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fern aller Formel und Routine — dank ungebrochener Stetigkeit der Entwicklung zu einem breiten, befruchtenden Ausstiömen gesunder Kräfte führte, dem die Musica viva entscheidende Anregungen zu danken hat. „Ich bin kein Exponent der skandinavischen, sondern nur der norwegischen Musik . . . Ich habe die Volksmusik meines Landes aufgezeichnet. In Stil und Form gebung bin ich ein deutscher Romantiker der Schumannschen Schule geblieben; aber zugleich habe ich den reichen Schatz der Volkslieder meines Landes ausgeschöpft und habe aus dieser bisher noch unerforschten Emanation der norwegischen Volks seele eine nationale Kunst zu schaffen versucht.“ Ein solches hiermit Edvard Gr i egs eigenen Worten wiedergegebenes Streben — auf dem Gebiete der Dichtung stand ihm um die Zeit des 1868 entstandenen Klavierkonzertes Björnstjerne Björnson zur Seite -- war eine Zeiterscheinung, die sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zunehmend herausbildete. Im Kreise der norwegischen Musiker Svendsen, Sinding, Lindemann, Nordraak (dem Grieg im wesentlichen das Herangeführtwerden an die heimische Folklore verdankt) und Kjerulf ist Grieg der am wirksamsten gewordene Vertreter der nationalen Dichtung geworden. Auch er — und das sagen seine eigenen oben angeführten Worte — konnte sich nicht immer den Einflüssen der deutschen Roman tik entziehen. Manches — ob nun Zitat oder eingefangene nationale Intonation — erlag einer Stilisierung, die, nicht frei von in bester Absicht Aufgesetztem, etwa im Sinne des „Volkstümlichen Liedes“ der deutschen Romantik vorübergehend für echt gehalten wurde, auf die Dauer aber einer gesunden Wertung nicht standhielt. Den noch haben Reiz der Eigenart seiner Empfindung, Feinsinnigkeit in der Wiedergabe von Ausdrucksgehalten, Wahl fesselnder harmonischer Mittel ein gut Teil des Griegschen Gesamtwerkes in das Musikleben nicht nur seiner Heimat eingehen lassen, darunter auch das a-Moll-Klavierkonzert, das, zwei Jahre nach seiner Ent stehung uraufgeführt und 1872, dann (mit Grieg als Solisten) 1879 im Leipziger Gewandhaus erklingend, einen festen Platz im Repertoire der Pianisten zu erobern wußte. Gewiß stellen wir Einflüsse Schumanns, Liszts (Kadenz des ersten Satzes!) und Chopins auf Griegs Klaviersatz fest, zweifelsohne sind Thematik und Harmonik des Adagios ohne Wagner nicht denkbar, auch in Äußerlichkeiten haftende Verbin dungen zu Schumanns a-Moll-Konzert mögen das Eigenständige von Griegs Hand schrift überlagern: bei alledem aber überzeugen harmonische und rhythmische Besonderheiten nicht nur im Allegro, bei dessen frischem Hauptthema der heimische Springtanz Pate gestanden hat (und das, immer wieder variieit, in Verbindung mit einem zweiten Thema ausdrucksvoller Prägung erscheint), sondern auch in den anderen Sätzen, die Klangreichtum, virtuose Behandlung des Soloinstruments und Eigenart Griegscher Stimmungskunst bei aller Gedrängtheit des thematischen Materials in das Gewand überzeugender persönlicher Aussage zu kleiden wissen. Das b-Moll-Klavierkonzert op. 23 vom Jahre 1875 hatte Peter Tschaikowski für Nikolai Rubinstein geschrieben, der ihn, den er als Theorielehrer an das neugegrün dete Moskauer Konservatorium berufen hatte, in sein Haus aufnahm und von dem er bedingungslose Gefolgschaft erwartete. Tschaikowski, der als Pianisten Nikolai über dessen Bruder Anton Rubinstein stellte, gedachte das Werk auch dem Erst genannten zu widmen. Dieser aber erklärte das Werk für nicht spielbar und verlangte Änderungen. Daraufhin durchstrich der Komponist die Widmung an N. Rubinstein und dedizierte es Hans von Bülow. Dieser setzte sich in Amerika und Europa für das Werk ein, in Moskau spielte es erstmals Tschaikowskis Schüler Sergej Tanejew. Rubinstein, den Bülows Erfolge mit dem Konzert nicht ruhen ließen, nahm es schließlich auch in sein Repertoire und erspielte ihm in Rußland und im Auslande bedeutende Erfolge. Schreibt auch Tschaikowski im Hinblick auf die Konzeption des Konzerts: „Prinzipiell tu ich mir Gewalt an und zwinge den Kopf, Klavierpassagen auszudenken“, so widerspricht solche von versteckt sich äußernden Krankheits symptomen diktierte Aussage dem Zuschnitt des Werkes, das, die reichen Mittel der Klaviertechnik nutzend, doch das virtuose Element dem sinfonischen Geschehen einordnet und so überzeugend das Erbe Liszts und Schumanns den Charakteristika der Persönlichkeit Tschaikowskis unterstellt. Nicht immer wurde in der Vergangen heit Tschaikowskis Anteil an der Betonung des nationalen Elements der russischen Musik voll gewürdigt. Gewiß: bei Mussorgski oder auch Rimski-Korsakow tritt es deutlicher in den Vordergrund, zumal diese nicht in gleichem Maße mit der Ver arbeitung italienischer, französischer oder deutscher Einflüsse zu schaffen hatten. Aber wenn schon nicht durchgehend, so äußern sich doch auch im b-Moll-Konzert nationale Bestandteile, und das nicht nur im Hauptthema des ersten Satzes oder im Schlußsatz, wo Volkslieder (Gesang der Blinden, ukrainisches Frühlingslied) die thematischen Konturen bestimmen, sondern auch im Einfangen mancher Stimmun gen und der ihnen entsprechenden Weiterführung thematischer Bestandteile. Gerade die hierdurch in Erscheinung tretende Eigenart des Persönlichkeitsstils dürfte bewirkt haben, daß das b-Moll-Konzert zu den Werken gehörte, die Tschaikowskis Ruhm im Auslande festigen halfen. Walter Bänsch LITE RATUR HIN WE I S E Strobel: Paul Hindemith, Mainz 1948 Schjelderup — Niemann: Edvard Grieg, Leipzig 1908 Zagiba: Peter Tschaikowski, Zürich 1953 Vorankündigung: 11. und 12. Februar 1961, jeweils 19.30 Uhr 8. Außerordentliches Konzert Dirigent: Prof. Heinz Bongartz Solist: Julius Katchen, London Freier Kartenverkauf! 6. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 6o44RaIII-9-5 161 1,5 It-G 009/4/61