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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Sonnabend, 31. Dezember 1960, 19 Uhr Sonntag, i. Januar 1961, 19 .30 Uhr 4. Außerordentliches Konzert DIRI GENT Siegfried Geißler SOLIST Prof. Amadeus Webersinke, Leipzig WOLFGANG AMADEUS MOZART Sinfonie A-Dur, KV 201 Allegro moderato Andante Menuetto Allegro con spirito WOLFGANG AMADEUS MOZART Konzertrondo für Klavier und Orchester, KV 382 PAUSE Konzert für Klavier und Orchester B-Dur, op. 19 LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770—1827) Allegro con brio Adagio Rondo molto allegro JOSEPH HAYDN Sinfonie C-Dur, Nr. 82 (Der Bär) Vivace assai Allegretto Menuetto Finale vivace ,,Heitere Werke unserer Klassik“ — so steht es im Konzertplan, und beinahe scheint es heute angebracht, mit einer solchen Überschrift etwas zu betonen, was unter dem verpflichtenden Begriff ,,Klassik“ oft nicht in seinem ganzen Umfange gewertet wird. ,,Heitere Werke“ — das sind der Zahl nach wesentlich mehr, als man gemein hin anzunehmen pflegt, und in wie vielen zyklischen Kompositionen, die vom Inhalt her ihren Ort auf der Seite des Ernsten haben, gibt es Sätze von heiterer Gelöstheit, ja auch innerhalb einzelner konfliktgeladener Sätze finden sich Episoden, aus denen die ungetrübte Freude am Sein, das schwerelose Ja zum Leben beglückend auf klingt ! Warum nun fühlen wir uns gehalten, nachdrücklich für die,,heitere“— und das ist nicht schlechthin die ,,leichte“ — Muse einzutreten? Nicht etwa, weil für das Programm eines Silvester- bzw. Neujahrskonzerts Werke beschwing ter Grundhaltung besonders geeignet erscheinen. (Das zwingendste Gegenargument stellten wohl die ungezähl ten Hörer der ,,Neunten“ dar, jenes grandiosen Werkes tiefsten humanistischen Ideengehalts, das vielerorts zum Jahreswechsel erklingt!) Wir sind in unserer gesellschaft lichen Entwicklung da angelangt, wo neben das Mühen um den Sieg unserer guten Sache die Freude über das bisher Erreichte sehr wohl in ihre Rechte treten darf. Zum anderen aber gilt es, der Irrmeinung zu begegnen, als wären Intellekt, gerunzelte Stirn, detailliertes Fach wissen die Voraussetzungen für die Inbesitznahme der W.A. MOZART bleibend gültigen Werke der Kunst. Gewiß: Kennt ¬ nisse um die formalen Gegebenheiten wie Struktur, thematische Zusammenhänge, Instrumentation u. a. m. wissen den Genuß eines Werkes zu vertiefen. Aber sie sind nicht die Voraussetzungen schlechthin, unter denen man Zugang zu einem solchen findet. Die entscheidende Voraussetzung ist die, daß der Niederschlag blut warmen, erlebten Gefühls, das, was die Großen der Kunst in organisch gewachsene Formen gebettet haben, im Hörer Saiten zum Schwingen bringt, die unter den hohen Anforderungen des Tages nur zu leicht zum Schweigen verurteilt sind. Jene unselige Entwicklung, die unter den abwegigen Versuchen einer sogenannten Autono- misierung einer von vornherein zum Scheitern verurteilten ,,Eigengesetzlichkeit“ die Künste ihrer eigentlichen Funktion unter den Menschen beraubte und zwischen Schaffenden bzw. Nachschaffenden und Hörern eine Kluft aufriß, um deren Über ¬ brückung wir uns heute nach Kräften mühen, hat auf weite Strecken den Blick auf manches Naheliegende ver deckt. So auch auf die Tatsache, daß vieles von dem, was sich einen bleibenden Platz unter den Belegen dieser oder jener Gattung errungen hat, nicht um jeden Preis im Blick auf die Ewigkeit konzipiert wurde, sondern für seinen Schöpfer durchaus eine Angelegenheit des Tages war. Diese konnte basieren auf Dienstobliegen heiten, wie sie etwa der Kontrakt Haydns als Vizekapell meister des Fürsten Paul Anton Esterhazy enthält, wenn es da unter anderem heißt: „Auf allmaligen Befehl Sr. Hochfürstl. Durchlaucht solle er Vice-Capelmeister ver bunden seyn, solche Musicalien zu Componiren, was vor eine Hochdieselbe verlangen werden, sothanne neue Composition mit niemand zu Comuniciren, viel weniger abschreiben zulassen, sondern für Ihro Durchlaucht eint- JOSEPH HAYDN zig und allein vorzubehalten, vorzüglich ohne vorwissen, und gnädiger erlaubnuß für niemand andern nichts zu Componieren.“ Manches Werk wiederum schrieben sich die Komponisten ohne Auftrag von außen her für ihre eigene konzertierende Tätig keit. So Mozart das Konzertrondo in D-Dur, über das er seinem Vater schreibt: „Zugleich überschicke ich ihnen auch das letzte Rondeau, welches ich zu dem Concert ex D gemacht habe, und welches hier so großen Lärm macht. — Dabey bitte ich sie aber es wie ein kleinod zu verwahren — und es keinem Menschen ... zu spiellen zu geben. — ich habe es besonders für mich gemacht — und kein Mensch als meine liebe Schwester darf es mir nachspiellen.“ Und welchen Erfolg er damit hatte, be weist eine Briefstelle vom 12. März 1873: „Man hörte aber nicht auf zu klatschen und ich mußte das Rondeau repetiren; — es war ein ordentlicher Platzregen“. Über Beethoven als Interpreten seiner eigenen Schöpfungen — er hörte ihn u. a. auch das B-Dur-Konzert spielen — weiß Johann Wenzel Tomaschek 1798 zu berich ten: „Durch Beethovens großartiges Spiel . . . wurde mein Gemüt auf eine ganz fremdartige Weise erschüttert; ja ich fühlte mich in meinem Innersten so tief ge beugt, daß ich mehrere Tage mein Klavier nicht berührte, und nur die unvertilgbare Liebe zur Kunst, dann ein vernunftgemäßes Überlegen es allein über mich ver mochten, meine Wallfahrten zum Klavier wie früher, und zwar mit gesteigertem Fleiße fortzusetzen.“