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Z UR EINFÜHRUNG KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H YG I E N E - M U S E U M Sonnabend, 21. Januar 1961, 19.30 Uhr Sonntag, 22. Januar 1961, 19.30 Uhr 6. Außerordentliches Konzert DIRI GENT Prof. Heinz Bongartz SOLISTIN Poldi Mildner, Buenos Aires Paul Hindemith (geb. 1895) Sinfonia serena Moderato, bewegt Geschwindmarsch von Beethoven — ziemlich schnell — Paraphrase Ruhig — schnell — scherzando Finale, lustig Edvard Grieg Konzert für Klavier und Orchester (1843—1907) a-Moll, op. 16 Allegro molto moderato Adagio Allegro moderato molto e marcato Peter Tschaikowski (1840—1893) Konzert für Klavier und Orchester, b-Moll, op. 23 Allegro non troppo e molto maestoso Andantino simplice Allegro con fuoco Paul Hindemith Paul H indemith schrieb seine Sinfonia serena im Jahre 1946. Das Werk, rund 6 Jahre nach der „Ersten“ in Es des Fünfundvierzigjährigen (!) (vgl. Brahms!) ent standen, setzt sich gegen diese in ihrer ausladenden, mitunter pathetisch angelegten Weite des Inhaltlichen und der — immerhin thematisch denkbar konzentrierten — Form nach der Seite des Unbeschwert-Musikantischen hin ab, die in der Mehrzahl seiner Werke den von der Praxis herkommenden Könner auszeichnet, der als Konzertmeister, konzertierender Bratscher und als solcher Mitglied des seinerzeit führenden Amar-Quartetts, Dirigent und Lehrer jeweils dort stand, wo es um ent scheidende Dinge der praktischen Musik ging. (Seiner Einstellung zu den musik soziologischen Gegebenheiten, zumal im Hinblick auf die Gesellschaftsordnung, die das „Morgen“ in sich trägt, kann hier aus Raumgründen nicht nachgegangen werden. Es sei nur festgehalten, daß in der letzten Zeit Umwelteinflüsse dem Professor der Universitäten New Haven und Zürich nicht in jeder Situation den Blick dafür frei zugeben schienen, wo mit der Zukunft der Menschheit auch die der Musik liegt.) Dennoch: zu einer Zeit, in der die aufs Programm gesetzte Autonomisierung der Künste in den Händen und Köpfen weniger über die Grenzen des dem Menschen möglichen Mitgehens flutete, waren es der gesunde Instinkt, die natürliche Un befangenheit, das Vermögen des Auf-die-Zeit-Horchens eines Hindemith, die zu neuen Ufern führten, von denen aus, orientiert an einer Rückbesinnung auf über kommene organische Ordnungen, der Weg in ein wieder gesundendes Musizieren führte. Beinahe allen vokalen und instrumentalen Gattungen, über weite Strecken auch unter der Zielsetzung der Verwendung in Laienkreisen, galt sein Denken und Schaffen, und die hier erworbene handwerkliche Fertigkeit mußte sich in den großen, traditionsgesättigten Formen wie der der Sinfonie niederschlagen. Virtuos, um nicht zu sagen: mit lockerer Hand, bedient sich Hindemith in der Sinfonia serena der viel fältigsten Möglichkeiten formaler Gestaltung. Den ersten Satz hält er, sie frei ver wendend, in der von der Klassik ausgeprägten Sonatenform, im zweiten, der nur die Bläser beschäftigt, bringt er eine Paraphrase über Beethovens „Yorkschen Marsch“, der dritte („Colloquium“) ist eine reine Streicher-Angelegenheit, die neben klang licher Delikatesse (in zwei Gruppen geteiltes Streicherorchester mit Solo-Violine und Solo-Viola, dazu Solo-Violine und Solo-Viola hinter der Bühne) durch den Einfall zu fesseln weiß, daß im letzten der fünf Teile des Satzes beide Streichergruppen ineinander das musizieren, was sie im ersten bzw. dritten Teil (denen jeweils Dialoge der Solo-Instrumente folgen) getrennt vorgetragen haben. Im fröhlichen Finalsatz endlich (gleich dem Einleitungssatz dem vollen Orchester anvertraut), dessen drei Hauptthemen Klarinette, Viola und Englischhorn bringen, greift in die Durch- führung, das Ganze rundend, das erste Thema des ersten Satzes ein, und mit Blech bläserfanfaren, die ihn eröffneten, schließt dieser thematisch sehr dicht gearbeitete Satz. Diese Sinfonie ist ein weiterer bündiger Beleg dafür, wie aus der notwendig gewordenen Absage an die Prinzipien der Schönberg-Schule ein Musikschaffen erwuchs, das, Kraft in Form bändigend, Substanz durch Gestalt erhöhend, Hinde mith zur zentralen Gestalt werden ließ, die — nach seinerzeit bestürzenden Anfängen