Diese Ämter raubten ihm viel Zeit. Sein weiteres Leben wurde ein unaufhörlicher Kampf zwischen Beruf und Berufung. An seiner „Sechsten Sinfonie“ arbeitete der Meister fast zwei Jahre lang (24. Sept. 1879 bis 3. Sept. 1881). Man hat sie — entsprechend Beethovens „Sechster Sinfonie“ — „Pastorale“ genannt, was sich aber wohl mehr auf Einzelheiten (zum Beispiel die erste Themengruppe des ersten Satzes) als auf die Gesamthaltung bezieht. Robert Haas nennt die A-Dur-Sinfonie im Vorwort zur Originalfassung ein „Monumentalwerk“. An anderer Stelle schreibt er: „Über der Sechsten liegt schon der Schimmer jenes satten Glücksgefühls, das in der Sieben ten voll aufgeglüht ist und sich dann rasch die Welt zu erobern wußte; die Formmaße sind nun mit großer Ökonomie ausgespart, jede Weitschweifigkeit wird bei durchgebildeter Viel gliedrigkeit vermieden, die zuvor festgelegten Grundrisse bleiben in Geltung, werden aber gestrafft.“ Die Kopfsätze der Brucknerschen Sinfonien sind prinzipiell dreithemig. Die einzelnen Themen selbst sind zu motivverarbeitenden, fortspinnenden Themengruppen erweitert. So auch in der „Sechsten Sinfonie“. Ihr erster Satz beginnt mit einem rhythmischen Motive das als ostinate Begleitfigur während der ganzen ersten Themengruppe beibehalten wird! Violoncelli und Kontrabässe setzen mit dem ersten Thema ein: Seine anfängliche Verhaltenheit steigert sich zu glanzvollem Fortissimo. Ein kürzerer punk tierter Nebengedanke wird für die erste Themengruppe von Wichtigkeit. — Aus den „Ge sangsthemen“, den zweiten Themen, der Brucknerschen Sinfonien spricht der Melodiker Bruckner, der Österreicher, dessen volksliedhaft innige Weisen denjenigen Schuberts so sehr verwandt sind. Das schwärmerische zweite Thema der Sechsten Sinfonie ist nicht nur sanglich, sondern hat daneben auch sinfonischen Charakter: Die für Bruckner so typische Trioienbewegung (man spricht geradezu von „Brucknertrio- len“), die auch im ersten Thema nicht fehlt, begleitet die zweite Themengruppe und ist auch in der dritten Themengruppe zu finden. — Die auffallend kurze Durchführung und die auf die Reprise folgende breit angelegte Coda werden im wesentlichen von der erstem Themengruppe bestimmt. Das Adagio ist — wie in den meisten Brucknerschen Sinfonien — Kernstück des Werkes. Hier spricht der „Meister des Adagios“ eine ungemein subjektive musikalische Sprache. Das erste Hauptthema dieses ebenfalls in Sonatenform angelegten Satzes ist von feier lichem Ernst erfüllt. Gleich bei der ersten Wiederholung des Themenkopfes wird es durch einen klagenden Nebengedanken der Oboe ergänzt: Das von warmer Lyrik erfüllte zweite Thema ist in ein dichtes kontrapunktisches Gewebe eingebettet. Es kündet vom Überschwang des Glücks, während das dritte Thema von Trauer und Leid singt: Vielleicht kann man die Resignation, die aus diesen Tönen spricht, mit Bruckners damaliger unglücklicher Liebe zu einem jungen Mädchen in Zusammenhang bringen. Das Scherzo ist weniger ein Tanz als ein phantastisch-spukhaftes Tongemälde. Nach dem .bewegten, formal streng gebauten Hauptteil wirkt das Trio wie ein improvisatorisch auf ge lockert es Intermezzo. Das Finale, auf drei scharf profilierten Themen errichtet, gleicht einer „kraftvollen Sieges fanfare . . . Der prachtvoll gesteigerte Satz, an dessen Ende noch einmal das Hauptthema des ersten Satzes glanzvoll aufleuchtet, ist im Ganzen ein fanfarenartiger Aufruf zur Lebens freude, ein stürmisches Ja-Sagen, die ,Sinfonie der Erde‘ jubelnd krönend.“ (K. Laux) Renate Jahn LITERATURHINWEISE Zoltän Kodäly in „Musik der Zeit“, Heft 9 (Boosey & Hawkes, Bonn) Szabolcsi: Bela Bartök (Breitkopf & Härtel, Leipzig 1957) Strobel: Claude Debussy (Zürich 1940) Grüninger: Anton Bruckner (Potsdam 1930) VORANKÜNDIGUNG Nächstes Außerordentliches Konzert: 10. Abend am 15. und 16. März 1960, jeweils 19.30 Uhr Dirigent: Prof. Heinz Bongartz Solist: Ricardo Odnoposoff, Wien (Violine) Ausverkauf t! Nächste Konzerte im Anrecht A 19. und 20. März 1960