnachtszeit um 1532 spielt. Der Stoff — Cellini opfert für den Guß einer vom Papst in Auftrag gegebenen Perseus-Statue sämtliche anderen in seiner Werkstatt befindlichen Werke und gewinnt dadurch Teresa, die Tochter des päpst lichen Schatzmeisters Balducci — gab dem Komponisten reichlich Gelegenheit, das Haupt geschehen in farbige und lebenspralle Szenen des Karnevaltreibens einzubetten. Schwächen des Buches verhinderten jedoch ein dauerndes Fußfassen des Werkes in den Spielplänen der großen Theater, so daß es der Ouvertüre vorbehalten bleibt, auf die Existenz der Oper hin- zuweisen. * Die Skizzen zu seinem B-Dur-Klavierkonzert, dessen Ausmaße die namhaftesten Belege dieser Gattung weit übertreffen, schrieb Johannes Brahms bereits im Frühjahr 1878 nieder, stellte aber damals zugunsten seines Violinkonzertes und anderer Arbeiten die Aus arbeitung der Partitur bis zum Frühjahr 1881 zurück. Dann aber muß ihm die Arbeit mächtig von der Hand gegangen sein, denn bereits am 7. Juli desselben Jahres schreibt er an Elisabeth von Herzogenberg: „Erzählen will ich, daß ich ein ganz kleines (!) Klavierkonzert geschrieben habe mit einem ganz kleinen Scherzo. Es geht aus dem B-Dur.“ Auch an Clara Schumann muß er ähnlich berichtet haben, denn diese schreibt ihm: „Wie freue ich mich auf das Konzert! Dem Kleinen, das Du anfügtest, trau’ ich freilich nicht; es wäre mir aber schon recht; vielleicht könnte ich dieses dann doch noch spielen.“ Theodor Billroth, Chirurg in Wien (und, im Sinne des 18. Jahrhunderts, „Kenner und Liebhaber“ der Musik), einer der intimsten Freunde Brahms, bekam als erster die Partitur der „paar kleinen Klavier stücke“ zu Gesicht, mit der Bitte, sich zu ihnen zu äußern. Sein Urteil: das Konzert verhalte sich zu seinem Vorgänger (d-Moll op. 15) „wie der Mann zum Jüngling“, eine Feststellung, die sich auch mit dem Lebensalter des Meisters zur jeweiligen Entstehungszeit beider Konzerte im wesentlichen deckt. Auch die Existenz eines Scherzo-Satzes, sonst der Gattung des Solokonzerts mit Orchester fremd, findet Billroths Billigung. Die Tatsache, daß Brahms, bewußt Wahrer und Verfechter musikalischer Praktiken einer Vergangenheit fern aller aufs Artistische wie auf Versinnlichung und dramatische Erhitzung gerichteten Bestrebungen der Komponisten um Wagner und Liszt, das B-Dur-Konzert ganz dicht neben der Gattung Sinfonie ansiedelte, rechtfertigt ebenfalls einen Scherzo-Satz als notwendigen Kontrast zu dem nachfolgenden Finale. Wie Brahms’ mitunter knorriger Humor auch vor der bis dahin wohl einmaligen Ausdehnung des Werkes nicht Halt machte, belegt — neben den oben angeführten Hinweisen auf das „kleine“ Klavierkonzert, die „paar kleinen Klavierstücke“ — der Satz an seinen Verleger Simrock, den er zunächst in Unsicherheit ließ, ob das Werk bei ihm oder im Verlag Peters erscheinen würde: „Sie sollten doch ehrlich sein und sich bedan ken, daß ich ein Klavierkonzert z. B. an Ihnen vorbeigehen lasse“ und —kurz darauf — „Nun haben Sie das Konzert, und ich wünsche, daß Sie es gut verdauen. Es war sehr gut ge meint . . ., daß ich gerade den Brocken an Peters geben wollte . . . Sie werden sich entsetzt freuen, wieviel Sie für Ihr Geld kriegen.