Volltext Seite (XML)
KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSE U M ZUR EINFÜHRUNG Sonnabend, 23. April 1960, 19.30 Uhr Sonntag, 24. April 1960, 19.30 Uhr 9. Philharmonisches Konzert DIRIGENT Siegfried Geißler SOLISTIN Edith Peinemann, München, Violine Fidelio F. Finke geboren 1891 6. Suite für Orchester Intrada Sarabande Tarantella fantastica Hans Pfitzner 1869—1949 Konzert für Violine und Orchester h-Moll, op. 34 in einem Satz PAUSE Jean Sibelius 1865—1957 5. Sinfonie Es-Dur, op. 82 Tempo molto moderato — Allegro moderato Andante mosso, quasi allegretto Allegro molto — Largamente assai EDITH PEINEMANN Das künstlerische Werk des Dresdner Komponisten Fidelio F. Finke ist hierorts zu bekannt, als daß eine Würdigung vonnöten wäre. Aus dem reichen Schaffen des Meisters, aus seinem vokalen für Sologesang, für Chorgesang mit und ohne Orchester, aus seinen Klavierwerken, aus seinen Kompositionen für andere Instrumente, aus seiner Kammer musik, aus seinen Orchesterwerken werden wir diesmal mit der Sechsten Suite für Orchester (Herrn Prof. Dr. Karl Laux zugeeignet) bekannt gemacht. Die Partitur zeigt ein modernes, großes Orchester mit ,,doppeltem Holz“, d. h. mit je zwei Flöten, Oboen, Klarinetten und Fagotten, zu denen sich noch eine kleine (Piccolo-) Flöte, ein Englisch horn (das Altinstrument der Oboe), eine Baßklarinette und ein Kontrafagott (das tiefste Fagott) gesellen, ferner die Hörner vierfach, Trompeten und Posaunen je dreifach, die Baßtuba, die Harfe, die Streicherfamilie von den Violinen bis zum Kontrabaß, die Pauken und ein sieben- bis achtfaches Schlagwerk (Xylophon bzw. Glockenspiel, Triangel, kleine und große Trommel, Becken, ein tiefes Gong und Ruten). Die Besetzung ist die bewußte Einkleidung einer alten Form in das heutige Orchestergewand, die Orchestersuite ist die (oder eine) Vorläuferin der Orchestersinfonie. Die Bezeichnung der Sätze weist in der Suite ( = Folge von Tanzformen) von Finke auf die Herkunft hin: Die Intrada (ein italie nisches Wort, französisch: entree, deutsch: Aufzug) ist das marschartige Eröffnungsstück der frühen Suite um 1600, beispielsweise in den Suiten bei Hans Leo Haßler, Johann Hermann Schein (einem Vorgänger von Johann Sebastian Bach an der Thomaskirche in Leipzig), Samuel Scheidt und Melchior Franck — der Beginn von Richard Wagners Vor spiel zu den ,,Meistersingern“ ist eine Erinnerung an die Intrada. Bei Finke beginnen die ersten und zweiten Geiger unisono (im Gleichklang) das Intradenthema marschmäßig, das sich bis zur Beteiligung des ganzen Orchesters im pesante ( = wuchtig) steigert. Ein ruhiger 3 / 4 - bzw. 3 / 2 -Takt steht dem Marschrhythmus gegenüber. Im zweiten Satz, einer Sarabande (einem feierlichen spanischen Tanz im 3 / 4 -Takt), bleibt das Tempo von Anfang bis Ende unter der gleichbleibenden Zügigkeit der Harmonien dasselbe sakral-feierliche. Der dritte und letzte Satz führt die Bezeichnung Tarantella fantastica, eine zunächst ungewöhnliche Bezeichnung. Das Wort Tarantella wird abgeleitet von der süditalienischen Stadt Tarent oder auch von der Tarantel, das ist eine Vogelspinne, deren Biß die Tanzwut entfachen soll. Jedenfalls ist sie ein neapolitanischer Paartanz in sehr raschem 3 / 8 - oder 6 / 8 -Takt. In der Finkeschen Tarantella beginnt der Satz im unheimlich-geruhigen 12 / 8 -Takt im Andante, wird rasch beschleunigt bis zum „Sehr schnell“. In diesem Auf und Ab des Tempos, in den unheimlichen Rhythmen des Schlagzeugs wird die Bezeichnung Tarantella fantastica lebendig. Der 1869 in Moskau geborene Hans Pfitzner (der Vater stammt aus Frohburg in Sachsen, die Mutter aus Hamburg) kam im Alter von 3 Jahren mit seinen Eltern nach Frankfurt am Main, wo sein Vater am dortigen Stadttheater sein langjähriges Engagement als Geiger an-