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Dieter Zechlin Franz Schubert Schubert ist in der bedrückenden Wiener Atmosphäre der Metternichzeit aufgewach- sen. Zu spät geboren, um die Stürme der Französischen Revolution, und zu früh dahingegangen, um den erneuten Aufstand der freiheitsliebenden Menschen in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch miterleben zu können, mußte er sein ganzes Leben unter ungünstigen sozialen Verhältnissen verbringen. Diese äußeren Gegebenheiten finden in einigen seiner Werke ihren Niederschlag, etwa in der ,,Unvollendeten“ oder in der ,,Winterreise“. Doch fand auch Schubert immer wieder Töne echter Lebens freude. Wenn die Wirklichkeit für ihn auch wenig Erfreuliches bot, so hat er doch die Hoffnung auf die Möglichkeit eines besseren Lebens nicht auf gegeben. Wie hätten sonst die vielen, von heiterem Musikantentum erfüllten Lieder und Tänze und Werke, wie die C-Dur-Sinfonie, entstehen können. Schubert komponierte die ,,Unvollendete“ in einer Zeit schwerer gesundheitlicher Schädigungen (1822/23). Die äußere Misere jener Jahre spiegelt sich in dieser Sinfonie besonders stark und eindringlich wider. — Warum der Meister das Werk nicht voll endete, ist nicht bekannt. (Entwürfe zu einem dritten Satz sind uns erhalten.) Das Erstaunliche ist, daß die Sinfonie trotzdem einen einheitlichen und geschlossenen Eindruck bietet. In ihrer Einmaligkeit ist sie ein weitaus „vollendeteres“ Werk, als die sechs ersten Sinfonien Schuberts, die sich im Rahmen Haydnscher und Mozartscher Überlieferung halten. Die Einheitlichkeit und Geschlossenheit der 8. Sinfonie ist auf die völlige Übereinstimmung von Inhalt und Form zurückzuführen. Das von ergreifender Poesie erfüllte Allegro der „Unvollendeten“ ist aufs innigste verbunden mit der wundersamen, von den tiefen Streichern vorgetragenen Ein leitungsmelodie. Der ganze erste Satz baut sich auf dieser Melodie und zwei Gesangs themen auf. Stellen verzweifelten Aufbegehrens und düstere, trostlose Episoden erwachsen aus diesem thematischen Material, das trotz aller Verschiedenartigkeit doch aus ein und derselben Stimmung geboren ist. Die beiden Sätze der h-Moll-Sinfonie sind in der gleichen Weise aufeinander, ab gestimmt, wie die einzelnen Themen des Allegro. Dem Andante geht genau wie dem ersten Satz ein einleitender Gedanke voran, der für den Verlauf des ganzen zweiten Satzes entscheidend wird. Er ist die Urzelle, von welcher der blühende Reichtum der Melodik seinen Ausgang nimmt. Doch fehlen auch dem Andante nicht die kräftigen Ausbrüche einer kaum verhaltenen Leidenschaftlichkeit. Der ganze Satz ist das glänzendste Dokument für die Tiefe des Schubertschen Geistes, für die erstaunliche Vielseitigkeit einer Natur, in welcher neben der Naivität des einfachen volksverbun denen Menschen auch jene Größe der Empfindung wohnt, die Beethoven eigen ist. Die h-Moll-Sinfonie war nach ihrer Entstehung über vierzig Jahre verschollen. Doch hat sie seither eine Berühmtheit erlangt, wie sie nur wenig Werken der Musikliteratur zuteil geworden ist. Robert Schumann Schumann, der Meister der Kleinform, schenkte uns eines der herrlichsten Klavier konzerte der Musikliteratur. Bewußt geht er andere Wege als die zeitgenössischen Komponisten. „Ich kann kein Konzert schreiben für Virtuosen, ich muß auf etwas anderes sinnen“, schreibt er an seine Frau. Und das war ihm aufs beste gelungen, als er 1840 in Leipzig die „Fantasie für Klavier und Orchester“ vollendet hatte. Diese Fantasie, später als erster Satz des Konzertes verwendet, hat Schumann verschiede nen Verlegern vergeblich angeboten. Wie weit vorausblickend waren diese Leute, da sie mit ihrer Ablehnung der Musikwelt das nachmalige a-Moll-Konzert retteten. Die beiden anderen Sätze komponierte Schumann 1845 in Dresden dazu, und Clara Schumann spielte das Konzert im selben Jahr zum ersten Mal. Nach einer Probe schrieb sie in ihr Tagebuch „Das Klavier ist aufs feinste mit dem Orchester ver webt“. Diese Technik der innigen Verschmelzung von Orchester und Solo-Instru ment ist in Schumanns Konzert tatsächlich besonders stark ausgeprägt. Der ur sprüngliche Konzertgedanke, beide Klangkörper einander gegenüberzustellen, ist hier in ein Miteinander verwandelt. Dadurch wird eine überraschend einheitliche Stimmung erzielt. An einer Stelle zu Beginn des ersten Satzes z. B. verstärken die Violinen eine versteckte Melodie der Klavierfiguration. Oder im Intermezzo wird das hingetupfte Thema in reizendem Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Orchester und Klavier vorgetragen. Überhaupt ist die dialogische Führung beider Partner in dem ganzen Werk meisterlich durchgeführt. Mit einem rhythmisch scharf profilierten Motiv eröffnet der Solist das Konzert. Den eigentlichen Hauptgedanken hingegen intoniert das Orchester. In seiner freien, phantastischen Gliederung und der schmerzlich zwischen Moll und Dur schwanken den Harmonisation ist er das Urbild eines romantischen Themas. In der Überleitung vom zweiten zum dritten Satz taucht das schwermütige Anfangsmotiv dieses Themas noch einmal auf, wird aber von farbig leuchtenden Klavierakkorden abgewehrt, die die freudige Stimmung des Finales vorbereiten. Wie eine Fanfare erklingt das Thema des letzten Satzes im Solo-Instrument. Die gestaute, sich in einem einzigen Anlauf befreiende Rhythmik verleiht diesem Hauptgedanken sein charakteristisches Ge präge. Das rhythmische Element (Synkopen u. a.) spielt in dem ganzen Konzert eine entscheidende Rolle. Im Finale kommt auch das spielerische, virtuose Moment richtig zur Entfaltung, während sich die prachtvolle Kadenz des ersten Satzes von jeder äußerlichen Bravour fernhält und sich nur auf eine phantasievolle Beleuchtung der Themen beschränkt, eine Seltenheit in der Konzertliteratur.