“ Die Uraufführung, mit Brahms als Solisten, leitete am 9. November 1881 Alexander Erkel in Pest, ihr folgten noch im gleichen Monat zwei Aufführungen — ebenfalls mit dem Kom ponisten am Klavier — in Stuttgart (Hofkapellmeister Max Seifriz) und Meiningen (Hans von Bülow). Bezeichnend für Brahms ist übrigens, daß er, der bald Fünfzigjährige, mit den Worten „Seinem teuren Freund und Lehrer Eduard Marxsen“ das Werk dem Manne widmete, der ihn in Hamburg zu einer Zeit unterrichtete, da der Sohn des Kontrabassisten Jakob Brahms sich seinen Lebensunterhalt durch Klavierspiel in Schifferkneipen verdienen mußte! Was Brahms als den Haupt Vertreter der „anderen“ Richtung neben Wagner und Bruckner charakterisiert, findet sich auch in diesem Werk: Einfallsreichtum gekoppelt mit einer aus dem musikalischen Material selbst hergeleiteten quasi altmeisterlichen Verarbeitungstechnik, was aber nicht ausschließt, daß in der Spätromatik beheimatete Gefühlsgehalte — allerdings in ganz persönlicher Aussageweise — zu Recht ihren Ort im Gesamtablauf des Werkes finden. Daß der Kia vier virtuose seiner Epoche, Autor einer stattlichen Reihe von Kompositionen meist programmatischen Inhalts, nur zwei Konzerte für sein Instrument geschrieben hat, erklärt sich (wenigstens zum guten Teil) aus der Tatsache, daß dem reisenden, von Triumph zu Triumph eilenden Virtuosen kurz vor der Wende zur Mitte des 19. Jahrhunderts kaum Muße blieb, sich der geruhsamen Niederschrift größerer Partituren zu widmen, während die nachfolgende Weimarer Zeit (1848—1861) den Hofkapellmeister Liszt dann schöpferisch im wesentlichen mit den Sinfonischen Dichtungen beschäftigt sah. So mußte von der Skizze bis zur endgültigen Niederschrift des Es-Dur-Konzerts (übrigens auch beim gleichzeitig entstehenden A-Dur-Konzert) erst ein Zeitraum von rund 10 Jahren ins Land gehen, ehe das Werk in seiner endgültigen Form vorlag. Liszt spielte es zur Uraufführung im Weimarer Schloß selbst, die Leitung des Konzerts hatte Hector Berlioz, der im Programm ebenfalls mit der deutschen Erstaufführung eines seiner Werke vertreten war. In der Folgezeit setzte sich dann als Solist Hans von Bülow, Liszts Schüler, für das Werk ein und machte es durch seine grandiose Interpretation in den Konzertsälen heimisch. Anders als bei Brahms, der gewiß auch den Solopart aus den Gegebenheiten des Instruments heraus gestaltete, liegt in der Handschrift Liszts das Gewicht nicht so sehr auf einer thema tischen bzw. motivischen Entwicklung, sondern eher auf der Aneinanderreihung des auch unter Einbeziehung von Varianten abwechslungsreicher gestalteten Materials, der (ganz im Sinne des alten Virtuosenkonzerts) im Klavier Episoden sowohl rein spieltechnischen Zuschnitts als auch solche engerer thematischer Bezogenheit gegenüberstehen. Da die Themen jeweils sofort profiliert vor den Hörer treten, und im weiteren Ablauf mehrfach wörtlich zitiert werden, bleiben die Zusammenhänge gewahrt. Die Geschlossenheit des Ganzen erhält ihre Farbigkeit durch Faktoren, die Liszt als in der deutschen, italienischen, französischen und ungarischen Intonation verhafteten, vielseitig interessierten und in den virtuosen Gepflogenheiten seiner Zeit denkbar bewanderten Musiker charakteiisieren. W. Bänsch Literaturhinweise: Kalbeck: Johannes Brahms, 1914 Farga: Hector Berlioz, 1939 Kapp: Franz Liszt, 1909 Vorankündigung: Nächste Konzerte im Anrecht A 18./19. Februar 1961, jeweils 19.30 Uhr Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr Nächste Konzerte im Anrecht B 25./26. Februar 1961, jeweils 19.30 Uhr Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr ✓ 8. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 6064 Ra III-9-5 261 1,6 ItG 009/16/61